70 Jahre Volksrepublik China

Okt 01, 2019 at 20:03 2345

Am 1. Oktober 1949 verkündete Mao Zedong vom Balkon des Tors des Himmlischen Friedens in Peking den Massen die Gründung der Volksrepublik China. Es folgten Jahrzehnte des Terrors, der Dutzende von Millionen Menschen das Leben kostete. Maos grosser Sprung nach vorn und seine Kulturrevolution waren nicht nur menschlich, sondern auch wirtschaftlich eine Tragödie.

Deng Xiaoping liberalisierte ab 1978 die Wirtschaft. Märkte, auf Angebot und Nachfrage beruhende Preise, freies Unternehmertum spielten wieder eine Rolle. Das Resultat war ein wirtschaftlicher Aufschwung, ein Wachstum, das Hunderte von Millionen Menschen aus der Armut hob. Allerdings beschränkten sich die Reformen auf die Wirtschaft. Die Politik blieb weiterhin unter Kontrolle der Kommunistischen Einheitspartei. Das zeigte sich beim Massaker auf dem Tiananmen-Platz.

Die Volksrepublik China ist heute nur noch auf dem Papier dem Sozialismus verpflichtet. Doch der Einparteienstaat duldet keinen Widerspruch, keine Konkurrenz, keine zivilgesellschaftlichen Strukturen. Die Partei öffnete sich zwar Unternehmern, doch wurde sie mit steigendem Wohlstand immer korrupter. Von der Herrschaft des Rechts kann bis heute keine Rede sein. Mit dem Antritt von Xi Jinping als Parteichef und im Folgejahr als Staatspräsident wurde das Rad teilweise zurück, teilweise vorwärts gedreht. Insbesondere setzt der neue starke Mann in der Wirtschaft teilweise auf Reformen, auf Steuersenkungen für Unternehmen und Individuen (von Staatsbürgern kann ja keine Rede sein). Nicht zuletzt unter dem Druck von US-Präsident Trump öffnet sich China weiter für ausländische Investoren. Sogar im Finanzmarkt wird es für ausländische Banken und Versicherungen (ein wenig) leichter, in China zu investieren, Geschäfte zu machen.

Doch die kommunistische Herrschaft bleibt unangetastet. Xi Jinping ist heute gar mit einer Machtfülle ausgestattet, an die allenfalls Mao Zedong heranreichte. Seine Antikorruptionskampagne diente zugleich der Säuberung. Er scheint von einer allumfassenden Kontrolle aller Chinesen mit Hilfe des Internets, Smartphones, Überwachungskameras, künstlicher Intelligenz und willigen Helfern in Partei und Gesellschaft zu träumen, ja diese bereits teilweise umzusetzen. George Orwell lässt grüssen. Im Westen gibt es mit Microsoft, Google, Facebook, NSA und vielen anderen ähnliche Probleme, doch das ist eine andere Geschichte; insbesondere gibt es im Westen eine aktive Zivilgesellschaft, Demokratie und Rechtsstaat. Da gibt es langsam Gegenwind. In China kann davon keine Rede sein.

Xi Jinping, die Kommunistische Partei und ihre Günstlinge stehen über dem Gesetz. Das kann nicht ewig gut gehen. Das wirtschaftliche Wachstum kann in einem frühen Stadium der Entwicklung in einer „aufgeklärten“ Diktatur schneller stattfinden als in einer Demokratie. Doch nur bis zu einem gewissen Enticklungsniveau. Ab diesem spielen Recht und Gesetz, für alle gültig, eine wichtigere Rolle. Der fehlende Rechtsstaat behindert heute Unternehmen im Inland, den notwendigen Informationsfluss, die Attraktivität für Auslandsinvestionen, die Innovationsfähigkeit, weitere Produktivitätssteigerungen. Der staatliche Sektor ist bis heute stark. Subventionierte Staatsunternehmen, die wenig produktiv sind, natürliche wie finanzielle Ressourcen unnötig verbraten, schieben riesige Schuldenberge vor sich hin, machen durch Umweltschäden die Bevölkerung wütend, gefährden langfristig die Entwicklung Chinas. Der Gegensatz zwischen Stadt und Land ist enorm. Fehlentwicklungen wie die Immobilienblase mit einigen brandneuen, fast leeren Städten, werden irgendwann zu brutalen Korrekturen führen müssen.

Die staatlich kontrollierte Information führt zu einem Vertrauensverlust. Gerüchte finden daher viel Anklang. Die Glaubwürdigkeit der Partei leidet. Im Fall einer Wirtschaftskrise könnte es mit der „Legitimität“ der Partei rasch vorbei sein. Die Ungleichheit wächst weiter. Arbeiter haben keine Rechte. Unabhängige Gewerkschaften gibt es natürlich nicht. Von staatlicher Gesundheitsversorgung und Renten kann im angeblich kommunistischen Paradies keine Rede sein. Noch wächst das Land. Die Massen wurden zwar aus bitterster Armut geholt, doch noch ist China weit vom Lebensstandard der Ersten Welt entfernt. Ethnische Minderheiten, unabhängige Geister, etc. haben ein schweres Leben. Solange China kein Rechtsstaat ist, solange Chinas Bewohner vom Staat bespitzelt, drangsaliert und kontrolliert werden, kann China zudem fast keine Softpower entwickeln. Nicht nur in der grossen weiten Welt, sondern selbst im Inland. Die reichen Chinesen senden Geld und Kinder oft ins Ausland, sobald dies für sie möglich ist. Selbst Xi Jinping liess seine Tochter (unter falschem Namen) in Harvard studieren.

China entwickelt inzwischen Grossmachtsansprüche. Wirtschaftlich und militärisch. Nicht nur Hongkong, auch Taiwan mächte Xi Jinping bis 2019 in ein „Vereinigtes China“ integriert haben. Chinas Nachbarn sind beunruhigt über künstliche Inseln im Südchinesischen Meer, das rechtlich alles andere als chinesisch ist.

Was würden sie sagen wenn deutsche Politiker Hitler und das Nazi-Regime über den Klee loben und als Vorbilder bezeichnen würden? Bei China drücken viel zu viele im Westen nicht nur ein Auge zu, sondern sie stellen sich oder sind blind.

2012 veröffentlichten Bloomberg und die New York Times Artikel zur Korruption in China, zu den Familien von Xi Jinping, Wen Jiabao und anderen. Diese Artikel gehören zu den wenigen Lichtblicken mit wirklichen Enthüllungen durch die China-Berichterstattung des Westens.

70 Jahre Volksrepublik China. Da gibt es politisch nicht viel zu feiern. Der „Princeling“ Xi Jinping hatte einen Vater, der unter anderem unter Mao als Propagandachef diente, ehe er in Ungnade fiel, was sich negativ auf Xi Jingpings Jugend auswirkte; eine seiner Schwester wurde gar von einem militanten, jugendlichen Mob getötet. Dennoch oder gerade deshalb drängt der heutige Diktator Chinas auf totale Kontrolle durch die Kommunistische Partei. Er ist eben nicht nur der Pragmatiker, als der er oft beschrieben wird, sondern zudem ein gefährlicher Ideologe, der auf Einparteienherrschaft, Propaganda, Kontrolle und Repression setzt.

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Foto von Xi Jingping aus dem Jahr 2016. Cropped from a photo showing Xi Jinping with Narendra Modi. Date 23 June 2016. Photo copyright: Press Information Bureau of the Government of India.

Artikel vom 1. Oktober 2019 um 20:03 deutscher Zeit.