Ali Khamenei

Dez. 01, 2025 at 15:34 78

Der deutsche Journalist mit iranischen Wurzeln, Ali Sadrzadeh, hat eine lesenswerte Biografie von Ali Khamenei (*1939; auch Chamenei geschrieben) verfasst. Darin beschreibt er den Aufstieg und die Herrschaft des politischen und religiösen Führers im Iran. Seit knapp vierzig Jahren arbeitet Ali Sadrzadeh, der 1970 nach Deutschland kam, um Germanistik und Politologie zu studieren, als Journalist. Ali Khamenei wiederum kam 1989 an die Macht, also vor 36 Jahren.

Ali Sadrzadeh: Ali Khamenei. Aufstieg und Herrschaft. Kohlhammer Verlag, 2025, 263 Seiten. ISBN 978-3-17-046309-7. Cookies akzeptieren – wir erhalten eine Kommission bei unverändertem Preis – und das Buch bestellen bei Amazon.de.

Laut Ali Sadrzadeh ist sein Buch keine herkömmliche Biografie, da Ali Khamenei nie einen Journalisten empfangen hat, nicht über seine Kindheit, seine Eltern und Familie spricht. Seine vier Söhne schweigen über den Vater und die Familie. Khameneis Frau sah man nie in der Öffentlichkeit. Vieles, was seine engen Gefolgsleute oder seine Gegner über ihn erzählten, sei nicht glaubwürdig. Viel sei Lobhudelei, Gerede und Gerüchte aus der Sphäre des Hörensagens. In seinem Buch versucht der Autor, die glaubwürdigen Angaben zusammenzutragen und verwebt sie mir der Geschichte des Iran. Ali Sadrzadeh erwähnt zudem die offizielle, persisch geschriebenen Biografie von Ali Khamenei aus dem Jahr 2012.

Ali Sadrzadeh gibt bei Jahreszahlen in seinem Buch einige unterschiedliche Daten an. Auf Seite 12 schreibt er fälschlicherweise, Ali Khamenei sei Jahrgang 1938. Auf Seite 45 notiert er, Ali Sadrzadeh sei am 19. April 1939 als fünftes Kind eines einfachen, frommen Geistlichen und der Tochter eines Geistlichen zur Welt gekommen. Auf Seite 2 ist zu lesen, Ali Sadrzadeh sei Ende der 1960er Jahre nach Deutschland gekommen. Auf Seite 12 schreibt der Autor selbst, er sei 1970 zum Studium nach Deutschland gekommen. Eine Unterlassung auf Seite 13: Benno Ohnesorg sei 1967 bei der Anti-Schah-Demonstration in Berlin von der Polizei erschossen worden. Hier wäre anzufügen gewesen, dass 2009 bekannt wurde, dass der Polizist Karl-Heinz Kurras, der den Studenten erschoss, von 1955 bis 1967 ein Geheimer Mitarbeiter der DDR-Staatssicherheit (Stasi) war und 1964 sowohl in die SED wie auch, zur Tarnung, in die SPD eintrat. Es gibt allerdings keinen Beweis, dass die Stasi Kurras mit dem Mord beauftragte, um so Unruhen in Westdeutschland zu befeuern. Die Stasi scheint sich nach dem Mord von Kurras gelöst zu haben, da dieser nun für sie als Spion nicht mehr interessant war. Das sind nur Details, doch die sollten bei einer Neuauflage korrigiert bzw. hinzugefügt werden.

Wichtiger: Ali Sadrzadeh betont, dass Ali Khamenei ein Jugend voller Entbehrungen durchlebte. Er und seine drei Brüder sollten wie der Vater einen traditionellen klerikalen Weg einschlagen und Priester werden. Die Söhne sollten sich vom Westlich-Modernen und von der Politik fernhalten. Der Vater sei nicht nur borniert, autoritär, rigide und rabiat gewesen, sondern stammte zudem aus Täbris in der Provinz Aserbaidschan, weshalb er Azeri sprach und in Marschad ein Fremder blieb, der in einer kleinen Moschee ausschliesslich für Azeris predigen musste.

Zur Jugend von Ali Khamenei hier nur noch der Hinweis auf die Begegnung des damals 13-Jährigen Ali Khamenei mit Navvab Safavi. 1952 kam der landesweit bekannte radikale Islamist nach Marschad. Der damals 28-jährige Chef der Organisation „Die Todbereiten des Islam“ (Fedajin-e Islam), die sich rühmte, Gewalt gegen Andersdenkende auszuüben, beeinflusste den jungen Ali Khamenei nachhaltig. Von Navvab Safavi übernahm er seine krankhafte Abneigung gegen alles Moderne, seinen tiefen Hass gegen Israel, seinen Antisemitismus und den Drang, eine weltweite islamistische Ordnung zu begründen. Zu den heutigen Vorstellungen von Ali Khamenei schreibt Ali Sadrazadeh, sie seien in ihren Grundzügen das, was die ägyptischen Muslimbrüder propagieren, deren Ideen Safavi in den Iran importiert hatte. Das Standardwerk Die Zukunft gehört dem Islam des führenden Kopfes der Muslimbruderschaft, Seyyed Outb, übersetzte Khamenei ins Persische. Was Outb einst zu Papier brachte, versuche Khamenei nun mit aller Gewalt zu verwirklichen, so unser Autor.

Ali Sadrzadeh unterstreicht, dass der Nachfolger von Ayatollah Khomeini (1902-1989), Ali Khamenei selbst kein Ayatollah war, wie es die iranische Verfassung vorschreibt, sondern nur ein einfacher Prediger. Der Autor beschreibt die Wahl im Detail und verweist auf eine rund 12-minütige Filmaufnahme der BBC vom 4. Juli 1989, die noch heute auf dem persisch-sprachigen YouTube-Kanal der Briten einzusehen sei. Damals kamen nach dem Tod Khomeinis die 55 Geistlichen der iranischen Expertenversammlung zu einer Sondersitzung zusammen, um den neuen obersten Führer zu wählen.

Die letzten zwölf Minuten einer dreistündigen Sitzung, die live im iranischen Hörfunk und Fernsehen übertragen wurden, zeigen, wie Khomeinis Testament entsiegelt wird. Regie bei der Wahlzeremonie führt Ali Akbar Haschemi Rafsandschani, der mächtige Stippenzieher, der damals laut Ali Sadrzadeh fast alles im Iran bestimmt. Rafsandschani erteilt Khamenei das Wort, der sich gegen eine einzelne Person an der Staatsspitze ausspricht. Dabei ist sich Khamenei laut unserem Autor sicher, dass er der Ausgesuchte ist. Er stellt Demut zur Schau, macht sich klein. Er ist ein Mann der zweiten Reihe. Er sagt den bis heute immer wieder zitierten Satz, man müsse ein Land beweinen, das ihn zum Führer wähle.

Ali Sadrzadeh hebt in diesem Zusammenhang das schiitische Gottesgebot der „Verstellung“ (Taghiyeh) hervor: Man darf, man muss lügen und täuschen, wenn es dem Islam dient. Rafsandschani setzt sich gegen einen Rat als Führung und für Khamenei als einzelne Führungsperson ein, obwohl dieser kein Ayatollah ist, wie es die Verfassung vorsieht. Rafsandschani behauptet, Khomeini habe ihn vor seinem Ableben auf seine Frage, wenn er sich als Nachfolger wünsche, gesagt: „Ihr habt doch Khamenei, nehmt ihn.“

Im gerade zuvor von Khamenei vorgelesen Testament steht ausdrücklich, kein Zitat, keine Überlieferung von ihm sei gültig, wenn es davon nicht eine schriftlich oder mündlich registrierte Fassung gebe. Doch niemand im Rat der 55 Mullahs wagt es, Rafsandschani zu widersprechen. Ali Sadrzadeh folgert: Alles begann also mit Tricks, Täuschung und List.

Spannend sind auch die Ausführungen unseres Autors dazu, wie es zur berühmt-berüchtigten Fatwa gegen Salman Rushdie wegen seines Buches Die satanischen Verse kam. Fünf Monate lang bewegte das Buch bereits die Gemüter in Rushdies Heimat Indien, in Pakistan und einigen anderen islamischen Ländern. Es gab noch keine persische Übersetzung, weshalb das Buch im Iran keine Wellen warf.

Laut Ali Sadrzadeh witterte die Entourage um den sterbenskranken Ayatollah Khomenei die Chance, das Buch als Vorwand zu nutzen, um von der katastrophalen (wirtschaftlichen) Lage und der drohenden (politischen) Instabilität im Iran abzulenken.

Proteste gegen Rushdies Buch gab es zuvor vor allem in England von radikalen Pakistanern. Im Iran hat niemand das Buch gelesen, schon gar nicht der sterbenskranke Khomeini. Dennoch verliest ein Teheraner Radiosprecher im Namen Khomeinis die Fatwa gegen Salman Rushdie und seine Verleger, mit denen diese zum Tode verurteilt werden. Es ist der 14. Februar 1989, Valentinstag, der Tag der Liebe.

Erst eine Woche nach der Fatwa befahl der Chefredakteur der Islamischen Republik dreien seiner Redakteure der Auslandnachrichten, je ein Drittel der Satanischen Verse innerhalb einer Woche zu übersetzen. Gleichzeitig machte sich eine weitere Person daran, auf Persisch eine Kritik des Buches zu verfassen. Auf dem Markt erscheint danach nicht das Buch, sondern nur die bestellte Kritik in millionenfacher Auflage. Ironie der Geschichte: Der Verfasser der Kritik, Ataollah Mohadscherani, lebt seit 15 Jahren im Londoner Exil. Von 1996 bis 2000 war er Minister für Kultur und islamische Führung im Kabinett des Reformpräsidenten Mohammed Khatami. Als der extremistische Präsident Ahmadinedschad „gewählt“ wird, muss Mohadscherani ins Ausland flüchten. In London polemisiert er noch immer gegen die Satanischen Verse. Nach der Messerattacke gegen (besser: Mordversuch auf) Salman Rushdie 2022 bekundet Mohadscherani per Twitter seine Freude darüber.

Ali Sadrzadeh unterstreicht, dass noch 1989 das persische Programm von Radio Israel nach jenem der BBC an zweiter Stelle der meistgehörten Auslandsender im Iran stand. Weiter hinten in seinem Buch widmet der Autor dem Thema Israel und Iran: eine junge Feindschaft ein ganzes Kapitel, in dem unter anderem zu lesen ist, dass in der ersten Stunde seiner Machtübernahme Khomeini 1979 das Wort Israel aus dem offiziellen Vokabular Irans strich und durch „das Besatzungsregime in Palästina“ ersetzte.

Doch die Beziehungen der beiden Völker sind uralt. Ali Sadrzadeh erinnert daran, dass die iranischen Mullahs wissen, dass der Perserkönig Cyrus (auch Kyros) einst das jüdische Volk aus der babylonischen Gefangenschaft befreit hat, damit es in Jerusalem ein Gotteshaus baut. Das höchste jüdische Fest Jom Kippur und das jüdische Neujahr Rosh ha Shana gehen auf dieses Ereignis zurück. Dies ist in der Bibel festgehalten, die auch Khamenei wie alle Muslime für ein heiliges Buch hält. Das Leben von Juden in Persien ist in der Bibel dokumentiert. Die jüdische Königin Esther war eine persische Prinzessin und mit König Xerxes I. vermählt, so Ali Sadrazadeh, der auch daran erinnert, dass die Juden noch in den 1920er Jahren gut ein Fünftel der Bevölkerung Bagdads ausmachten. Nach Pogromen flohen sie – in den Iran.

Dies sind nur einige wenige Angaben aus dem lesenswerten Buch von Ali Sadrzadeh: Ali Khamenei. Aufstieg und Herrschaft. Kohlhammer Verlag, 2025, 263 Seiten. ISBN 978-3-17-046309-7. Cookies akzeptieren – wir erhalten eine Kommission bei unverändertem Preis – und das Buch bestellen bei Amazon.de.

Zitate und Teilzitate in dieser Rezension/Buchkritik von Ali Khamenei. Aufstieg und Herrschaft sind der besseren Lesbarkeit wegen nicht zwischen Anführungs- und Schlusszeichen gesetzt.

Rezension/Buchkritik von Ali Khamenei. Aufstieg und Herrschaft vom 1. Dezember 2025. Hinzugefügt um 15:34 deutscher Zeit.