Die Schweizer Wirtschaft ist in bedeutenden Teilen exportorientiert. Der erratische, protektionistische Präsident der USA, Donald Trump, nimmt die Schweiz ins Fadenkreuz seiner Zollpolitik. Am „Liberation Day“ hatte er noch mit Warenzöllen von 31% gedroht. Da seither kein für Trump akzeptabler „Deal“ zwischen den USA und der Schweiz zustande kam, droht der amerikanische Präsident den Eidgenossen ab dem 7. August 2025 mit Zöllen von 39% auf Waren, die aus der Schweiz in die USA exportiert werden. Ausgenommen sind (vorerst) Gold und Pharmazeutika. Für Medikamente hat Trump den Pharmariesen, darunter Novartis und die US-Tochter von Roche, Genentech, 60 Tage Zeit gegeben, um von ihm vorgegebene Bedingungen zu erfüllen (Details weiter unten). Dies ist ein schwerer, für die meisten Schweizer zumindest in dieser Höhe unerwarteter Schlag für das Land, das seit 1980 im Rahmen eines Schutzmachtmandates die Interessen der USA im Iran wahrnimmt, darunter sämtliche konsularischen Tätigkeiten.
Schweizer Unternehmen sind mit $310 Milliarden Direktinvestitionen der sechstwichtigste ausländische Investor in den USA, der immerhin 0,5 Millionen Arbeitsplätze in den Vereinigten Staaten geschaffen hat. Dabei handelt es sich sehr oft um gutbezahlte Jobs: im Durchschnitt $100,000 pro Arbeitsplatz. Die Schweiz investiert mehr in Forschung und Entwicklung in den USA als jeder andere ausländische Investor, so die Daten der Eidgenossenschaft. Für die Schweiz sind die USA das wichtigste Land für Direktinvestitionen. Nach Deutschland sind die USA der zweitwichtigste Exportmarkt für die Schweiz. Für die USA wiederum ist die winzige Schweiz der zwölftwichtigste Exportmarkt für Waren und der siebtwichtigste Exportmarkt für Dienstleistungen.
Der US-Finanzminister Scott Bessent hatte die Schweiz noch am 3. Juni 2025 bei einer Rede an der American Swiss Foundation in den höchsten Tönen – unter anderem als „sister republic“ – gelobt. Auch die Gespräche mit dem US-Handelsbeauftragten Jamieson Greer und dem US-Handelsminister Howard Lutnick liefen scheinbar gut. Die Schweizer glaubten, ein Deal von kolportierten 10% – zuletzt auf Grund des EU-Deals von vielleicht 15% – in trockenen Tüchern
Finanzminister Bessent betonte bei der American Swiss Foundation zudem: „We share the same commitment to democracy, federalism, property rights, and the rule of law. We share a preference for free enterprise. And we share a deep connection to Europe—but also a willingness to go our own way.“ In Wahrheit kann unter Trump davon nicht mehr gross die Rede sein. Es gilt das Recht des Stärkeren. Der Präsident unterminiert den Rechtsstaat, die Demokratie, die Beziehungen zu den Alliierten der USA.
Am 31. Juli 2025 machte Trump klar, das er für rezeptpflichtige Medikamente (prescription drugs) die Präferenzklausel (most-favored-nation price, MFN) anwenden will: Medikamente dürfen in den USA nicht teurer verkauft werden als zum tiefsten Preis, für den sie von den Pharmaunternehmen in anderen entwickelten Staaten angeboten werden.
Die USA kennen seit vielen Jahren exorbitante Medikamentenpreise wie sonst kein entwickelter Staat. Bereits Präsident Obama, der immerhin eine wichtige Gesundheitsreform durchbrachte, die allerdings weit von seinen vollmundigen Versprechungen entfernt blieb, biss sich an der Pharmalobby die Zähne aus. Trump geht hier – wie auch zum Beispiel bei den von den Europäern eingeforderten höheren Verteidigungsausgaben – ein reales Problem an. Die Amerikaner sagen dazu: Auch eine Uhr, die still steht, zeigt täglich zweimal die korrekte Uhrzeit an.
Trumps Vorwurf an ausländische und inländische Pharmariesen ist, dass sie ihre Forschungen über in den USA überteuerte Medikamentenpreise – im Brief ist von über dreimal so hohen Preisen die Rede – finanzieren würden. Trump sandte daher Briefe mit seinen Forderungen an folgende Unternehmen: AbbVie, Amgen, AstraZeneca, Boehringer Ingelheim, Bristol Myers Squibb, Eli Lilly, EMD Serono, Genentech, Gilead, GSK, Johnson & Johnson, Merck, Novartis, Novo Nordisk, Pfizer, Regeneron, and Sanofi. Trump droht der Pharmabranche mit Zöllen bis zu 200% [5. August 2025: Trump droht der Pharmabranche nun gar mit Zöllen bis 250%]. Den Unternehmen gab er 60 Tage Zeit zum Handeln.
Der Anteil der Pharmabranche an den Schweizer Gesamtexporten von Waren in die USA beträgt rund 60%. Durch die ab dem 1. August geltenden Zölle von 39% für die Schweiz, deren Inkrafttreten auf den 7. August vertagt wurde, sind daher vorerst vor allem die anderen bezüglich den Vereinigten Staaten wichtigen Schweizer Exportbranchen betroffen: die Maschinen-, Elektronik- Präzisionsinstrumente-, Uhren- und Schmuckindustrie sowie die Nahrungs- und Genussmittelbranche. Die Swatch Group machte 2024 immerhin 18% ihres Umsatzes in den USA. Bei der Luxusgütergruppe Richemont geht es immerhin noch um 10%. Der Nahrungsmittelriese Nestlé stellt laut eigenen Angaben über 90% seiner in den Vereinigten Staaten verkauften Produkte in den USA her, ist folglich vom Zollstreit relativ wenig betroffen, abgesehen von Nischen wie den lukrativen, exklusiv in der Schweiz hergestellten Nespresso-Kapseln.
Die Drohung von US-Zöllen von 39 Prozent auf Schweizer Exporte erfolgte, weil Donald Trump von der Schweiz mehr Zugeständnisse will. Roche hatte zwar angekündigt, in den nächsten Jahren $50 Milliarden in den USA investieren zu wollen, Novartis zog mit der Bekanntgabe von $23 Milliarden nach. Doch Trump war das alles zu wenig. Die Schweiz hatte bereits per 1. Januar 2024 alle Industriezölle abgeschafft. 99% aller Waren aus den USA können daher Zollfrei in die Schweiz exportiert werden. Von den Dienstleistungen der US-Internetgiganten und der Finanzindustrie ist übrigens bei Trump nie die Rede. Die Schweiz exportiert zwar auch viele Dienstleistungen in die USA, doch von dort exportieren die USA noch mehr Dienstleistungen in die Schweiz.
Das Argument der Trump-Administration für 39% für Waren aus der Schweiz war zuletzt laut Reuters, dass die Schweiz als eines der reichsten und einkommensstärksten Länder der Welt nicht erwarten könne, keine bedeutenden Konzessionen zu machen. Die USA könne das Handelsdefizit mit der Schweiz nicht akzeptieren.
Der Kleinstaat Schweiz hat der Grossmacht USA nicht viel entgegenzusetzen. Eine Klage bei der WTO einreichen? Trump ist die Welthandelsorganisation egal. Vom Kauf von F-35 Kampfflugzeugen zurücktreten? Die Sicherheit der Schweiz ist wichtiger. So schnell findet sich kein Ersatz. Die Schweizer Regierung hat sich am Montag, dem 4. August 2025, dazu bereit erklärt, Trump einen attraktiveren Handelsdeal vorzulegen. Zehntausende von Arbeitsplätzen in der Schweiz hängen vom Warenaustausch mit den Vereinigten Staaten ab. Der US-Handelsbeauftragte Jamieson Greer hatte zuvor angemahnt, die Schweiz müsse mehr Medikamente in den USA herstellen. Das Handelsdefizit von $40 Milliarden sei zu hoch.
Hohe Zölle werden zu höherer Inflation in den USA führen. Die Demokraten und der Rest der Welt können nur hoffen, dass sie vor den Midterms die US-Wähler signifikant treffen. Nur wenn die Trump-Cheerleader unter den Politikern Ende 2026 massiv abgestraft werden, kann das Ende der Ära Trump eingeläutet werden. Ansonsten wird der Wahnsinn mit fehlender Rechtssicherheit und fehlender Planbarkeit mit anderen MAGA-Politikern vielleicht sogar über 2028 hinaus weiter gehen.
Freihandel wäre für die Welt die beste Lösung. Bezüglich den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union haben einst vor allem viele Linke und Grüne gegen das Freihandelsabkommen TTIP agitiert. Dabei wurden so dubiose Argumente wie „Chlorhühnchen“ ins Feld geführt, als ob diese besonders gesundheitsgefährdend wären und vor allem als ob irgend ein europäischer Konsument gezwungen worden wäre, solche Hühnchen zu essen. Es gibt keinen Konsumzwang. Jetzt musste die EU 15% Zölle für Warenexporte in die USA akzeptieren. Bravo. Davor lag der Zoll im Schnitt bei rund 3% bis 4%. In die umgekehrte Richtung, für Waren, die von den USA in die EU exportiert werden, gibt es keinen Zoll.
Ist nun Trump ein Genie? Nein. Die US-Konsumenten werden mittel- und langfristig die Zeche für die Zölle über höhere Konsumentenpreise, weniger Auswahl und langfristig auf Grund der reduzierten Konkurrenz über weniger innovative Produkte bezahlen.
Stehen die Briten mit ihren 10%-Zöllen besser da? Nein. Das Vereinigte Königreich importiert mehr aus den USA als es dahin exportiert. Nach Trumps Logik würde dies bedeuten, die USA müssten Zölle auf ihren Exporten ins UK bezahlen.
Mit Trump im Weissen Haus praktizieren die USA einen Protektionismus, wie wir ihn seit den 1930er Jahren nicht mehr gesehen haben. Trump geht insofern noch einen Schritt weiter, als er glaubt, Unternehmens- und Einkommenssteuern durch Zölle ersetzen zu können.
Die Amerikaner und die Welt als gesamtes können nur hoffen, dass Trumps verfehlte Zollpolitik, seine Erpressungsmethoden, sein erratisches Auftreten, seine Unberechenbarkeit, welche das Vertrauen in die USA als politischer, militärischer und wirtschaftlicher Partner erschüttert, vor den Midterms 2026 zu höherer Inflation und Arbeitslosigkeit in den USA führt und so die Wahlchancen für die MAGA-Vertreter innerhalb der Republikaner unterminiert. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Die internationalen Handelsbeziehungen, Lieferketten und die Weltwirtschaft werden allgemein unter Trump leiden.
Bezüglich Trumps Zollkrieg kann die Schweiz nicht viel tun. Der Kleinstaat ist gegenüber einem Rüpel, der rechtsstaatliche Prinzipien nicht respektiert, relativ machtlos. Doch die Schweiz sollte allerlei andere Hausaufgaben machen. Entbürokratisierung in der Schweiz und Freihandelsabkommen mit vielen Ländern rund um den Globus wären da Stichworte. Hinzu kommen weitere Baustellen. Einst ging die Swissair bankrott. Dann musste die UBS über ein Wochenende hin gerettet werden. Dann ging die Credit Suisse den Bach runter. Die „Lösung“: nur noch eine Grossbank. Ein UBS-Klumpenrisiko. Doch nun soll alles anders werden. Wer’s glaubt. Hinzu kommt die Beziehung zur EU. Im Zweiten Weltkrieg lief vieles nicht wie geplant. Nach dem „Anschluss“ Österreichs, nach der Achse zwischen Hitlerdeutschland und Italien und nach der unerwarteten, raschen Niederlage Frankreichs war die Schweiz von feindlichen Mächten vollständig umschlossen. Das war so nicht vorherzusehen. Heute ist die Lage anders. Die EU ist nicht der Feind. Doch seit vielen Jahren sind die Eidgenossen vollständig von EU-Staaten umgeben. Im Kriegsfall wäre die Neutralität gegenüber der EU nicht aufrecht zu erhalten. Rosinenpickerei gegenüber der EU kommt dort nicht gut an. Bezüglich der Ukraine ist die Hilfe aus der Schweiz in Prozent des BIP beschämend gering. Dabei hätte gerade die Schweiz, die ebenfalls weder der NATO noch der EU angehört, ein Interesse daran, dass dem Opfer eines ungerechtfertigten, unprovozierten Angriffskriegs geholfen wird. Der neutrale Staat darf dies militärisch nicht tun, doch wirtschaftlich und finanziell ist Spielraum nach oben. Die Schweiz könnte sich zudem an vom UNO-Sicherheitsrat genehmigten Einsätzen beteiligen, sollte es dazu in der Ukraine kommen. Das wird vom Neutralitätsrecht gedeckt. Politisch darf ein neutraler Staat zudem sagen, was Recht ist und was nicht. Russland als Täter zu bezeichnen, verstösst nicht gegen das Neutralitätsrecht. Konten und andere Vermögenswerte russischer Personen, die auf der Sanktionsliste der EU stehen, wurden in der Schweiz eingefroren. Dem Aggressor Russland darf ein kleiner, verwundbarer Staat nicht in die Hände spielen. Militärisch ist die Gleichbehandling von Kriegsparteien Pflicht, nicht jedoch wirtschaftlich, finanziell und politisch.
Klar ist, dass die Neutralität der Schweiz gegenüber der EU, von der sie voll und ganz umschlossen ist, im Kriegsfall nicht aufrecht erhalten werden könnte, auch wenn die Schweiz ein bedeutender Investor in der EU ist, Hunderttausende aus der EU in der Schweiz wohnen und arbeiten sowie weitere Hunderttausende als Grenzgänger in der Schweiz ihr Geld verdienen. Gouverner, c’est prévoir. Damit tun sich zu viele Schweizer schwer. Es gibt wie oben gezeigt einige heilige Kühe, die, wenn nicht geschlachtet, so doch zumindest an die Realitäten angepasst werden müssten, nicht nur bezüglich Trump. Das Schweizer Bankgeheimnis gegenüber den USA viel de facto 2009 während der Finanzkrise.
P.S. „Fun fact„: Einen Tag nach Trumps 39%-Zollgeschenk an die Schweiz gratulierte der US-Aussenminister Marco Rubio den Schweizern an ihrem Nationalfeiertag, dem 1. August, mit den Worten: “We wish the Swiss people a successful and meaningful celebration and look forward to continued collaboration in the years ahead.”
Alle Cookies akzeptieren, damit sie direkt zur entsprechenden Amazon-Seite kommen. Wir erhalten eine Kommission bei gleichbleibendem Preis:
Maggie Haberman: Täuschung: Der Aufstieg Donald Trumps und der Untergang Amerikas. Siedler Verlag, 2022, 832 Seiten. Das detailreiche Buch der Journalistin der New York Times bestellen bei Amazon.de.
Parfüms bei Amazon Deutschland
Top Angebote und Aktionen bei Amazon Deutschland
Ein Foto sagt mehr als 1000 Worte: Donald Trump vs. Lady Liberty. Das Foto aus dem Jahr 2017 zeigt einen von Jacques Tilly gestalteten Karnevalswagen. Photo Copyright © Grossplastiken.de Jacques Tilly.
Artikel vom 4. August 2025. Hinzugefügt um 20:09 Schweizer Zeit. Zuletzt aufadatiert am 5. August 2025 um 23:06.