Paul Klee und die Musik

Dez 01, 2021 at 18:53 1752

Im Buch Von der Fuge in Rot bis zur Zwitschermaschine. Paul Klee und die Musik (Amazon.de) befassen sich acht Spezialisten mit dem Thema Kunst und Musik im Schaffen eines herausragenden Künstlers: Paul Klee (1879-1940) war ein in der Schweiz geborener und verstorbener Künstler, Kunsttheoretiker und Pädagoge mit deutschem Pass, der gerne Schweizer geworden wäre.

Thomas Gartmann eröffnet den reich illustrierten Sammelband mit dem Hinweis auf die Tatsache, dass kreative Doppelbegabungen häufig sind. Unter den Schweizer Künstlern verweist er dabei auf Louis Soutter, Dieter Roth und Michael Jarrell.

Der musikalische Hintergrund war Paul Klee quasi in die Wiege gelegt worden. Die Mutter war Sängerin und Pianistin, der Vater studierte Gesang, Klavier, Orgel und Violine und wirkte am Berner Lehrerseminar von Hofwil als Musiklehrer. Paul Klee wiederum erhielt mit sieben Jahren bei einem Schüler von Joseph Joachim Geigenunterricht und durfte bereits mit elf im Orchester der Bernischen Musikgesellschaft mitspielen. Nach seiner Matura entschied er sich jedoch für die künstlerische Emanzipation vom Elternhaus und für die Malerei. Allerdings bildete sein Lohn als Orchestergeiger noch längere Zeit seine Haupteinnahmenquelle.

Doch laut Thomas Gartmann war Paul Klee der Meinung, dass in der Musik der Höhepunkt bereits überschritten sei. Er schätzte zeitgenössische Kompositionen nicht sonderlich. Als Quartettgeiger widmete sich der mit der Pianistin Lily Stumpf verheiratete Klee vor allem der Wiener Klassik: Haydn, Mozart, Beethoven. Dennoch pflegte er den persönlichen Kontakt zu zeitgenössischen Komponisten und Interpreten, darunter Albert Moeschinger, Stefan Wolpe und Béla Bartók. Zudem begegnete er Berühmtheiten wie Stravinskij, Vogel, Busoni sowie Hindemith und schätzte Komponisten wie Debussy, Schönberg und Weill.

Paul Klee arbeitete für den Berner Bund als Musikkritiker, wobei er scharfe, manchmal boshafte Rezensionen verfasste. Später berichtete er als Musikkorrespondent aus München, unter anderem für das Schweizer Alpenmagazin Alpine. Den manchmal satirischen Ansatz seiner Kritiken übertrug er in sein zeichnerisches Werk, und dieser bildete zudem die Grundlage für grundsätzliche ästhetische Erwägungen, so Thomas Gartmann.

Der Herausgeber des lesenswerten Sammelbandes Von der Fuge in Rot bis zur Zwitschermaschine. Paul Klee und die Musik führt zudem aus, dass Paul Klee sich als Kunsttheoretiker und Pädagoge am Weimarer Bauhaus von Musik inspirieren liess, insbesondere von den Sonaten für Violine und Cembalo von Johann Sebastian Bach.

Laut Thomas Gartmann interessierte sich Paul Klee bei Bach vor allem für Form und Proportionen, genauer Zahlenverhältnisse, also Abstrakta. In seiner abstrakten Farbfeldmalerei und in seinem theoretischen Formunterricht am Bauhaus wurde er von musiktheoretischen Aphorismen (Wer ist musikalisch?) des Schweizer Chirurgen und Brahms-Freundes Tehodor Billroth inspiriert, wie Wolfgang Kersten und Osamu Okuda in ihren Essays in diesem Sammelband nachweisen konnten.

Paul Klee wiederum inspirierte nach dem Zweiten Weltrieg eine ganze Generation von Komponisten, darunter Stockhausen und Pierre Boulez, für den Klee ein lebenslanger Begleiter („Hausgott“) wurde und ihm mit ein Anlass war, die deutsche Sprache zu lernen, so Thomas Gartmann. Der Titel von Pierre Boulez‘ musikästhetischer Schrift Le pays fertile bezog sich auf ein zentrales Werk von Paul Klee und wurde später zum Multiplikator für zahlreiche Komponisten, die sich ihrerseits von Titeln, Werken, etc. von Paul Klee anregen liessen. Das Zentrum Paul Klee (ZPK) in Bern verzeichnet bis heute über 600 solche Kompositionen.

Der Sammelband Von der Fuge in Rot bis zur Zwitschermaschine. Paul Klee und die Musik geht auf eine vom Philosophischen Institut der Universität Bern und der Hochschule der Künste Bern im Mai 2016 organisierte inderdisziplinäre Konferenz zurück: Musik, Kunst und Philosophie im Dialog. Die Tagung fand im Rahmen des Nationalfondprojektes Ontology of Musical Works and Analysis of Musical Practices im ZPK, weshalb zwei Panels sich dem Werk und Denken von Paul Klee und seiner Bedeutung für die zeitgenössische Musik widmeten. Vier Beiträge von 2016 wurden für diesen Sammelband ausgebaut. Ergänzt werden sie von drei ebenfalls stark überarbeiteten Texten aus weiteren „Veranstaltungskontexten“, so Thomas Gartmann, der den einführenden und hier ausführlich zitierten achten Essay zu Von der Fuge in Rot bis zur Zwitschermaschine beisteuerte.

Unter den acht Beiträgen sei hier nur auf jenen zum „Sonderklasse„-Werk Fuge in Rot verwiesen. Wolfgang Kersten beleuchtet darin die Rezeption des Bildes in Kunst- und Musikwissenschaft, kontextualisiert Klees Verhältnis zu Musik und Malerei, zeigt Bezüge zu Bach sowie zu Klees eigener Formenlehre wie auch zu Farbtheorien des 19. Jahrhunderts. Kersten untersucht zudem die Aquarelltechnik als Geheimnis durchsichtiger Farben, widmet sich bildtechnischen und formalistischen Fragen sowie solchen der Rahmung und Titelgebung.

Dies ist kurzgefasst ein anregendes Buch für Kunstfreunde, die dem Thema Paul Klee und die Musik auf den Grund gehen möchten, wobei Bach und Boulez die musikalische Klammer bilden, so Thomas Gartmann.

Thomas Gartmann, Hg.: Von der Fuge in Rot bis zur Zwitschermaschine. Paul Klee und die Musik. 24,6 x 28,8 cm, Schwabe Verlag, 2021, 142 Seiten. Das Buch bestellen Amazon.de.

Zitate und Teilzitate in dieser Buchkritik / Rezension sind der besseren Lesbarkeit wegen nicht zwischen Anführungs- und Schlussszeichen gesetzt.

Buchkritik / Rezension vom 1. Dezember 2021 um 18:53 Schweizer Zeit.