Die Biografie von Peter Thiel (Amazon.de, Amazon.com) aus der Feder von Max Chafkin hat einen reisserischen Untertitel: Wie der Pate des Silicon Valley die Welt beherrscht. Dieser sollte den Leser nicht zu sehr abschrecken.
Ein Jahr nach seiner Geburt 1967 wanderten die Eltern von Peter Thiel von Frankfurt in die USA aus. Seine Eltern seien in Cleveland fanatische Republikaner geworden, und diese Einstellung sei auch auf ihren Sohn übergegangen, der später an der Universität Stanford in Kalifornien Philosophie studierte.
Peter Thiel einfach als Vorzeigekonservativen der Tech-Branche zu porträtieren ist laut Max Chafkin eine naive Ansicht, die seinen Einfluss stark unterschätze. Mehr als jeder andere Investor oder Unternehmer des Silicon Valley – sogar mehr noch als Jeff Bezos oder die Google-Gründer Larry Page und Sergey Brin oder Mark Zuckerberg – sei er für die Entstehung der Ideologie verantwortlich, die das Silicon Valley inzwischen präge: dass technischer Fortschritt unerbittlich realisiert werden muss, gänzlich oder zumindest weitgehend ungeachtet der potenziellen Kosten oder Gefahren für die Gesellschaftt.
Max Chafkin unterstreicht, Peter Thiel sei nicht der reichste Tech-Mogul – obwohl es ihm besser gelingt, sein Vermögen zu schützen, als dem durchschnittlichen Silicon-Valley-Milliardär, denn auf sein an die 10 Milliarden US-Dollar schweres Investmentportfolio habe er kaum Steuern gezahlt –, doch in vielerlei Hinsicht sei er der einflussreichste. Er steht an der Spitze der sogenannten PayPal-Mafia, eines inoffiziellen Netzes aus verflochtenen finanziellen und persönlichen Beziehungen, die bis in die späten 1990er-Jahre zurückreichen. Neben Peter Thiel zählen Elon Musk sowie die Gründer von YouTube, Yelp und LinkedIn dazu. Sie brachten das Kapital für Airbnb, Lyft, Spotify, Stripe, DeepMind sowie natürlich für Facebook auf.
Laut Max Chafkin war Peter Thiels erstes Unternehmen der E-Commerce-Pionier PayPal, sein zweites die Data-Mining Firma Palantir (die Software wird das LKA Bayern nun einsetzen, wie vor kurzem gemeldet); Palantir wird von Kritikern der Technologiebranche als Teil des Überwachungskapitalismus gebrandmarkt. Thiel war mit einer halben Million Dollar der erste grosse Investor in Facebook – laut Max Chafkin waren (sind?) Peter Thiel und Mark Zuckerberg Seelenverwandte. Thiel gründete zudem den Hegdefund Clariant Capital, die Risikokapital-Firma Founders Fund und weitere Unternehmen bzw. investierte in bereits bestehende Start-Ups, deren Potenzial er früher als andere erkannte.
Peter Thiel sagte einst der Fox Business-Moderatorin Maria Bartiromo: «Stehen alle auf einer Seite, dann heisst das nicht, dass sie alle die Wahrheit gefunden haben, sondern, dass sie sich in einer Art totalitärem Zustand befinden». Der Investor, Unternehmer, dem disruptiven Ethos verpflichtete politisch Libertäre führte aus: «Das Silicon Valley hat sich verändert – von einem eher liberalen System zu einem Einparteienstaat.» Peter Thiel hatte übrigens auch schon mal behauptet, das Frauenwahlrecht habe die Sache der Freiheit zurückgeworfen, was bei vielen in der Belegschaft von Facebook nicht gut ankam.
Laut Max Chafkin profitierte Peter Thiel nicht nur mit Palantir, sondern auch mit dem Start-up-Rüstungsunternehmen Anduril von der Präsidentschaft von Donald Trump. Chafkin arbeitet in seiner Biografie Widersprüche bei Peter Thiel heraus. So wetterte er öfters (ich: teilweise zurecht) gegen seinen Lieblingsmonopolisten Google, das er gar als kommunistisches Unternehmen brandmarkte, das sich selbst über und jenseits der Befugnisse der Vereinigten Staaten stehend begriff. Dazu merkt der Biograf an, dass Thiel selbst oft versucht habe, seine eigenen Interessen über die und ausserhalb der Befugnisse der Vereinigten Staaten zu stellen und dafür sogar eine ganze Ideologie entwickelt habe.
Peter Thiel war besessen von der zerstörerischen Kraft der Imitation und des Wettbewerbs. Er hatte beklagt, die Besten und Klügsten seiner Generation würden ihre Zeit mit lächerlichen Softwareunternehmen verschwenden. Facebook war darauf aufgebaut, Landesgrenzen zu überschreiten, in dem Nutzer miteinander wetteiferten, wessen Duckface-Selfie, nackte Füsse in der Brandung oder schlichtes Frühstück die meisten Likes ernteten. Es war alles, wovor Peter Thiel immer gewarnt hatte. Doch Facebook hatte ihn reich gemacht.
Peter Thiel drängte Zuckerberg, das soziale Netzwerk an Yahoo! zu verkaufen, als diese Firma eine Milliarde Dollar für Facebook offerierte. Zuckerberg tat dies nicht und behielt mit dieser Entscheidung längerfristig recht, während dem sich Thiel kurz danach von seinen Facebook-Beteiligungen zu trennen begann und nach dem Facebook-Börsengang die meisten seiner Aktien auf den Mark warf. Das erinnerte Max Chafkin an Thiels abrupten Abgang bei PayPal.
Google und Facebook sind in China verboten. Peter Thiel lehnt die kommunistische Regierung strikt ab, während dem Mark Zuckerberg Chinas Spitzenpolitiker jahrelang umwarb, allen voran Xi Jinping, den Generalsekretär der kommunistischen Partei. Zuckerberg hatte sich selbst Mandarin beigebracht und einem führenden Parteivertreter bei einem Besuch Exemplare von Xis Buch gezeigt und erklärt, er verschenke dieses an Beschäftigte. Im folgenden Jahr, Donald Trumps verbale Angriffe auf China diesen
an die Spitze der Republikaner katapultierten, bemühte sich Zuckerberg zeitgleich intensiv um Xi Jinping persönlich. Max Chafkin schildert, wie sich Zuckerberg, dessen Frau Priscilla damals schwanger war, bei einem Dinner im Weissen Haus, an dem der chinesische Staatschef teilnahm, Xi bat, seinem ungeborenen Kind doch einen chinesischen Namen zu geben. Xi weigerte sich. Mit anderen Worten: Thiel und Zuckerberg trennte Welten, was die Sicht auf China angeht. Bezüglich Zuckerbergs werben um Xi Jinping hätte Max Chafkin anfügen können, dass all das naiv war, denn die allmächtige kommunistische Partei wird natürlich nie einem US-Unterhehmen erlauben, die eigenen Bürger auszuspionieren. Das macht sie schon selber.
Zu Zuckerbergs (inzwischen wieder aufgegebenen) Idee der Facebook-Kryptowährung Libra merkt Max Chafkin an, dass seit Ende des Zweiten Weltkriegs Regierungen anderer Länder grosse Mengen US-Dollar kaufen und halten, was bedeutet, dass die Vereinigten Staaten im Grunde nahezu unbegrenzt Geld aufnehmen und sogenannte Schurkenstaaten aus dem globalen Finanzsystem ausschließen können. Würden die Leute ihr Geld in Kryptowährungen wie Libra vorhalten, könnte sich die Kreditaufnahme für die Vereinigten Staaten verteuern und das globale Finanzsystem würde sich dem amerikanischen Einfluss entziehen. Genau das hatte Peter Thiel natürlich bei PayPal vorgehabt, als er davon sprach, dass jeder sein virtuelles Schweizer Bankkonto bekommen sollte, so Max Chafkin.
Zwölf Jahre vor der Covid-Pandemie schrieb Peter Thiel, damals Hedgefondsmanager, in «The Optimistic Thought Experiment» von einer möglichen Apokalypse, vom Zusammenbruch der Volkswirtschaften in aller Welt, weil sich eine unwahrscheinliche Tragödie ereignet hatte, die mit der
Globalisierung zusammenhing. Laut Chafkin war Thiel damals als Prepper verlacht worden, als er die neuseeländische Staatsbürgerschaft angenommen hatte. Nun wurde Trump von den Kosmopoliten kritisiert, weil er die US-Grenze zu Europa nicht so schnell dicht gemacht hatte wie zu China, und ganz normale Amerikaner horteten Klopapier und tauschten Einkaufstipps, wo man am besten getrocknete Bohnen bekam. Wie bei der Finanzkrise sah Peter Thiel bei der Pandemie die Weltwirtschaftskrise voraus, hielt aber wie Trump die Lockdowns für „verrückt“, viel zu umfassend, so unser Autor.
Neben der Unterstützung direkt für Donald Trump erwähnt Max Chafkin zum Beispiel die Senatswahlen im Bundesstaat Kansas 2020. Dort unterstützte der Homosexuelle Peter Thiel den Trump-Republikaner Kris Kobach, der in der Vergangenheit mit homophoben Äusserungen aufgefallen war, mit 2.1 Millionen Dollar gegen den moderaten Republikaner Roger Marshall. Der Moderate gewann dennoch mit 14 Punkten Vorsprung bei den Primärwahlen der Republikaner. Thiels Lieblings-Präsidentschaftskandidat für 2024 ist der populistische Senator und Trump-Mitstreiter Josh Howley aus Missouri (das Buch wurde 2021 geschrieben). Laut Max Chafkin hat dieser einen ähnlichen intellektuellen Hintergrund wie Ted Cruz, ist jedoch zehn Jahre jünger. Mit dem Sturm auf das Kapitol habe Peter Thiel nichts direkt zu tun, so Max Chafkin, doch habe er in den Jahren zuvor den Boden dafür vorbereitet.
Der Autor verweist am Ende seines Buches nochmals auf die Widersprüche bei Peter Thiel hin. Er sei ein Kritiker von Big Tech, der selbst vielleicht mehr als jeder andere Zeitgenosse dazu beigetragen habe, die Dominanz der grossen Technologieunternehmen noch zu verstärken. Er sei ein selbsternannter Datenschutzverfechter, der eines der grössten Überwachungsunternehmen der Welt gegründet habe. Er sei ein Befürworter der Meritokratie und intellektuellen Diversität, der sich mit einer selbsternannten Mafia von Getreuen umgeben habe. Er sei ein Fürsprecher der Meinungsfreiheit, der im Stillen einen massgeblichen US-amerikanischen Medienkanal vernichtet habe. Chafkin zitiert den Autor und Kartellrechtsaktivisten Matt Stoller: «Er ist ein Nihilist, aber ein hochintelligenter.»
Dies und noch viel mehr findet sich in Max Chafkin: Peter Thiel. Wie der Pate des Silicon Valley die Welt beherrscht. FBV, 2021, 384 Seiten. Die deutsche Biografie bestellen bei Amazon.de; die englische, bei Penguin Press 2021 erschiene Originalausgabe The Contrarian: Peter Thiel and Silicon Valley’s Pursuit of Power bestellen bei Amazon.com.
Zitate und Teilzitate in dieser Rezension der Biografie von Peter Thiel (Amazon.de, Amazon.com) stehen zwecks besserer Lesbarkeit nicht zwischen Gänsefüsschen.
Buchkritik / Rezension vom 8. März 2022 um 19:55 deutscher Zeit.