Schweizer Möbellexikon

Okt 14, 2024 at 16:41 128

Im Verlag Scheidegger & Spiess ist im September 2024 bereits die vierte, überarbeitete und erweiterte Auflage des Schweizer Möbellexikon erschienen, herausgegeben und konzipiert von Stefan Zwicky, redigiert von Judith Raeber, mit einem Vorwort von Stefan Zwicky und einer Einleitung von Alfred Hablützel, Claude Lichtenstein und Willi Gläse.

Stefan Zwicky, NR Neue Räume AG, Herausgeber: Schweizer Möbellexikon. Band 1: Schweizer Möbeldesign seit 1920. Band 2: Neue Schweizer Möbel – Aktuelle Positionen. Scheidegger & Spiess, 2024, vierte Auflage, ISBN: 978-3-03942-219-7. Cookies akzeptieren – wir erhalten eine Kommission bei gleichem Preis – und bestellen bei Amazon.de.

Das Schweizer Möbellexikon präsentiert über 390, seit 1920 entstandene Möbel und andere Objekte von 140 Designern, chronologisch nach Jahrzehnten gegliedert. Alle Designobjekte werden mit einem Foto, einem kurzen Text und Details und Daten vorgestellt: Modellbezeichnung, Designer, Material, Ausmasse, Herstellerfirma, Entstehungsjahr des Entwurfs und aktuelle Erhältlichkeit im Fachhandel. Hinzu kommen Kurzbiografien der Designerinnen und Designer. Der Zusatzband Neue Schweizer Möbel wirft einen vertieften Blick auf das aktuelle Schaffen zeitgenössischer Designerinnen und Designer. Das Vorwort stammt von Alfredo Häberli, die Einordnung erfolgt durch Gabriela Chicherio.

Laut Stefan Zwicky ist das Interesse an der hausgemachten Schweizer Wohnkultur, am Schweizer Möbeldesign in den letzten Jahren gestiegen. Als Antwort auf diese Nachfrage entstand dieses Nachschlagewerk für Möbel und Design, das sich sowohl an ein Fachpublikum als auch an interessierte Laien richtet.

Berücksichtigt wurden nicht nur Schweizer, sondern zudem ausländische Designerinnen und Designer, deren Entwürfe mit Schweizer Herstellerfirmen realisiert werden, denn diese trügen mit ihrer Erfahrung, dem technischen Wissen und ihrer Risikobereitschaft entscheidend zur Verwirklichung der Möbelentwürfe bei, so die Begründung von Stefan Zwicky. Daher finden sich auch Objekte von Alvar Aalto, Marcel Breuer und Ludwig Mies van der Rohe bzw. von diesen Designikonen inspirierte Werke im Lexikon.

Dem Vorwort ist ebenfalls zu entnehmen, dass der Zürcher Fotograf Heinz Unger alle ausgewählten Möbel und Leuchten neu in stereotyper Normalperspektive aufgenommen hat, um so einen möglichst objektiven Vergleich der sich über die Jahre verändernden Konstruktions- und Erscheinungsformen zu gewährleisten.

Seite 86- 87 in Band 2: Martin Schenk – Lampe Re: Frame © Foto Copyright Alexandre Willaume. Martin Schenk mit Alexandre Willaum, Paris 2022, gefördert von der Ikea Stiftung CH. Lampenserie in drei Grössen, die aus einem neuen Verständnis von Rahmen und Gerahmtem, von Innen und Aus­sen entstanden ist. Inspiriert vom Fenster denken die Designer die Beziehung zwischen Innen und Aus­sen neu. Je nach Blickwinkel werden neue Aspekte des Lichteinfalls im Raum sichtbar und es entsteht immer wieder eine andere Wirkung. Jedes Fenster fängt eine neue Szene ein und transportiert so ein Stück Tages­licht ins Innere. Materialien: farbige Glasstäbe, Lack/Sand, LED.

In der Einleitung von Alfred Hablützel ist unter anderem zu lesen, dass die Architekten des «Neuen Bauens» in der Schweiz in den 1920er und 1930er Jahren auch als Möbelentwerfer im Geiste des Werkbundes und zur Nachbarschaft zum deutschen Bauhaus wirkten. Sie setzten der bürgerlichen, pseudohandwerklichen, kompletten Wohnungseinrichtung ihre leichten, bequemen und einzeln funktionierenden Typenmöbel gegenüber.

Alfred Hablützel erwähnt, dass an der Schweizerischen Landesausstellung in Zürich («Landi») 1939 Hans Coray mit dem offiziellen Ausstellungsstuhl aus gepresstem und gelochtem Aluminiumblech (Metallwarenfabrik Wädenswil) das international wohl am meisten zitierte Beispiel zur Geschichte des Schweizer Möbeldesigns schuf. In den Jahren danach habe  die Generation der Erneuerer als Brückenbauer die noch junge Moderne durch die kritischen Jahre des unvermeidlichen Schweizer Heimatstils in das für ihre Ziele wieder zugänglichere Nachkriegszeitalter hinübergerettet. Gestalter wie Hans Bellmann, Max Bill, Willy Guhl,Wilhelm Kienzle und Armin Wirth praktizierten in den 1940er und1950er Jahren, trotz schwierigen Bedingungen und Skepsis bei manchen Produzenten, im besten Sinne «Industrial Design». IhreMöbelentwürfe, welche heute als Klassiker der Moderne gesammeltund gehandelt werden, zeichnen sich durch Einfallsreichtum, Brauchbarkeit und neue Fertigungstechniken aus. Im Gegensatz zur Vorliebe der Pioniere aus den Vorkriegsjahren für Stahlrohr wurden jetzt Möbel in Formsperrholz, Aluminium, glasfaserverstärktem Polyester und Eternit gefertigt.

Alfred Hablützel unterstreicht zudem in seiner Einleitung, dass Gestalter wie Ambühler, Berger, Christen, Eichenberger, Haller, Haussmann, Klug, Rey, Thut und Vogt mit ihren Entwürfen für kleinere Hersteller wie Lehni, Röthlisberger, Thut Möbel und Wogg sowie für die wenigen grösseren Fabrikanten wie Dietiker, De Sede, USM und Viktoria, Kollektions- und Markenprofile mitgeprägt haben. In über 30 Jahren hätten sie gemeinsam das Augenmerk des Auslands auf einen spezifischen, schweizerischen, exportfähigen Designstandard gelenkt. Eine Qualität, die im internationalen Vergleich durch das hohe Fertigungsniveau, einen soliden Gebrauchswert, ein funktionales und formales Selbstverständnis und eine oft erstaunliche Beständigkeit am Markt auffalle.

Seite 26 in Band II: Carlo Clopath – Beistelltisch Maisina 2013 © Foto Copyright Carlo Clopath. Prototyp für die Herbstausstellung der Tischler im Designmuseum Danmark, Kopenhagen, DK. Maisina ist ein Beistelltisch mit einer Tischplatte und zwei Schubladen oder Ablagen. Die runde Form macht Maisina zu einem freistehenden Möbelstück, das den umgebenden Raum definiert. Objekte können auf einer Fläche aus­gestellt oder in einer Schublade auf­bewahrt werden. Die Objekte können an einem bestimmten Ort bleiben oder vorübergehend an einen anderen Ortgebracht werden; ein Serviceobjekt. Materialien: Esche, Corian.

Als exemplarisches Beispiel für ein Langzeitkonzept erwähnt Alfred Hablützel das Büromöbelprogramm «USM Haller», das seit 1964 fabriziert und ergänzbar weiterentwickelt werde und noch immer neue Einsatzgebiete und Märkte gewinne. Ein weiterer Bestseller bezüglich Lebensdauer und Verbreitung sei dem Designer Bruno Rey 1971 mit seinem runden Holzsessel «Mod. 3330» bei Dietiker gelungen. Zusammen mit Edlef Bandixen auf der Fabrikationsseite hätten die neu erfundenen Verbindungs- und Fertigungsmethoden zu einem eigentlichen Paradigmenwechsel in der Konstruktion von Holzstühlen gefüht. Der Rey-Stuhl habe mit über einer Million fabrizierter Exemplare über zwei Jahrzehnte das Bild der Stuhllandschaft in der Schweiz verändert.

Alfred Hablützel glaubt, einige typisch schweizerische Eigenschaften ausmachen zu können, so das bereits erwähnte am Gebrauch und der Problemlösung orientierte Vorgehen und die auf Langfristigkeit ausgelegte Fertigungsqualität. Exzessiver Materialeinsatz und Konstruktionsaufwand oder dekorative Formeingriffe seien eher selten anzutreffen, genauso wie futuristische Experimente und Innovationsversuche zur Veränderung von Gewohnheiten im Gebrauchsverhalten. Design aus der Schweiz besitzt keine ausgeprägte Material- oder Formenkultur, die aus repräsentativen, sozialen oder elitären Traditionen gewachsen sei. Die Schweizer Designer fielen auch nicht mit «Grandeur» oder «Grandezza» auf.

Seite 45 in Band 2: Klemens Grund – Stuhl D7K und D7 © Foto Copyright Klemens Grund. 2012, Hirnholz AT. Der Stuhl wurde 2012 im Rahmen des international renommierten Design­wettbewerbs «Handwerk und Form» entworfen und in der Folge kontinu­ierlich weiterentwickelt. Der Klapp­mechanismus des D7K versteckt sich elegant in den hinteren Stuhlbeinen. Das Zusammenklappen gleicht einem Zau­ertrick. Ein unerwarteter und faszi­nierender Mechanismus. Massivholz, Messingbeschläge und eine bequeme Rückenlehne aus Form­holz machen den Entwurf zu einem Archetyp unserer Zeit. D7K ist falt­bar, D7 nicht. Materialien: Eiche geölt, Nussbaum geölt, Messing.

Der Einleitung ist zu entnehmen, dass seit dem Jahr 2000 neue Namen mit einer veränderten Mentalität und Ausbildung hervortreten. Anders als ihren Vorfahren sei es einigen von ihnen leichter gelungen, Zugang zu den renommierten Herstellern im Ausland herzustellen, so Atelier Oï für Ikea, Jörg Boner für Moormann, Christian Deuber für Driade, Alfredo Häberli für Moroso, Christoph Marchand für ICF, Hannes Wettstein für Cassina.

Im Vorwort zu Band 2: Neue Schweizer Möbel – Aktuelle Positionen schreibt der Designer Alfredo Häberli von einer neuen Ära der Innovation und Kreativität. Die jungen Designer hätten ein emanzipiertes Selbst­bewusstsein entwickelt und experimentierten mehr als ihre traditio­nellen Vorgänger mit der reinen Schönheit der Form. Ihre Arbeiten zeigten eine Abkehr vom spartanischen Design der Vergangenheit und eröffneten neue, visuell ansprechende Gestaltungsmöglichkei­ten, die ästhetisch anspruchsvoll und dennoch hoch funktional seien.

Laut Alfredo Häberli hat die junge Generation von Designern bereits ihre Studienzeit in den grossen Metropolen verbracht und bringe daher eine globale Perspektive in das Schweizer Design ein. Diese Offenheit und internationale Erfahrung berei­cherten das Schweizer Design und machten es weniger insular als in der Vergangenheit.

In ihrer „Einordnung“ schreibt Gabriela Chicherio, das Lieblingsmöbel von DesignerInnen sei unangefochten der Stuhl. Am Beispiel des Stuhls lasse sich die gesamte Industriegeschichte, wenn nicht sogar die Menschheitsgeschichte ablesen.

Den Grossteil der zwei Bände nehmen natürlich die über 390 abgebildeten Designobjekte ein, die kurz, zusammen mit ihren Designern, vorgestellt werden.

Stefan Zwicky, NR Neue Räume AG, Herausgeber: Schweizer Möbellexikon. Band 1: Schweizer Möbeldesign seit 1920. Band 2: Neue Schweizer Möbel – Aktuelle Positionen. Scheidegger & Spiess, 2024, vierte Auflage, ISBN: 978-3-03942-219-7. Cookies akzeptieren – wir erhalten eine Kommission bei gleichem Preis – und bestellen bei Amazon.de.

Zitate und Teilzitate in dieser Buchkritik / Rezension sind der besseren Lesbarkeit wegen nicht zwischen Anführungs- und Schlussszeichen gesetzt.

Rezension/Buchkritik vom 14. Oktober 2024. Hinzugefügt um 16:41 deutscher Zeit. Details zu den drei Fotos hinzugefügt um 23:21.