Voodoo Jürgens

Aug 17, 2017 at 12:23 2187

Interview, Biografie und Konzertkritik. Konzert an den Musikfestwochen Winterthur

Voodoo Jürgens mit seiner Strizzi-Frisur und -Kleidung und seinen Songs im Wiener Dialekt wirkt authentisch. Der für Aussenstehende manchmal schwer verständliche Text erweist sich im Konzert nicht als unüberwindbare Hürde, sondern als besser verständlich als gedacht.

Biografie von Voodoo Jürgens basierend auf einem Interview, geführt an den Musikfestwochen Winterthur

Nach dem grossartigen Konzert von Voodoo Jürgens an den Musikfestwochen Winterthur vom 16. August 2017 konnte ich mit dem Sänger, Gitarristen, Songschreiber, Geschichtenerzähler und Komponisten ein Interview führen, auf dem diese Biografie beruht.

Voodoo Jürgens wurde am 2. August 1983 als David Öllerer in Tulln an der Donau geboren. Der Ort mit rund 15,000 Einwohner liegt mit der Bahn nur 20 Minuten vom ebenfalls an der Donau gelegenen Wien entfernt, weshalb er und seine Freunde als Teenager lieber in die Hauptstadt gefahren seien, um was zu erleben, als im langweiligen, spiessigen Vorstädtchen zu bleiben. Die Dialekte in Tulln und Wien seien quasi identisch. Zudem hätten seine Eltern ihre Freunde in der Hauptstadt gehabt, weshalb er damit aufgewachsen sei.

Laut einem Artikel von Angelika Strobl in woman.at musste sein Vater eine Haftstrafe antreten, als er 7 war, weshalb es zum Bruch mit ihm kam; später hätten sich die zwei wieder versöhnt. Darüber habe ich mit Voodoo Jürgens nicht gesprochen. Hingegen erzählte er mir von seiner abgebrochenen Lehre als Konditor. Seine Freunde seien auf Kunstschulen gegangen, nur er habe eine Lehre begonnen. Er kam nach einiger Zeit zum Schluss, dass er seine Zukunft nicht als Konditor sieht und schmiss im dritten Lehrjahr hin. Dann habe er die Abendschule besucht, doch ebenfalls abgebrochen; die Matura wäre ohnehin nicht zwingend gewesen, um an einer Kunstschule aufgenommen zu werden.

Nach der abgebrochenen Lehre begann er im Jahr 2001 mit dem Gitarrenspiel. Als Künstler, die ihn beeinflussten, bezeichnet er im Interview die Musiker Tom Waits und Bob Dylan sowie den Schauspieler, Schriftsteller und Kabarettisten Helmut Qualtinger. Er sagte mir auch, dass er damals kleine Jobs hatte.

Tote hat er zwar nicht selbst ausgegraben, doch Totengräber hat er sehr wohl kennengelernt, denn von Frühling bis Herbst 2006 arbeitete er als Friedhofsgärtner in Wien, sagte mir Voodoo Jürgens im Interview. Bereits mit 19 sei er nach Wien gezogen. Er hatte viele kleine Jobs, so in einer Druckerei. Daneben ging er „aufs Arbeitsamt“, lebte von Arbeitslosengeld. So konnte er das tun, was er wollte, nämlich musizieren.

In der ersten Hälfte der 2000er Jahre gehörte der zu dem Mitgründern der Band Die Eternias. Die Gruppe sei noch gar nicht gegründet gewesen, da hätten sie bereits ein Konzert angekündet, was dann den nötigen Druck schaffte, endlich als Band auftreten. Voodoo Jürgens sagte mir, sie hätten damals kunterbunt alle Stile zusammengemischt. Es sei eine Experimentierphase gewesen. Zehn Jahre lang sang er mit der Gruppe auf englisch. Singles, EPs und Alben veröffentlichten sie erst ab 2010, darunter die Alben Die Eternias (Seayou Records, 2010) sowie Sold Out (Seayou Records, 2012). Für Auftritte und Alben hätten sie sich immer wieder neue Pseudonyme ausgedacht. Auf Sold Out sei es für ihn eben Voodoo Jürgens.

Voodoo Jürgens. Photo Copyright © Wolfgang Bohusch.

Bereits im Jahrzehnt mit Die Eternias habe er nebenbei hochdeutsche Songs und Lieder im Wiener Dialekt gesungen, so der Künstler im Interview. Doch erst mit dem Beginn seiner Solokarriere als Voodoo Jürgens ab 2014 sei er öffentlich als Liedermacher mit Wiener Dialekttexten aufgetreten. Spannende Dialektausdrücke faszinierten ihn. Als er im 15. Wiener Bezirk gelebt habe, habe er das inzwischen geschlossene Cafe Fesch mit seinen schrägen gestalten frequentiert und seine Eindrücke niedergeschrieben, überzeugt davon, dass er das Material später einmal gebrauchen könne. Und in der Tat, daraus ist das Lied „3 Gschichten ausn Cafe Fesch“ entstanden.

Voodoo Jürgens gab ab 2014 Solo-Konzerte mit Gitarre in Beisln. Von der Musik leben könne er erst seit 2015. Im darauffolgenden Jahr ging es dann richtig steil bergauf. Zuerst schaffte es seine im Mai 2016 erschiene Single „Heite grob ma Tote aus“ auf den ersten Platz der Charts des führenden österreichischen Radiosenders FM4. Sein am 30. September 2016 veröffentlichtes Debütalbum Ansa Woar (Audio-CD: Amazon.de; Vinyl-LP: Amazon.de.) erreichte danach ebenfalls Platz 1 in der österreichischen Hitparade. Der schräge Junge – heute immerhin auch schon 34 – aus der Vorstadt schlug ein wie eine Bombe. Er und seine Lieder sind anders, authentisch. Er erzählt mit einer guten Dosis Schmäh erlebte und beobachtete Geschichten der Strizzi, Hallodri, Trinker, Gescheiterten, Kleinkriminellen und einfachen Leute aus Wien.

Konzertkritik: Das Konzert von Voodoo Jürgens an den Musikfestwochen Winterthur

Am Abend des 16. August 2017 trat Voodoo Jürgens mit seiner 2017 zusammengestellten Band Anser Panier auf der Kirchplatz-Bühne an den Musikfestwochen Winterthur auf. Zuerst sei er alleine unterwegs gewesen, doch dann habe er einige Freunde hinzugeholt. Bernd „Körndel“ Lichtscheidl an der Orgel, Martin Dvorak am Kontrabass und David Schweighart am Schlagzeug spielten bereits auf seinem Debütalbum als Voodoo Jürgens mit. Zu den vier Jungs gesellte sich noch Alicia Edelweiss an der Ziehharmonika hinzu.

An den Musikfestwochen Winterthur begann das Quintett mit dem Lied „Wien bei Nacht“, das übrigens nicht auf Ansa Woar zu hören, jedoch ebenfalls in der Zeit des Albums entstanden ist. Im Interview nach dem Konzert sagte mir Voodoo Jürgens, der im schrägen Terrakotta-farbenen Anzug im Stil der 70er Jahre auftrat, dass „Wien bei Nacht“ in einem Tatort, der noch 2017 ausgestrahlt werde, zu hören sein wird.

Voodoo Jürgens. Photo Copyright © Wolfgang Bohusch.

Daraufhin folgte „Nochborskinda“ aus dem Debütalbum. Der Song ist wie alle des Abends eher schlicht instrumentalisiert und komponiert. Das Stück lebte wie alle vorgetragenen Werke vom Text und der Bühnenpräsenz von Voodoo Jürgens, wobei die kompositorische Einfachheit keine Schwäche war. Im Gegenteil: Die Band Anser Paniergab den Liedern durch ihre Begleitung noch mehr Kraft.

Auf das getragene „Nochborskinda“ folgte als drittes Lied „Auf da Strossn“, mit dem Voodoo Jürgens das Publikum fesselte. Er sang gut verständlich. Die Atmosphäre war stimmig. Ein erster Höhepunkt des Konzerts war erreicht.

„Oa Arge Hackn“ kam mit einem mitreissenden Beat und erzählte die Geschichte eines einfachen Mannes, eines Pöstlers. Das Lied findet sich nicht auf der Debüt-CD, anstand jedoch ebenfalls in jener Zeit und überzeugte ebenso wie das Album.

Das fünfte Stück des Abends, „3 Gschichtn ausn Cafe Fesch“, begeisterte zurecht das Publikum mit der oben erwähnten Beschreibung von Besuchern jenes Wiener Hallodri-Szenen-Cafes im 15. Wiener Bezirk, das es heute nicht mehr gibt.

Die Geschichte von „Hansi da Boxer“, der laut Voodoo Jürgens in den 60er Jahren mal einen Europatitel gewann, ehe er zu trinken anfing, abstürzte, um danach als Sänger einen Hit zu landen, riss die Zuhörer in ihren Bann.

Band und Sänger wurden immer besser. „Gitti“ war stimmig und zog noch mehr Leute an, die es zur kleinen Bühne drängte, bis wirklich kein Platz mehr frei war.

„Faung da nix an“ folgte als achter Song des Abends und begeisterte ebenso wie der darauffolgende Hit „Heite grob ma Tode aus“, bei dem das Publikum als Chor mitmachte. Der Sänger hatte das Publikum im Sack.

„Weh au weh“ kündigte Voodoo Jürgens als weiteres „Begräbnislied“ an, bei dem es fröhlich zuging und das Publikum erneut mitsang. Wer hätte gedacht, dass es ein Strizzi mit so schrägen Songs an die Spitze der österreichischen Hitparade schafft?

Das nächste Lied, „Kumma net“, stammt aus dem Theaterstück Ja-ehvon Stefanie Sargnadel, die damit den Bachmann-Publikumspreis gewonnen hat. „In deiner Nähe“ wiederum kündete der Sänger als Schmuselied an, das eingängig daherkam.

Und schon waren wir beim dreizehnten Song des Abends angekommen, den Voodoo Jürgens als den letzten bezeichnete. „Meine Damen, meine Herren“ aus Ansa Woar brachte den vollen Platz weiter in Stimmung. Viel Applaus und die Forderung nach einer Zugabe waren die logische Folge.

Voodoo Jürgens kam nochmals auf die Bühne für das stimmige Solo„Tulln“. Danach war noch genügend Energie da für ein zweites Encore,„Alimente“, bei dem die Gruppe wieder vereint auf der Bühne stand und eine Frauenstimme per Band eingespielt wurde, die sich bei Voodoo Jürgens beklagte. Das Lied ist autobiografisch inspiriert – der Sänger hat eine Tochter, lebt jedoch nicht mit Mutter und Kind zusammen – und bildete den krönenden Abschluss eines begeisternden Abends mit einem Geschichtenerzähler, der sein Publikum zu fesseln vermag.

Voodoo Jürgens hat alle Lieder des Konzertes an den Musikfestwochen Winterthur selber komponiert und getextet. Von ihm dürfen wir hoffentlich in Zukunft noch einiges hören.

Voodoo Jürgens: Ansa Woar. Debüt-CD als Solokünstler. Erschienen beim Lotterlabel am 30.9.2016. Die Audio-CD bestellen bei Amazon.de. Das Album als Vinyl-LP bestellen bei Amazon.de.