Bolsonaro-Anhänger stürmten Brasiliens Regierungsviertel – ohne Aussicht auf Erfolg

Jan 10, 2023 at 13:57 1022

Ich wartete lange mit einem Artikel zu den Wahlen in Brasilien, da ich dem Braten nicht traute, denn entscheidend war nicht der Sieger, sondern ob der Verlierer das Resultat akzeptieren würde. Trotz einer Präsidentenwahl, die fast in einem Fotofinish endete, akzeptierte der abgewählte Jair Bolsonaro seine Niederlage, wenn auch nur implizit, und ohne der Amtsübergabe beizuwohnen. Zudem reiste er mit Frau und Tochter nach Florida, wo bereits zwei erwachsene Söhne auf ihn warteten. Bolsonaro drohen auf Grund von Korruption und Entscheidungen während seiner Amtszeit Prozesse und Gefängnis.

Nur wenige Stunden nach der Veröffentlichung meines Artikels zu den Wahlen vom 8. Januar war es dann doch soweit: Bolsonaro-Anhänger stürmten Brasiliens Regierungsviertel mit dem Platz der drei Gewalten (Praça dos Três Poderes), besetzten und verwüsteten teilweise das Parlament, den Präsidentenpalast sowie das Oberste Gericht – und dies ohne Aussicht auf Erfolg, denn Ex-Präsident Bolsonaro war ja wie erwähnt bereits nach Florida geflogen. Für einen erfolgreichen Putsch hätte dieser ja in Brasilien sein müssen. Zudem fand der Sturm auf Exekutive, Legislative und Judikative an einem Sonntag statt, an dem die Funktionsträger nicht in der Hauptstadt Brasilia arbeiteten. Bei einem Putschversuch hätten natürlich der in einer fairen und freien Wahl gewählte Präsident Lula da Silva sowie Kritiker in Parlament und am Obersten Gericht ausgeschaltet werden müssen.

Jair Bolsonaro wusste sehr wohl, dass ein Putsch seiner Anhänger keinen Erfolg haben würde, dass das Militär nicht hinter einem Coup seinerseits stehen würde, dass Wirtschaftskreise, die ihn zuvor unterstützt hatten, kein Interesse an Chaos haben. Bolsonaro bekam kalte Füsse und setzte sich ins Ausland ab, um so der Justiz in Brasilien zu entgehen.

Brasilien wäre durch einen Coup international isoliert gewesen. Selbst Russland stellte sich hinter Lula da Silva – wohl auch, weil dieser unverständlicherweise für den Krieg in der Ukraine sowohl Putin als auch Selensky verantwortlich macht; Lula und einige seiner Mitstreiter kommen von der extremen Linken, sie sind geprägt von der Zeit der Militärdiktatur, viele sind nicht vergleichbar mit deutschen post-Bad-Godesberg Sozialdemokraten.

Aus Florida, wohin er geflogen bzw. geflohen war, distanzierte sich Ex-Präsident Jair Bolsonaro von der Aktion seiner Anhänger. Friedliche, legale Proteste seien Teil der Demokratie, meinte er auf Twitter. Plünderungen und die Stürmung öffentlicher Gebäude, wie sie sich produziert hätten, seien wie jene der Linken 2013 und 2017 gegen das Gesetz (Manifestações pacíficas, na forma da lei, fazem parte da democracia. Contudo, depredações e invasões de prédios públicos como ocorridos no dia de hoje, assim como os praticados pela esquerda em 2013 e 2017, fogem à regra.).

Anders als Donald Trump in den USA rannte Jair Bolsonaro nicht herum und behauptete, er habe die Wahlen gewonnen, auch wenn er die Präsidentschafts-Stichwahl anzufechten versuchte, weil angeblich elektronische Wahlmaschinen nicht funktioniert hätten, wofür es keine Beweise gibt. Die Wahlkommission wies das durchsichtige Manöver ab, weil das Bolsonaro-Lager die Resultate der ersten Wahlrunde nicht gleichzeitig anfechten wollte, weil seine Liberale Partei bei den gleichzeitig stattfindenen Parlamentswahlen als stärkste Kraft hervoring.

Obwohl Jair Bolsonaro zuletzt wohl nicht auf einen Putsch hingearbeitet hatte, so hat er doch einiges von Donald Trump kopiert. Im Vorfeld der Wahlen hatten er und sein Lager Zweifel an der kommenden Wahl gestreut. Von einem möglichen Wahlbetrug wurde ohne Beweise fabuliert. Es gab Fälle der Einschüchterung von Lula da Silva Wählern, so durch die Autobahnpolizei und Lastwagenfahrer, die versuchten, Lula-Wähler von ihrem Wahlrecht abzuhalten. Nach der Wahl schwieg Jair Bolsonaro zuerst 40 Stunden lang, ehe er sich zu Wort meldete, ohne die Niederlage direkt einzugestehen, sondern nur darauf hinwies, er habe die Verfassung immer respektiert.

Seine erzürnten Wähler, die zum Teil wirklich glaubten, ihnen sei der Wahlsieg gestohlen worden, errichteten Hunderte von Strassensperren. Am 3. November 2022 forderte dann Jair Bolsonaro selbst seine Anhänger auf, die blockierten Strassen wieder freizugeben.

In Brasilien fand – so sieht es im Moment zumindest aus – kein Putschversuch statt. Jair Bolsonaro versuchte nicht wie Donald Trump, eine faire und freie Wahl durch Druck noch zu drehen, doch im Vorfeld hatte er die Zweifel gestreut, die mehrere Tausend seiner radikalisierten Anhänger am 8. Januar 2023 dazu brachten, im Präsidentenpalast, im Parlament und im Gebäude des Obersten Gerichts Akte des Vandalismus zu verüben. Der Protest wurde geplant. Teile von Polizei und Militär schauten zu. Viele Bolsonaro-Anhänger campierten bereits wochenlang in Brasilia. Zuletzt fuhren Busse mit rund 4000 Bolsonaro-Anhängern vollgepackt nach Brasilia. Rund 1500 Personen wurden im Zusammenhang mit dem Sturm auf das Regierungsviertel in Brasilia bereits festgenommen. Die Orte der Demokratie wurden desakralisiert, die Demokratie selbst beschädigt.

Im Laufe seiner Amtszeit führe Jair Bolsonaro zudem einen regelrechten Kampf gegen Umweltschützer, Indigene, die LGBT-Community sowie die Justiz, inbesondere das Oberste Gericht, wodurch er die Judikative, den Rechtsstaat zu schwächen suchte. Der homphobe, frauenfeindliche Jair Bolsonaro war und ist korrupt, und dürfte deshalb von einem brasilianischen Gericht verurteilt werden. Hinzu kommen die massive Umweltzerstörung im Amazonas-Gebiet, die er forciert hat, und sein Ignorieren der Covid-Pandemie, denen Hunderttausende von Brasilianern zum Opfer fielen. Doch seine Ideologie – die jener des Faschismus bzw. jener von Giorgia Meloni und anderen Rechtspopulisten ähnelt – lebt weiter: Gott, Familie, Vaterland.

Bücher zu Brasilien bei Amazon Deutschland

Das Foto (cropped) zeigt Präsident Jair Bolsonaro in Brasília am 7. September 2022. Desfile Cívico-Militar por ocasião das Comemorações do Bicentenário da Independência do Brasil. Photo: Palácio do Planalto/Alan Santos/PR. Via Wikipedia.

Artikel vom 10. Januar 2023 um 13:57 deutscher Zeit.