Das Rezital der aus Argentinien stammenden Cellistin Sol Gabetta und des in Südafrika geborenen Pianisten Kristian Bezuidenhout am 30. Januar 2025 im Konzertsaal Stadthaus Winterthur wurde vom Musikkollegium Winterthur organisiert und begeisterte das Publikum, einschliesslich des Schreibenden. Das Haus war völlig zurecht ausverkauft.
Nebenbei bemerkt: Laut dem Programm des Abends spielte Kristian Bezuidenhout auf dem Blüthner Flügel No. 726, der — typisch für diese Klavierfabrik — für einen warmen Ton bekannt ist. Aufgrund der Zerstörung des Blüthner‑Archivs im Zweiten Weltkrieg ist eine genaue Datierung des Instruments nicht möglich, doch das Baujahr wird auf 1859 geschätzt. Der Blüthner-Flügel No. 726 ist Teil der Sammlung der «Clavierwerkstatt Christoph Kern» in Staufen im Breisgau, wo er auch restauriert wurde.
Sol Gabetta, Violoncello. Photo Copyright © Julia Wesely.
Sol Gabetta (Violoncello) und Kristian Bezuidenhout (Hammerklavier) spielten in Winterthur zuerst Robert Schumanns (1810 –1856) drei «Fantasiestücke» (op. 73) von 1849, entstanden in den Dresdner Jahren des Komponisten.
Sie waren zuerst als «Soiréestücke» betitelt und ursprünglich für Klarinette konzipiert. Doch der Komponist autorisierte bereits in der Erstausgabe auch eine Fassung mit Cello und Klavier.
Das erste der«Fantasiestücke», «Zart und mit Ausdruck», interpretierten Sol Gabetta und Kristian Bezuidenhout warm, ruhig, romantisch. Das zweite, «Lebhaft leicht», spielten sie fröhlich, optimistisch, warm dahinfliessend, spielerisch. Das Klavierspiel überzeugte durch Leichtigkeit. Das abschliessende Stück, «Rasch und mit Feuer», begann in der Tat mit einem feurigen Cello. Die Leidenschaft, Intensität und Wärme der Interpretation sowie den überschwänglichen Schluss dankte das Publikum zurecht mit viel Applaus.
Der erste Höhepunkt des Abends kam mit der «Sonate für Violoncello und Klavier» Nr. 2 F-Dur, op. 99 aus dem Jahr 1886, komponiert von einem meiner Lieblingskomponisten: Johannes Brahms (1833-1897).
Der Komponist schrieb seine zweite Sonate für Klavier und Violoncello in seinem «Kammermusik‑Sommer» 1886 in Thun, wo daneben noch zwei Violinsonaten und ein Klaviertrio entstanden.
Den ersten Satz, «Allegro vivace», interpretierten die zwei Musiker in der Tat lebhaft, schwärmerisch, harmonisch, warm. Kurz: romantisch!
Das ruhige «Adagio affettuoso» begann mit einem Pizzicato, Sol Gabetta am Cello zupfend, gefolgt von einem harmonischen Zusammenspiel von Hammerklavier und Violoncello.
Das «Allegro passionato» begann engagiert, mit Kraft und Tempo. Auf eine ruhige Passage folgten energiegeladene Steigerungen. Das finale «Allegro molto» interpretierte das Duo mitreissend. Das Musikerlebnis war intensiv. Auf ruhige Passagen folgte ein Schluss mit Verve.
Zeitgenossen hatten einst dieses Werk von Johannes Brahms als «bedenklich» und «spröde» bezeichnet. Sie glaubten «ein Sausen und Brausen» zu hören, mit einer «undankbaren Celloparthie», welche «stellenweise ganz reiz‑ und klanglos» gewesen sei. Heute völlig unverständlich, denn die «Sonate für Violoncello und Klavier» Nr. 2 F-Dur ist ein Meisterwerk der Romantik. Die Darbietung von Sol Gabetta und Kristian Bezuidenhout wurde dem gerecht. Das Publikum — inklusive des Schreibenden — war hingerissen.
Sol Gabetta, Violoncello. Photo Copyright © Julia Wesely.
Nach der Pause erklang vom nach mehreren Schlaganfällen viel zu früh verstorbenen Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847) die «Sonate für Violoncello und Klavier» Nr. 2 D-Dur, op. 58, aus dem Jahr 1843.
Das Werk enstand während seiner zweiten Kammermusikphase von 1838 bis 1845. Widmungsträger ist der russische Gönner und Stradivari‑Cellist Graf Wielhorski, der später mit Clara Schumann und Franz Liszt konzertierte.
Opus 58 ist die einzige viersätzige Sonate von Felix Mendelssohn Bartholdy. Sol Gabetta und Kristian Bezuidenhout begannen das «Allegro assai vivace» heiter, fröhlich und gleichzeitig mit grosser Intensität zu spielen. Der Satz war unterhaltsam, wobei die Romantik-DNA klar herausgearbeitet wurde.
Das «Allegretto scherzando» begann mit einem Pizzicato. Im Programmheft stand etwas von «düster», das der Schreibende nicht wahrgenommen hat. Vielmehr klang der Satz nachdenklich und endete lakonisch.
Im traurigen «Adagio» hat der Pianist eine Solopassage. Beide Instrumente klangen in sich gekehrt. Der Satz endet verhalten, leise. Florian Hunziker verweist im Programmheft darauf, dass Felix Mendelssohn Bartholdy im «Adagio» den Tod seiner Mutter verarbeitet hat.
Das «Molto Allegro vivace» wiederum beginnt furios und optimistisch. Auf ruhigere, romantische Passagen wird die Musik verspielter und endet heiter.
Nach einer Standing Ovation spielte das Duo als erste Zugabe, eine «Etude» von Chopin, die zu einem weiteren Höhepunkt des Abends wurde. Das Cello begann melancholisch, das Hammerklavier gesellte sich in trauriger Stimmung hinzu. Die «Etude» hatte Tiefgang, berührte das Herz und endete ruhig.
Nach einer erneuten, verdienten Standing Ovation spielten Sol Gabetta und Kristian Bezuidenhout als zweite Zugabe das «Lied ohne Worte» für Violoncello und Klavier D-Dur (Op. 109/MWV Q 34) von Felix Mendelssohn Bartholdy. Das eingängige, bekannte Stück riss das Publikum im ersten Teil mit, ehe es ebenfalls ruhig, verhalten und versöhnlich endete.
Mit der Einladung dieser zwei Ausnahmekünstler bescherte das Musikkollegium Winterthur im Konzertsaal Stadthaus Winterthur den Besuchern einen unvergesslichen, romantischen Abend.
Siehe auch den englischen Artikel zu Sol Gabetta.
Mit Bertrand Chamayou am Klavier veröffentlichte Sol Gabetta 2024 bei Sony Music Mendelssohn. Auf dem Album sind die fünf Werke für Violoncello und Klavier vereint, die der Komponist in seinem Leben geschaffen hat: «Variations concertantes» op, 17, die er 1829 für seinen cellospielenden Bruder Paul komponierte; das in Winterthur mit Kristian Bezuidenhout gespielte «Chanson sans paroles» op. 109, welches Mendelssohn 1845 Lise Cristiani widmete; die beiden Sonaten B-Dur op. 45 (1838) und D-Dur op. 58 (1843); das selten gespielte, mysteriöse «Assai tranquillo» aus dem Jahr 1838 Als poetische moderne Ergänzungen zu den historischen Werken Mendelssohns bat Sol Gabetta vier zeitgenössische Komponisten, ihr persönliches «Lied ohne Worte» (für Cello und Klavier) zu komponieren. Heinz Holliger (*1939), Wolfgang Rihm (*1952), Jörg Widmann (*1973) sowie Francisco Coll (*1985) steuerten je ein Werk zu diesem Album bei, auf dem sie zum ersten Mal erklingen. Die Doppel-CD (oder MP3) Mendelssohn (Sony Music, 2024) bestellen bzw. runterladen oder streamen bei Amazon.de, Amazon.fr, Amazon.com, Amazon.co.uk.
Die Cellistin Sol Gabetta. Foto Copyright © Julia Wesely.
Konzertkritik vom 2. Februar 2025 um 19:15 Schweizer Zeit.