Eine Kanzlerschaft der Mittelmässigkeit mit vielen Tiefpunkten
Die Umweltpolitik von Angela Merkel
Genau heute vor 10 Jahren wurde Angela Merkel Kanzlerin. Zuvor war sie unter Helmut Kohl unter anderem von 1994 bis 1998 Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Das Thema begleitet sie noch heute. So bei der von ihr entschiedenen „Energiewende“. Doch noch heute bezieht Deutschland ein Viertel seiner Elektrizität aus Braunkohle. Deutschland ist der grösste Braunkohle-Produzent der Welt, noch vor China! Immerhin wurde im Oktober 2015 entschieden, drei Energiekonzerne sollen von 2016 bis 2019 mehrere Braunkohlekraftwerke vom Netz nehmen. Vier Jahre lang sollen diese allerdings weiterhin als letzte Absicherung zur Stromversorgung bereitstehen, und erst danach endgültig abgeschaltet werden. Bis dahin sollen die Energieunternehmen dafür Entschädigungen vom Staat erhalten.
Die Physikerin Angela Merkel verteidigte bis hin zu Fukushima die Atomenergie. Als Umweltministerin wie auch als Kanzlerin. Sichere Atomendlager hat auch sie nicht durchgesetzt. Als Kanzlerin sagte sie 2009, sie wolle eine Energiepolitik, die nicht Kernkraftwerke abschalte, wenn sie noch bestens geeignet seien und Strom lieferten, sondern sie wolle diesen Ausstieg aus der Kernenergie stoppen. Noch kurz vor dem japanischen Reaktorunfall verlängerte sie als Kanzelerin die Laufzeiten für Atomkraftwerke. Nach Fukushima fiel sie um. Zum Teil sicher, weil sie über Nacht ihre Einstellung zur Nuklearenergie änderte. Wenn das hochtechnologisierte Japan mit der Atomenergie nicht umgehen kann, dann niemand, mag sie geurteilt haben. Allerdings gibt es in Deutschland auch keine Tsunamis. Und der Tsunami hat 99% aller Opfer in Japan verursacht, nicht der Reaktorunfall, wobei allerdings viele Strahlenopfer erst langfristig zu beklagen sein werden. Bis jetzt soll es ja offiziell erst eines gegeben haben.
Doch das ist nicht die ganze Geschichte zu Merkel und Fukushima. Die Kanzlerin hat als junge Frau das Ende des Ostblocks erlebt. Sie wollte nach Fukushima nicht auf der falschen Seite der Geschichte stehen. Zudem standen Wahlen an. Als langjährige Verteidigerin der Atomenergie sah sie sich plötzlich angreifbar. Auch daher die Kehrtwende.
Angela Merkel leitete bei der Entscheidung zur Energiewende nicht nur die nüchterne Naturwissenschaftlerin, sondern zudem viel DDR-Sozialisierung, Lernen vom Machtpolitiker Helmut Kohl und eine gute Dosis Opportunismus à la Seehofer. Soviel zur Glaubwürdigkeit von Merkels Umweltpolitik.
Angela Merkel und die Flüchtlingskrise
Viele Flüchtlinge kommen schon seit Jahren mit Booten nach Italien und Griechenland. Das kümmerte ihn Deutschland jahrelang niemanden. Auch nicht Angela Merkel. Das war ein Problem der Italiener und Griechen. Von der Türkei, dem Libanon und Jordanien wollen wir gar nicht reden. Erst als die Flüchtlingswelle 2015 auch Deutschland erreichte, änderte sich dies.
Die Pilgerreise zu Erdogan in Sachen Flüchtlinge nur zwei Wochen vor den türkischen Parlamentswahlen vom 1. November 2015 gehört zu den zahlreichen Tiefpunkten der Kanzlerschaft von Angela Merkel.
Am CSU-Parteitag sagte Kanzlerin Merkel am 21. November 2015 allen Ernstes, die EU dürfe Länder wie Jordanien, den Libanon oder die Türkei bei der Aufnahme von Flüchtlingen nicht alleine lassen. Das ist natürlich richtig. Mit keinem Wort erwähnte sie jedoch, dass sie und ihre unfähige Regierung – zusammen mit anderen Ländern – Mitte 2015 die Hilfe für die Flüchtlingslager um Syrien herum gekürzt hatten, weshalb dort eine Fluchtbewegung hin zu Europa erst richtig einsetzte. Und dann kam sie mit ihrer Willkommenskultur, die an und für sich nicht falsch war, doch von verzweifelten Flüchtlingen als Einladung verstanden wurden, weshalb die Migrationszahlen nochmals hochschnellten. Dass insbesondere die osteuropäischen Staaten, die nie zu Merkels Flüchtlingspolitik konsultiert wurden und eine ganz andere Geschichte haben, nun lamentieren und zurecht meinen, die Flüchtlingen wollten ohnehin nach Deutschland, darf nicht verwundern, so traurig dies ist.
Als Kanzlerin Merkel zu Beginn der Flüchtlingswelle sagte, wir schaffen das, meinte sie eigentlich, ihr schafft das. Da die Bayern die Hauptlast zu tragen haben, kann es nicht verwundern, dass dort grosser Widerstand herkommt und der Ruf nach Obergrenzen für Flüchtlinge laut wird. Flüchtlinge in Syriens Nachbarländern unterzubringen machte mehr Sinn und wäre erst noch viel günstiger.
Und wie immer tut Angela Merkel so, als habe sie gar nichts mit den Fehlern zu tun, für die sie mit- oder sogar hauptverantwortlich ist. Die von ihr mitverantwortete fehlende Sicherheitspolitik der EU gehört ebenfalls dazu. Waffen nach Saudi Arabien liefern, den zweifelhaften Führern von Katar, Ägypten und der Türkei Honig um den Bart schmieren geht, aber Verantwortung für die Sicherheit Europas und der Welt übernehmen, eher weniger.
Natürlich sollten Deutschland und Europa in der Lage sein, zwei Millionen Flüchtlinge aufzunehmen. Doch jedes Jahr aufs Neue wird dies nicht möglich sein. Vor allem aber handelt es sich um reine Symptombekämpfung, weil Deutschland und die EU nicht bereit sind, in der Welt, ja nur schon in ihrer Region Führung zu übernehmen. Da sich gleichzeitig die USA unter Präsident Obama von der Rolle des Weltpolizisten verabschiedet haben, entstand ein gefährliches Vakuum, in dies der IS, die Taliban, Putins Russland und andere hineinstiessen.
Kanzlerin Merkel und die Finanz- bzw. „Eurokrise“
Wie der vor kurzem verstorbene Helmut Schmidt gehört Angela Merkel zu den überschätzten deutschen Kanzlern. Der Hamburger scheiterte nicht zuletzt an der eigenen Partei. Doch als Krisenmanager bewährte er sich sowohl als Innensenator in Hamburg bei der Sturmflut wie auch als Kanzler während der Terrorwelle. Angela Merkel hingegen hat in Krisen oft versagt bzw. „Lösungen“ gefunden, die sich langfristig katastrophal auswirken könnten. Sie hat serienweise rote Linien in der Finanzkrise überschritten. So wurden Staatsschulden in privater Hand sozialisiert, das heisst, dem Steuerzahler aufgebürdet (siehe Hans-Werner Sinn Der Euro). De facto fand eine Vergemeinschaftung von Schulden statt. Zur Zeit soll die EU-Kommission gerade an einer europäischen Einlagensicherung der Banken arbeiten, durch die Sparer mit Einlagen bei deutschen Banken im Notfall für griechische oder spanische Banken haften müssten. Da die Kanzlerin zuvor schon viel Unsinn mitgemacht hat, ist ihr auch hier alles zuzutrauen.
Das wichtigste wäre, die Finanzbranche so umzugestalten, dass die Institute nicht mehr so wie bisher verflochten bleiben, sodass der bankrott einer Firma keine Kettenreaktion auslösen kann. In dieser Hinsicht ist auf der ganzen Welt nichts passiert. Zudem gehören Oligopole abgeschafft. Mehr Konkurrenz muss her durch kleinere Institute. In der Krise ist das Gegenteil geschehen. Heute sind die Grossbanken noch grösser und weniger als zuvor. Zudem wurden Kriminelle in der Finanzbranche kaum zur Rechenschaft gezogen. Wenn jemand bluten musste, dann in der Regel Firmen. Die Menschen dahinter wurden in den wenigsten Fällen für Verfehlungen belangt.
Die Kanzlerin und die Autolobby
Kanzlerin Merkel hat wie ihre Vorgänger alles für die deutsche Autolobby getan. Von der Abwrackprämie über lasche Abgastests bis zu Interventionen auf EU-Ebene zum „Schutz“ der heimischen Autoindustrie. Das solche falsch verstandenen Liebesdienste langfristig kontraproduktiv sind, sieht man gerade bei VW. Das Versagen der Volkswagen-Manager ist selbstverständlich die Hauptursache für die Probleme der Wolfsburger, doch die Politik hat jahrzehntelang tapfer weggeschaut.
Angela Merkels politischen Handeln ist geprägt aus einem ein Mix aus DDR-Erfahrung (nicht auf der falschen Seite der Geschichte stehen), Lernen von Helmut Kohl (Krisen aussitzen und Machtpolitik) und Horst Seehofer (politischer Opportunismus, Fähnchen im Wind).
Neben vielen anderen zu erwähnen wäre noch die Landwirtschaftlobby, deren Einfluss nach wie vor das Budget der EU dominiert. Die Kanzlerin fährt auf Sicht. Vorausschauendes Handeln ist nicht zu erkennen. Und wo sie abrupt handelt, scheint es nicht durchdacht, so in der Energie- und der Flüchtlingspolitik.
Merkel und Europa
Die Finanzkrisenpolitik der Kanzlerin ist, wie oben erwähnt, schlecht und birgt riesige Gefahren für die Zukunft in sich. Der Euro wird immer mehr zum Spaltpilz. Nur kurzsichtige Symptombekämpfung bringt nichts.
Gleichzeitig ist klar, gäbe es die EU nicht, wäre es vielleicht schon 2015 zu militärischen Grenzscharmützeln zwischen einigen Staaten in Europa gekommen. Das Friedensprojekt EU darf nicht durch eine verfehlte Euro-, Finanz-, Wirtschafts-, Sicherheits-, Flüchtlings- und Nachbarschaftspolitik gefährdet werden.
Was für ein Europa will Merkel? Mehr Zentralismus? Eine einheitliche Finanz- und Wirtschaftpolitik? Eine politische Union? Eine EU, in der jeder Staat für seine Finanzen selbst verantwortlich ist und nicht rausgehauen wird, in der Freihandel herrscht und eine gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik betrieben wird, wäre wohl erstrebenswerter.
Merkels erbärmliche Bilanz
Angela Merkel hat in den zehn Jahren ihrer bisherigen Kanzlerschaft nicht viel gerissen. Ursula von der Leyen entstaubte mit ihrer Rückendeckung – und manchmal auch ohne diese – das Familienbild der CDU, wie bereits 2010 erwähnt. Hinzu kam als wichtige Reform fast nur noch die Erhöhung des Rentenalters auf 67. Doch diese mutige Reform wurde ja in dieser Legislaturperiode teilweise wieder zurückgenommen, was wir Ende 2013 bedauerten und als Stillstand in Deutschland mit Schwarz-Rot bezeichneten.
Von der notwendigen Steuerreform, die Schwarz-Gelb einst im Wahlkampf versprach, spricht sie schon lange nicht mehr. Die liberale Wende kam nie, weshalb Deutschland mittelfristig auf grosse Probleme hinsteuert, nicht zuletzt auch wegen der demographischen Entwicklung.
Zwei sozialdemokratische Parteien verwalten das Land und profitieren von Schröders Agenda 2010, wie Marcel Fratzscher in Die Deutschland-Illusion geschrieben hat, da deren Früchte erst ab 2007 sichtbar geworden seien. Die Arbeitslosigkeit ist heute fast halb so hoch wie Merkels Amtsantritt. Allerdings fast ausschliesslich dank Schröders Reformen.
Hinzu kommt, dass Deutschland von der Finanzkrise insofern profitiert hat, als Geld aus den Krisenländern in sichere Häfen floss, wovon Angela Merkels Regierung profitierte. Die Zinsen auf den Staatsschulden sind gesunken. Finanzminister Schäuble konnte einen ausgeglichenen Haushalt präsentieren.
Noch zu erwähnen wäre der Rückfluss von Steuergeldern aus ehemaligen Schwarzgeldoasen wie der Schweiz. Dies ist jedoch dem Ankauf von Steuersünder-CDs, so durch Nordrhein-Westfalens Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) und anderen zu verdanken, nicht aber der deutschen Bundesregierung, die in den letzten zehn Jahren nicht viel zustande gebracht hat. Mittelmass ist nicht gut genug.
Wer kommt nach Merkel?
Zehn Jahre Angel Merkel sind genug. Die Mittelmässigkeit ihrer Regierung ist erschreckend. Die Fehler, die sie machte, könnten Deutschland und Europa noch teuer zu stehen kommen.
Doch denkt man an eine mögliche Nachfolge, wird es einem erst recht angst und bang. In einer Rezension von Nikolaus Blomes Zauderkünstlerin erwähnte ich 2013 Ursula von der Leyen als möglichen Notnagel. Da die Kanzlerin fast ausschliesslich von Leuten aus der zweiten Reihe umgeben ist – viele von ihnen sind frühere Staatssekretäre und andere Wasserträger – , ist die Auswahl beschränkt. Da Finanzminister Schäuble bisher – trotz Solotouren – eine loyale Seele war, scheint nichts auf einen internen Putsch gegen Merkel wegen der Flüchtlingswelle hinzudeuten.
Bei der Opposition sieht es noch düsterer aus. Der letzte, dem man die Kanzlerschaft zugetraut hätte, war Peer Steinbrück. Natürlich wird sich wieder jemand finden lassen, der Deutschland vernünftig regieren kann. Nur ist leider zur Zeit nicht zu sehen, wer dies sein könnte.
Es gäbe noch viel mehr zu berichten aus Merkels Deutschland. Ihre Kanzlerschaft der Mittelmässigkeit zeichnet sich durch Tiefpunkte aus, die Deutschlands Zukunft noch Jahre lang belasten werden. Dennoch stehen die deutschen Wähler nach wie vor in der Mehrheit hinter Angela Merkel.
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Gerd Langguth: Angela Merkel. Dtv, 2005, 399 S. Buch bestellen bei Amazon.de. Das Buch stellt nicht nur Merkels Werdegang dar, sondern bietet zudem Einblicke ins Funktionieren der CDU.
Evelyn Roll: Das Mädchen und die Macht. Angela Merkel. Rowohlt, 2001. Biografie bei Amazon.de bestellen.
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Artikel vom 22. November 2015 um 14:20 CET