Andris Nelsons leitet das Gewandhausorchester

Apr 03, 2018 at 18:34 1165

Der neue Gewandhauskapellmeister feiert einen erfolgreichen Einstand in Leipzig

Der neue Chefdirigent oder eben Kapellmeister des Gewandhausorchesters, Andris Nelsons, feierte mit Konzerten am 22., 23. und 25. Februar 2018 einen erfolgreichreichen Einstand in Leipzig. Als Gastdirigent leitete er bereits seit 2011 jedes Jahr mindestens einmal das Gewandhaus.

Der für einen Kapellmeister noch relativ junge Lette ist zugleich – seit der Saison 2014/15 – Chefdirigent des Boston Symphony Orchestra (BSO) und war von 2008 bis 2015 Musikdirektor des City of Birmingham Symphony Orchestra. Zuvor war er von 2006 bis 2009 Chefdirigent der Nordwestdeutschen Philharmonie in Herford sowie, von 2003 bis 2007, musikalischer Leiter der Lettischen Nationaloper; siehe auch den Artikel zu Andris Nelsons aus jener Zeit.

Andris Nelsons leitet das Gewandhausorchester Leipzig: Bruckner: Symphony No. 4; Wagner: Lohengrin Prelude. Deutsche Grammophon, 16. Februar 2018. – Rechtsklick auf das Cover für ein grösseres Foto. – Die brandneue CD bestellen bei Amazon.de,Amazon.frAmazon.co.uk und Amazon.com.

Dass Andris Nelsons sowohl das Boston Symphony Orchestra als auch das Gewandhausorchester leitet, macht insofern Sinn, als unter den Gründungsmitgliedern des BSO Gewandhausmusiker waren und der Konzertsaal des amerikanischen Big Five Orchesters dem im Zweiten Weltkrieg zerstörten Leipziger Gewandhaus nachempfunden wurde.

Andris Nelsons liess verlauten, dass er Musiker des Gewandhauses und des BSO für Konzerte zusammenbringen möchte und dass die Idee bei den Betroffenen beiderseits des Atlantik auf Begeisterung stiess. Sie wollten zusammen vor allem die Musik von Bach und Mendelssohn pflegen. Zudem kommt Andris Nelsons im Spätsommer 2018 nach Leipzig und das Gewandhaus gastiert 2019 in Boston.

Konzertkritik: Die Konzerte zur Amtseinführung

Wir waren am 23. Februar 2018 bei einem der drei Konzerte zur Amtseinführung von Andris Nelsons in Leipzig zu Gast. Der Dirigent widmet sich nicht nur mit Herzblut dem klassisch-romantischen Repertoire, sondern führt die Tradition der Uraufführungen des vor 275 Jahren gegründeten Klangkörpers weiter.

Foto: Das Gewandhausorchester unter der Leitung von Andris Nelson im Jahr 2017. Foto Copyright © Jens Gerber / Gewandhausorchester Leipzig.

Den Reigen der Uraufführungen der Ära-Nelsons eröffnete das Relief für Orchester des 1960 geborenen deutschen Komponisten Steffen Schleiermacher. Sein farbenfrohes, zwölfminütiges Relief spielte das Gewandhaus von Anbeginn an mit voller Konzentration, was eine deutliche Verbesserung gegenüber dem Konzert vom September 2017 unter der Leitung des Dirigenten Dennis Russell Davies bedeutete, als sie stellenweise unkonzentriert wirkten.

Das Relief für Orchester bietet ästhetischen Klangzauber, wobei zuerst die Bläser und die Schlaginstrumente im Vordergrund stehen und zum Ende die Kontrabässe zum Zug kommen. Steffen Schleiermacher betont die Rhythmik und arbeitet mit Wiederholungen. Zudem hat er ein Saxophon-Solo eingebaut und kombiniert Fagotte mit Bongos, wobei die Holzbläser ungewohnte, schlaginstrumentähnliche Klänge erzeugten. Das Auftragswerk des Gewandhausorchesters war alles andere als langweilig und nahm Bezug auf die Musik von Alban Berg, dessen Konzert für Violine und Orchester von 1935 nachfolgend auf dem Programm stand.

Die junge lettische Geigerin Baiba Skride übernahm den Solo-Part beim Werk von Alban Berg. Das Konzert wächst aus dem leisen, poetischen Beginn der Solo-Geige heraus. Eine Harfe steuerte etwas Klangzauber bei. Aus Quinten heraus entwickelt sich die Musik hin zu 12-Ton-Reihen. Das Spiel von Baiba Skride auf einer Stradivari wirkte etwas blass. Die Komposition von Alban Berg bietet Abwechslung, so mit Stellen für den Intellekt sowie Ländler-Momenten. Der Komponist bezeichnete sein Violinkonzert als „Requiem für Manon“, der an Kinderlähmung verstorbenen Tochter von Alma Mahler und Walter Gropius. Er überschrieb sein Werk mit den bewegenden Worten „dem Andenken eines Engels“. Im ersten Satz sind neben einem versonnnen Ländler dunkle Vorahnungen zu hören. Das Gewandhaus und die Solistin zeigten sich gut koordiniert und ereugten einen präzisen, leuchtenden Klang. Der zweite, von Bach inspirierte Satz bietet nach einem dramtischen Beginn berührende, chorale Töne. Baiba Skride bot in diesem zurückhaltenden Werk expressive, leidende Momente, die Bläser leuchtende Töne, das Orchester insgesamt Präzision.

Nach der Pause stand die 3. Sinfonie A-Moll Op. 56 von Felix Mendelssohn Bartholdy auf dem Programm, einem Vorgänger von Andris Nelsons als Gewandhauskapellmeister. Es war logischerweise das Gewandhaus, das am 3. März 1842 diese Komposition in Leipzig uraufführte. Mit den ersten Klängen war 2018 für alle Zuhörer klar, dass das Orchester diese Sinfonie in- und auswendig kennt. Hilfreich war zudem der Umstand, das Andris Nelsons es versteht, die leisen Stellen auszuloten, ja auszukosten. Dirigent und Orchester verbreiteten romantische Wärme und zeigten trotz Routine hier und dort Herzblut. Den 2. Satz spielten sie leichtfüssig, der 3. wirkte elegant, wobei später Farbe, Intensität und Kraft hinzukamen, was ähnlich für die mitreissende Interpretation des 4. Satzes galt. Das Publikum zeigte sich am Ende zurecht begeistert.

Der Auftakt von Andris Nelsons als 21. Gewandhauskapellmeister war vielversprechend. Das Programm war zurückhaltend gewählt. Unter der Leitung des bei Musikern beliebten Letten dürfte in Zukunft in Leipzig sicher noch emotionalere Musik zu hören sein.