Hinzugefügt am 17. Februar 2014 um 21:21: Renzi hat schon mal seinen ambitionierten Reformfahrplan vorgelegt: Wahlrechtsreform noch im Februar, Arbeitsmarktreform im März, Verwaltungsreform im April und Steuerreform im Mai. Sollte er das wirklich schaffen, werden schon bald Strassen und Plätze nach ihm benannt werden…
Renzi soll Regierung bilden
Artikel vom 17. Februar 2014 um 16:13: Heute, am 17. Februar 2014, hat der greise italienische Präsident wider Willen, Giorgio Napolitano (*1925), dem zukünftigen, dann jüngsten Ministerpräsidenten in Italiens Geschichte, Matteo Renzi (*1975), offiziell den Auftrag zur Regierungsbildung gegeben.
Matteo Renzi ist Bürgermeister von Florenz und seit dem 8. Dezember 2013 Chef der Demokratischen Partei. Er setzte sich in offenen Primärwahlen mit 67,55% der 2,8 Millionen Wahlstimmen klar gegen seine Konkurrenten durch. Spätestens da war klar, dass Enrica Letta Ministerpräsident auf Abruf war. Seit seiner Regierungsbildung im April 2013 waren 10 Monate ohne grossen Reformeifer vergangen. Da scharrte Matteo Renzi zurecht mit den Füssen und drängte auf einen Neubeginn. Noch am 12. Februar versuchte Letta, seinen Posten zu retten, indem er einen Reformplan (Impegno Italia) veröffentlichte, in dem er einige Positionen von Renzi übernahm. Doch es war schon zu spät. Der Verschrotter (rottamatore) hatte sich bereits aufgemacht, die Macht von seinem Parteikollegen zu übernehmen. Am 14. Februar entschied die Führung der Demokratischen Partei mit 136 Ja gegen 16 Nein bei zwei Enthaltungen, dass die Regierung Letta de facto einer neuen Regierung unter Renzi Platz machen muss.
Im November 2013 verlor Berlusconi die Kontrolle über seinen politischen Ziehsohn Angelino Alfano. Es kam schlussendlich zu einer Abspaltung von Berlusconis Partei, die sich danach neu gründete. Doch der vierfache Ministerpräsident hatte seinen Einfluss auf die Regierung verloren. Schon im Oktober gewann Letta eine Vertrauensabstimmung, nachdem im September Berlusconis Minister Italiens Regierung hatten verlassen müssen, weil er, Berlusconi, es so wollte, denn wer war rechtskräftig verurteilt worden und spielte nun mit seinen Muskeln, allerdings ohne Erfolg.
Doch wie in der Vergangenheit auch schon, nutzten die Linken die Gunst der Stunde nicht, um Reformen seriös anzugehen. Stattdessen verloren sie wieder nur Zeit. Verbündet mit den Leuten des früheren Regierungschefs Monti und den Berlusconi-Abtrünnigen um Angelino Alfano, brachte die Regierung Letta nicht viel zustande.
Kann Matteo Renzi die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllen? Es ist ein grosser Sprung vom Bürgermeisteramt in Florenz zum Ministerpräsidentenposten Italiens. Das Land kämpft laut Eurostat mit Staatsschulden von 133% des BIP. Allein 2013 musste Italien rund €90 Milliarden für den Schuldendienst aufwenden. Die Arbeitslosigkeit lag Ende Jahr um 12,7%. Seit Ausbruch der aktuellen Finanzkrise ist Italien BIP um rund 10% eingebrochen, die in Italien noch immer bedeutende Industrieproduktion sogar um 25%.
Italiens Volkswirtschaft ist viel zu gross, um von der Eurozone oder der EU gerettet zu werden. Italien muss und kann sich selbst helfen. Doch strukturelle Reformen brauchen Zeit, um umgesetzt zu werden, und noch mehr Zeit, um positive Effekte zu bewirken. Der italienische Arbeitsmarkt ist nach wie vor zu rigide. Die Ausbildung der Jungen orientiert sich nicht an den Bedürfnissen der Wirtschaft. Es bräuchte eine herausragende Lehrlingsausbildung wie in Deutschland und der Schweiz (duales System). Die Staatsausgaben dürfen nicht wieder aus dem Ruder laufen. Langsam muss Italien seine Staatsschulden abbauen. Die Korruption muss eingedämmt werden. Die Justiz funktioniert nicht richtig und viel zu langsam. Es ist zu schwierig, neue Unternehmen zu kreieren. In einigen Wirtschaftssektoren fehlt es an Konkurrenz. Die Bürokratie paralysiert das Land, kostet zu viel und ist ineffizient. Die organisierte Kriminalität bildet einen Staat im Staat (sieh die ’Ndrangheta). Die Schwarzarbeit blüht. Der Steuerdruck ist viel zu hoch. Die Steuerflucht ist dementsprechend hoch. Steuerbetrug und Streiks gehören zu den Nationalsportarten. Den Italienern fehlt es an Bürgersinn.
Die Liste von Italiens Problemen ist fast endlos. Das Land ist in der globalisierten Welt immer weniger konkurrenzfähig. In Osteuropa und in China wurde der Kommunismus (weitgehend) abgeschafft. Indien bewegt sich langsam fort vom Sozialismus. Der Euro legt die Schwächen der italienischen Wirtschaft und Gesellschaft bloss. Die Zeiten der italienischen Schlamperei sind vorbei.
Matteo Renzi hat also viel zu tun. Im Senat braucht er Angelino Alfano und sein Nuovo Centrodestra als Koalitionspartner. Alfanos Partei stellte vier Minister in der Regierung Letta. Alfano hat denn auch schon einmal verlauten lassen, er wolle einen Koalitionsvertrag wie in Deutschland. Allerdings sollte er wissen, dass Papier geduldig ist. Zudem ist die Abhängigkeit gegenseitig. Alfano und seine Parteikollegen dürften frühzeitige Neuwahlen fürchten. Matteo Renzi droht nicht nur Gefahr aus der eigenen Koalition und sogar der eigenen Partei, sondern auch von der Opposition. Beppe Grillo und Silvio Berlusconi werden ihn nicht schonen.
Italien hat schon zu viele Politiker verschlissen. Nach Renzi ist zur Zeit kein ernster Reformer mehr auszumachen. Es wird eng. Niemand kann wünschen, dass der neue starke Mann scheitert. Leider laufen die Uhren in Italien anders. Sie haben es schon öfters hier gelesen, doch es gilt weiterhin: Die Hoffnung stirbt zuletzt!
Bücher zur Geschichte Italiens
Photo von Matteo Renzi aus dem Jahr 2016. Matteo Renzi, the Prime Minister of Italy and his entourage met with Ali Khamenei, the Supreme Leader of Iran. Cropped. Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Matteo_Renzi,_meeting_Ali_Khamenei_in_Tehran_(3).jpg
Artikel vom 17. Februar 2014 um 16:13. Hinzugefügt zu unseren Seiten im neuen WordPress-Design am 3. Februar 2021.