Anna Sacher und ihr Hotel

Dez 01, 2014 at 00:16 1098

Das letzte Fest des alten Europa. Das Buch von Monika Czernin

Die 1965 in Klagenfurt geborene Monika Czernin hat mit Das letzte Fest des alten Europa. Anna Sacher und ihr Hotel (Buch: Amazon.de; eBook / Kindle edition: Amazon.de) einen grossen Wurf getan. Ihr Buch bietet keine enggefasste Biografie und Hotelgeschichte, sondern viel mehr: Ein Portrait Wiens und seiner Eliten vom Bau der Ringstrasse bis in die Zwischenkriegszeit.

Monika Czernin hat in Wien Politik, Philosophie und Pädagogik studiert. Sie ist eine Filmemacherin und Autorin einer Reihe von Büchern, darunter Gebrauchsanweisung für Wien. Zu ihren Vorfahren zählt sie den letzten Aussenminister der k. u. k. Monarchie, Ottokar Czernin, sowie den Polarforscher und Kunstmäzen Hans Wilczek, der mit einer Hofdame von Erzherzogin Sophie verheiratet war und zu dessen Ururenkeln nicht nur Monika Czernin, sondern auch Hans-Adam II, der Fürst von und zu Liechtenstein, gehört.

Dank den illustren Vorfahren Ottokar Czernin und Hans Wilczek, die beide gern- und vielgesehene Gäste im Hotel Sacher waren, konnte Monika Czernin eine Reihe von Quellen erstmals auswerten. Die Grande Dame des Sacher, Elisabeth Gürtler, gewährte ihr zudem Einblick in eine hölzerne Schatulle mit der bisher unveröffentlichten Kondolenzpost an die junge Witwe Anna Sacher. Daraus ergibt sich ein neuer Blick auf die Gäste des Hotels hinter der Oper, das nicht nur eine Begegnungsstätte des Adels war, sondern über die Hälfte derer, die Anna Sacher beim Tod ihres Mannes ihr Mitgefühl aussprachen, entstammten dem jüdischen Bürger- und Grossbürgertum.

Allein schon die zwölfseitige Einleitung von Das letzte Fest des alten Europa. Anna Sacher und ihr Hotel ist den Erwerb das brillanten Buches wert. Monika Czernin erläutert, dass – ähnlich wie in Horthys Ungarn – um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert die Hälfte der Wiener Millionäre jüdischer Herkunft waren, während dem es in Deutschland nur 16% und in England gar nur 2% waren. Die Rotschilds, Ephrussis, Todescos, Königswarters, Liebens, Schey, von Koromlas, Epsteins und Gutmanns bewohnten Palais im eleganten vierten Bezirk oder auf der Ringstrasse, in unmittelbarer Nähe des Sacher. Deshalb war das Hotel nicht nur eine Begegnungsstätte des Adels, der sich auf dem berühmten Gästetischtuch der Anna Sacher verewigte und in der Bildergalerie des Hotels hängt, sondern eben auch der aufstrebenden jüdischen Grosshändler, Fabrikanten, Bankiers, etc.

In ihrem Buch verwebt Monika Czernin Fakten und Fiktion. Im lesenswerten Schlussteil löst sie auf, was wirklich so im Sacher geschehen und belegt ist, was anderswo stattfand und sie aus dramaturgischen Gründen ins Hotel verlegt hat, und was sie erfunden oder ausgeschmückt hat, weil es so oder ähnlich hätte gewesen sein können. Ihrem Werk stellt die Autorin denn unter anderem auch einen Satz von Virginia Wolf zu Orlando voraus: „Wer legt eigentlich fest, dass Fantasie und Dichtung in einer Biografie nichts zu suchen haben?“

Der Schreibende hatte es mehr mit den Fakten, der historisch belegten Geschichte. Und die kommt natürlich in Das letzte Fest des alten Europa nicht zu kurz. Sie findet nicht nur in der Einleitung und im rund 20seitigen Schlussteil zur Quellenkritik statt, sondern ist immer wieder in allen Kapitel erkennbar. Die Autorin hat sich detailliert mit Quellen, der Literatur sowie persönlich mit namhaften Historikern und anderen Fachleuten in Gesprächen zu den vielen angesprochenen Themen auseinandergesetzt. Ihr Buch ist nicht nur unterhaltend, es hat Substanz.

Das letzte Fest des alten Europa zeigt mehr als das traditionelle Bild vom Hotel Sacher als Ort, an dem Aristokraten und Erzherzöge ein- und ausgingen und an dem die Hofgesellschaft speiste. Die von Monika Czernin zitierte Arbeiterzeitung stellte beim Tod von Anna Sacher 1930 fest, dass es im Sacher „keinen Arierparagraphen“ gab. Des weiteren war dort zu lesen: „Die ganz feinen Juden, die Grundbesitz und Jagden besassen, waren ganz wohlgelitten, auch solche, die sich irgendwie auf Unterhaltungskünste verstanden, zum Beispiel die Operettenlibrettisten, deren Werke ja für diese feudalen Kreise den Inbegriff der Literatur bildeten.“ Das Nazi-Hetzblatt der Völkische Beobachter schrieb dazu einige Jahre später vom „nicht salonfähigen“ Hotel, weil sich dort „die Reaktion und das Judentum“ träfen.

Das letzte Fest des alten Europa zeigt das Sacher historisch korrekt nicht als das allein führende Hotel der Stadt Wien. Als bereits etablierte Institution mit hervorragendem Restaurant stand es damals in einem harten Konkurrenzkampf mit anderen führenden, grösseren und luxuriöseren Häusern wie dem Bristol, dem Grand Hotel und dem Imperial.

Zu den vielen Persönlichkeiten, welche die Autorin anschaulich beschreibt, gehören die Kaiserin Elisabeth, Kronprinz Rudolf, Erzherzog Johann, der antisemitische Bürgermeister Karl Lueger, Arthur Schnitzler und Gustav Mahler, Karl Wittgenstein, Camillo Castiglioni, der König Milan von Serbien, Ottokar Czernin und Felix Salten, Hans Wilczek und Nathaniel Rotschild, um nur einige zu erwähnen.

Monika Czernin verschweigt neben den vielen Erfolgen und lustigen Anekdoten nicht die dunklen Kapitel im Leben der Anna Sacher. Dazu gehören der Selbstmord ihrer Tochter und die Entmündigung der grossen alten Dame. Noch am 8. März 1928 hatte sie das Goldene Ehrenzeichen der Republik erhalten. Am 20. April 1919 meldete das Neue Wiener Journal: „Die bekannte Wiener Hotelbesitzerin Frau Anna Sacher ist, wie wir erfahren, dieser Tage unter Kuratel gestellt worden.“ Sie starb laut Monika Czernin am 25. Februar 1930 aus Gram und wurde unter grosser Anteilnahme zu Grabe getragen.

Monika Czernin: Das letzte Fest des alten Europa. Anna Sacher und ihr Hotel. Knaus Verlag, 2014, 351 Seiten. Die gebundene Ausgabe des Buches bestellen bei Amazon.de. Das eBook / Kindle edition bestellen bei Amazon.de.

Die Taschenbuchausgabe von Monika Czernin: Anna Sacher und ihr Hotel. Im Wien der Jahrhundertwende. Penguin Verlag, 2016, 352 Seiten. Das Taschenbuch bestellen bei Amazon.de.

Artikel vom 1. Dezember 2014 um 00:16 CET. Das Taschenbuch hinzugefügt am 17.3.2019.