CDU und SPD fahren in Thüringen die schlechtesten Ergebnisse ihrer Geschichte ein

Okt 28, 2019 at 16:04 991

Die Linke mit dem Amtsbonus von Ministerpräsident Bodo Ramelow sowie die AfD unter Führung ihres Rechtsauslegers Björn Höcke feiern die besten Wahlergebnisse ihrer Geschichte.

Von den 1,73 Millionen Wählern in Thüringen bemühten sich am 27. September 65,5% an die Urnen oder hatten bereits per Brief gewählt. Das ist ein deutliches Plus gegenüber 2014, als nur 52,7% an der Landtagswahl teilnahmen.

CDU und SPD fahren in Thüringen die schlechtesten Ergebnisse ihrer Geschichte ein. Die Linke mit dem Amtsbonus von Ministerpräsident Bodo Ramelow sowie die AfD unter Führung ihres Rechtsauslegers Björn Höcke feiern die besten Wahlergebnisse ihrer Geschichte.

Laut dem vorläufigen Ergebnis kommt die Linke auf 31% (+2,8%). Die CDU verliert massiv, nämlich mehr als jeden dritten Wähler (!), und landet bei nur noch 21,8% (-11,7%). Die SPD verliert rund jeden dritten Wähler und wird mit 8,2% (-4,2%) einstellig. Die AfD mit 23,4% (+12,8%) hat sich mehr als verdoppelt. Die Grünen kommen auf 5,2% (-0,5%), die FDP schafft mit 5% (+2,5%) knapp den Wiedereinzug in den Thüringer Alltag. Auf andere Parteien entfielen immerhin noch insgesamt 5,4% (-1,7%) der Stimmen.

Im Thüringer Landtag mit insgesamt 90 Mitgliedern sitzen zukünftig 29 Vertreter der Linken, 22 der AfD, 21 der CDU, 8 der SPD, 5 der Grünen und 5 der FDP. Bei der Bildung einer neuen Koalition ist da viel Kreativität gefragt. Dass der beliebte Bodo Ramelow nicht wieder Ministerpräsident wird, ist so gut wie ausgeschlossen.

Die Wählerwanderung – Wahlstromanalyse von Infratest dimap

Dieses Wahlresultat hat Gründe. So ist die Linke (wie die Grünen-Partei) eigentlich Fleisch vom Fleisch der SPD, die AfD Fleisch vom Fleisch der CDU. Laut einer Analyse von Infratest dimap für die ARD zeigt die Wählerwanderung allerdings überraschendes. Die CDU verlor zwar netto mit 36.000 Wählern am meisten an die AfD, doch daneben 23.000 an die Linke! Hinzu kommen 5.000 an die Grünen. Mit der SPD soll die Nettowanderung null Stimmen betragen haben. Positiv war nur, dass die CDU 30.000 Stimmen aus dem Nichtwähler-Reservoir mobilisieren konnte.

Die SPD verlor 20.000 Stimmen an die Linke, 7.000 an die AfD, 1.000 an die Grünen sowie nochmals 1.000 an andere. Mit der CDU war der Netto-Wähleraustausch wie erwähnt null. Wie die CDU vermochte sie es ebenfalls, Nichtwähler zu mobilisieren, nämlich 14.000.

Die Linke gewann 23.000 Stimmen von der CDU, 20.000 von der SPD, 9.000 von den Grünen, 53.000 Nichtwähler. Sie verlor nur Wähler an die AfD, nämlich 16.000, sowie 2.000 an andere Parteien, die es nicht in die Landtag schafften.

Die AfD gewann wie die Linke Stimmen von der CDU (netto 36.000) und von der SPD (7.000) sowie daneben von der Linken (16.000), den Grünen (1.000), aus dem Nichtwähler-Reservoir (78.000!) und von anderen Parteien, die es nicht in den Landtag schafften (13.000). Mit anderen Worten, die AfD gewann netto von allen erwähnten Lagern. Die FDP wurde leider in dieser Wählerstromanalyse nicht berücksichtigt.

Die Grünen gewannen netto 5.000 Wähler von der CDU, 1.000 von der SPD, 3.000 Nichtwähler, verloren jedoch 9.000 an die Linke, 1.000 an die AfD sowie 3.000 an andere Parteien, die es nicht in den Landtag schafften. Die Klimadebatte hat den Grünen in Thüringen nicht geholfen.

Der Wahlkampf von Mike Mohring für die CDU

Es gab kein Thema, das in der Meinung der Wähler den Wahlkampf dominierte, indem es klar die oberste Priorität genoss. Mit 27% stand die soziale Sicherheit zuoberst auf der Agenda der Thüringer.

Die Landes-CDU unter Spitzenkandidat Mike Mohring machte eine aggressive, im Ton manchmal rechtslastige Kampagne, die schon mal an die AfD erinnerte, selbst wenn er sich von dieser scharf abgrenzte. Allerdings sagte er dem Focus in einem Interview am 13. September veröffentlichten Interview: “ Wir sind nicht Teil einer nationalen Front gegen die AfD.“ Die Süddeutsche Zeitung berichtete am Wahltag von einer Kampagne unter dem Titel „Schluss damit!“ in der ein Schluss mit Unterrichtsausfall, Schluss mit Angriffen auf Polizisten und ein Schluss mit dem „Windrad-Wahnsinn“ gefordert wurde. Vom „Windrad-Wahnsinn“ sprach Mike Mohring bereits im oben erwähnten Interview im Focus.

Doch die populistischen, schrillen Töne halfen der CDU nicht. Im Gegenteil. 2019 stellt die CDU erstmals nicht mehr die grösste Fraktion im Thüringer Landtag. Mit der politischen Arbeit von Mike Mohring sind laut Infratest dimap lediglich 38% der Wähler zufrieden, während dem 68% Zufriedenheit mit der Arbeit von Ministerpräsident Bodo Ramelow bekunden. Die CDU verlor gegenüber 2014 bei Wählern Zustimmung in zentralen Themenfeldern wie Arbeit, Wirtschaft und innere Sicherheit, die sonst als ihre Kernthemen galten.

Nicht zuletzt wird die Linke in Thüringen als Partei der Mitte gesehen, weshalb die CDU heute schlechter abschnitt als die SED-Nachfolgepartei. 69% aller Wähler sind der Meinung, die CDU sollte die Frage einer Koalition mit der Linken neu überdenken. Nur 25% sind strikt dagegen. Bei den CDU-Wählern ist die Lageeinschätzung nur unwesentlich anders: 68% sind dafür, dass die CDU neu entscheidet, ob sie eine Koaliton mit der Linken eingehen soll, nur 28% sind weiterhin für eine strikte Abgrenzung. Selbst Mike Mohring meinte noch am Wahlabend, alle in den Landtag Gewählten müssten nun, da es keine Mehrheiten in der Mitte mehr gebe, miteinander reden. In der Tat ist es so, dass die Linke und die CDU zusammen mit 50 Sitzen eine klare Mehrheit im Landtag mit 90 Abgeordneten hätten. Da niemand mit der AfD zusammenspannen will, wären alle anderen Koalitionen kompliziertere Konstrukte. Die Linke und die CDU in einer Regierung?

[Hinzugefügt um 23:42: Die CDU Thüringen schreibt in einer Pressemitteilung, dass es weder eine Koalition mit der AfD noch mit der Linken geben wird. Mike Mohring revidiert folglich seinen am Wahlabend angedeuteten möglichen Kurswechsel und schwenkt wieder auf die Linie des Bundes-CDU ein].

Die SPD im Bund auf Abwegen, im Land unsichtbar

Die Bundes-SPD ist seit dem Rücktritt von Andrea Nahles von all ihren politischen Ämtern mit der Wahl einer neuen Parteichefin bzw. eines neuen Parteichefs, also mit sich selbst beschäftigt. In der ersten rot-rot-grünen Landesregierung wurden die Sozialdemokraten kaum wahrgenommen.

Der Wahlsieger in Thüringen heisst die Linke bzw. Bodo Ramelow

Der Wahlsieger Bodo Ramelow von der Linken dürfte ziemlich sicher weiter Ministerpräsident bleiben. Die Frage ist nur: Mit wem? 50% aller Wähler sind zufrieden mit der Arbeit seiner bisherigen Regierung. 8% sogar sehr zufrieden. Dennoch wurde die bisherige Regierung abgewählt. Sie hatte am 27. Oktober 2019 keine Mehrheit mehr trotz 58% Zustimmung.

Beim Antritt von Rot-Rot-Grüne vor fünf Jahren standen die Zeichen auf Alarm. Würden die vereinten Linksparteien das Land versenken? Es gibt nach wie vor viel zu tun, doch Linke, SPD und Grüne haben Thüringen in den letzten fünf Jahren nicht ruiniert.

Laut Infratest dimap wurde 2019 die Linke von 58% der Wähler als jene Partei wahrgenommen, die sich am stärksten um sozialen Ausgleich bemühte. 55% meinten, sie habe ein gutes Gespür für die Probleme der Menschen in Thüringen. 54% waren der Ansicht, die Linke kümmere sich am ehesten um die Probleme in Ostdeutschland. 48% sind der Meinung, die Linke in Thüringen sei eine Partei der Mitte.

99% der Wähler der Linken sind der Meinung, Bodo Ramelow sei ein guter Ministerpräsident. 54% sagten, er sei der wichtigste Grund, die Linke zu wählen. 30% stimmten der Aussage zu, ohne ihn kämen sie gar nicht auf die Idee, die Linke zu wählen.

Bei der Tätigkeit der Linken-Wähler machten Rentner 40% (+4% gegenüber 2014) aus, Angestellte 30% (+6%), Arbeiter 24% (-3%) und Selbständige 20% (+6%). Die Linke ist folglich keinesfalls eine Arbeiterpartei.

Die AfD stark trotz und nicht wegen Höcke

Laut der Umfrage von Infratest dimap sind nur 14% der Thüringer mit der politischen Arbeit von Björn Höcke zufrieden. Da die AfD bei der Landtagswahl 2019 auf 23,4% kam, bedeutet dies, dass Björn Höcke nicht einmal bei AfD-Wählern sehr beliebt ist. Die These, Thüringer wählten die AfD wegen dem populistischen Rechtsaussen ist also falsch. Es muss vielmehr heissen: Thüringer wählten die AfD trotz Björn Höcke. 8% gaben gegenüber Infratest dimap an, ohne Höcke an der Spitze würden sie AfD wählen.

Die AfD ist nach wie vor eine Protestpartei. 88% der Wähler gaben an, sie sei die einzige Partei, durch deren Wahl sie ihren Protest ausdrücken könnten. Doch gegenüber 2014 wächst zudem das Vertrauen in die AfD, Probleme in der Asyl- und Flüchtlingsfrage (von 3% auf nun 20%) sowie beim Thema Kriminalität (von 2% auf 23%) lösen zu können. 16% der Thüringer glauben zudem, dass die AfD die beste Partei sei, um die Interessen der Ostdeutschen zu vertreten.

82% der Thüringer sind der Ansicht, die AfD distanziere sich nicht genug von rechtsextremen Positionen. 56% finden, die Partei spreche aus, was in andern nicht gesagt werden dürfe. 47% finden es gut, dass sie den Zuzug von Ausländern und Flüchtlingen begrenzen wolle. 39% finden es gut, dass die AfD in der Klimadebatte den anderen Parteien etwas entgegensetze. 39% sehen die AfD als eine demokratische Partei wie alle anderen im Bundestag vertretenen Parteien.

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Bodo Ramelow während der Regierungsmedienkonferenz am 3. September 2019 in der Thüringer Staatskanzlei in Erfurt. Photo Copyright © Olaf Kosinsky / Quelle Wikipedia. This image was published by Olaf Kosinsky under the free licence CC BY-SA 3.0-de

Artikel vom 28. Oktober 2019 um 16:04 Berliner Zeit.