Warhol. Ein Leben als Kunst

Jun 02, 2021 at 15:34 1055

Die Andy Warhol-Biografie von Blake Gopnik liegt seit Ende 2020 bei C. Bertelsmann auf Deutsch vor: Warhol. Ein Leben als Kunst. Hier endlich meine Rezension zu den über 1200 Seiten, die logischerweise nur einen winzigen Einblick in das umfassende Werk bieten kann.

Blake Gopnik beginnt seine Biografie mit einem Blick auf das Jahr 1968, in dem Valerie Solanas – eine gestörte Mitläuferin seiner Factory – Warhol niederschoss und dieser fast verblutete. Er überlebte nur dank Giuseppe Rossi. Der nach dem Krieg aus Italien eingewanderte Chirurg war ein hochqualifizierter Thoraxspezialist, der alles über Schussverletzungen wusste. Der Biograf schildert die Szene in allen ihren schrecklichen Details. Danach erst wendet er sich der Jugend des Künstlers zu.

Andy Warhol wurde am 6. August 1928 im Arbeiterstadtteil Soho von Pittsburgh als Andrew Warhola („Warchola“ ausgesprochen) geboren, als dritter Sohn eines armen Bauarbeiters. Die Eltern waren Karpato-Ruthenen aus einem ärmlichen Dorf am östlichsten Ende des Habsburgerreiches, das heute in der Slowakei liegt. Andy Warhol versuchte später, diese Wurzeln loszuwerden oder zu verschleiern. 1949 sprach er bewusst fälschlicherweise von einer Geburt in einem Stahlwerk in Pittsburg. In den 38 Jahren, in denen er in New York lebte, zog es ihn nicht einmal eine Handvoll mal zurück in seine Heimatstadt, die er einmal als „der schrecklichste Ort, wo ich je im Leben war“ beschrieb. 1965 behauptete er gegenüber Who’s Who, er wäre in Cleveland geboren und Kind der adligen – und gänzlich fiktionalen „von Warhols“. Laut Gopnik dauerte die Verwirrung bis in die 1990er Jahre.

Alle drei Warhola-Buben wurden zu Hause von der Mutter mit Kunst beschäftigt und waren in der Schule immer hervorragend im Fach Kunst. Sie waren byzantische  Katholiken. Andy ging sein Leben lang regelmässig in die Kirche. Es gefielt ihm nach eigener Aussage sogar, doch er glaubte nicht an ein Leben nach dem Tod. Was laut Blake Gopnik von der Religion den Weg in Warhols Kunst fand, war das Gold der Ikonen. Der Biograf verweist gleichzeitig auf andere Stimmen, so jene, die meint, dass das Gold in Warhols Werk Gold Marilyn stehe nicht für byzantinische Ikonen, sondern wenn schon, dann für Miami Beach.

Die Biografie beschreibt unter anderem Warhols Kunststudium am Carnegie Tech, seine Zeit als Schaufensterdekorateur und als Gebrauchsgrafiker, die Bedeutung von Dada für seine Kunst, seine ersten Verträge in New York, seine Arbeit für Modemagazine, die Gestaltung von Plattencovers, sein Leben als Homosexueller, seine Capote-Obsession, sein kommerzieller Erfolg, wie das Schaufensterdekor zur Pop-Art wird, die Bedeutung von Yves Klein, der Besuch von Ivan Karp und Henry Geldzahler im Warhol-Atelier, die Geburt des Siebdrucks, die Entdeckung der Factory, der Galerie-Wechsel von Eleanor Ward zu Leo Castelli, die Zeit mit The Velvet Underground, Valerie Solanas, finanzielle Schummeleien, die Jet-Set Freunde von Warhol, die Bedeutung von Elvis und Liz Taylor, Edie Sedgwick und Candy Darling, die Zusammenarbeit mit Basquiat, Probleme mit der Gallenblase und eine verhängsvolle Operation. Alleine eine Aufzählung der Kapitel wird uferlos.

Blake Gropnik soll acht Jahre an seinem Werk gearbeitet haben. Nicht im Buch, doch auf der Webseite des US-Publishers Harper Collins, sind über 7300 Fussnoten zu seinem Text abrufbar. Dieser ist logischerweise enorm detailreich, voller Anekdoten, öfters auch tiefer schürfend.

Hat Andy Warhol einen gewissen Pablo Picasso als bedeutendsten und einflussreichsten Künstler des 20. Jahrhunderts abgelöst? Der Autor schreibt, es sehe immer mehr danach aus. Blake Gopnik erwähnt zudem das Jahr 1966, in dem in einem Wettbewerb der Spanier mit Abstand als grösster lebender Maler gewählt wurde. Rund 200 Künstler waren vorgeschlagen worden. Die versammelten Kunstkritiker und Kulturinteressierten hatten Andy keine einzige Stimme gegeben. Die Zeiten ändern sich. Einig sind sich wohl alle, dass es Warhol gelang, den zu Beginn seiner Karriere in den USA dominierenden Abstrakten Expressionismus eines Jackson Pollock mit Campbell-Suppen, Brillo-Boxen und vielem mehr abzulösen.

Blake Gopnik: Warhol. Ein Leben als Kunst. C. Bertelsmann, November 2020, 1232 Seiten. Deutsche Ausgabe bestellen bei Amazon.de. Order the original English edition Warhol: A Life as Art from Amazon.de, Amazon.com, Amazon.co.uk, Amazon.fr.

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Rezension /  Buchkritik hinzugefügt am 2. Juni 2021 um 15:34 deutscher Zeit.