Brasiliens Petrobras-Skandal

Mrz 07, 2015 at 11:31 781

Unter den Linksregierungen des letzten Jahrzehnts hat Brasilien einen unerhörten wirtschaftlichen Aufschwung erlebt. Dank Programmen wie der Bolsa Familia gelang es, rund 40 Millionen Brasilianer aus der Armut herauszuholen. Der Armutsrate wurde um 55% verringert, die extreme Armut soll sogar um 65% reduziert worden sein. Der Anteil des informellen Sektors, die Schattenwirtschaft, an der Gesamtwirtschaft sank in dieser Zeit von 22% auf nur noch 13%.

Doch der Petrobras-Skandal (English article) zeigt, dass der wirtschaftliche Aufschwung Brasiliens Schattenseiten hat. Die regierende Linkskoalition ist korrupt. Sie bediente sich insbesondere bei der zu zwei Dritteln dem Staat gehörenden Ölgesellschaft Petroleo Brasileiro SA, kurz Petrobras. Bis der jetzige Skandal ans Licht kam und dadurch der Börsenwert der Gesellschaft massiv fiel, war Petrobras, gemessen an der Marktkapitalisierung, Südamerikas grösstes Unternehmen.

Die Liste der Politiker, gegen die ermittelt wird

Brasiliens oberstes Gericht gab am 6. März 2015 grünes Licht für die von Generalstaatsanwalt Rodrigo Janot beantragten Ermittlungen gegen 49 Personen, darunter 47 Politiker. Nur dem obersten Gericht steht in Brasilien solch eine Entscheidung zu. Der Petrobras – Skandal wird zu einem politischen Erdbeben führen. Die Liste umfasst die Namen von 34 Politikern des aktuellen Bundesparlaments. Darunter sind 22 Kongressmitglieder und 12 Senatoren. Bis auf einen, Senator Antonio Anastasia von der oppositionellen PSDB, gehören alle den Regierungsparteien an. 21 sind Mitglieder der PT von Präsidentin Rousseff, 6 der PMDP und 5 der Arbeiterpartei. Die Präsidenten von Unterhaus und Senat, Eduardo Cunha und Renan Calheiros, beide Mitglieder der PMDB, sind darunter. Der ehemalige brasilianische Präsident Fernando Collor de Mello gehört ebenso dazu wie der ehemalige Energieminister Edison Lobao der aktuellen Präsidentin Dilma Rousseff (*1947), der ehemalige Finanzminister unter dem früheren Präsidenten Lula, Antonio Palocci, der Stabschefs es der ersten Amtszeit von Präsidentin Rousseff, Gleisi Hoffmann, und der Schatzmeister von Präsidentin Rousseffs Partei PT, João Vaccari.

Präsidentin Rousseff will mit dem Petrobras-Skandal nichts zu tun haben

Präsidentin Dilma Rousseff rennt umher und behauptet allen Ernstes, sie hätte mit dem Petrobras – Skandal nichts zu tun. Dabei war sie Staatssekretärin im Energieministerium von 1993 bis 1994 und von 1998 bis 2002. Von 2003 bis 2005 war sie Ministerin für die Minen und die Energie. Während der schliesslich erfolgreichen Präsidentschaftskampagne von Lula 2002 gehörte sie zu dessen energiepolitischen Team. Von 2003 bis 2010 war sie die Verwaltungsratsvorsitzende von Petrobras. Seit 2010 kontrolliert sie indirekt als Präsidentin des Landes, das zu zwei Dritteln den Energiekonzern besitzt, den Energiekonzern Petrobras. So hat ihre Regierung denn auch den Konzern missbraucht, um die Inflation unter Kontrolle zu halten. Alleine 2014 wurden so die Öl- und Gaspreise in Brasilien mit $19,7 Milliarden subventioniert.

Die frühere Marxistin Dilma Rousseff hat sich bei Petrobras nie sehr für die schlechten Arbeitsbedingungen der einfachen Mitarbeiter gekümmert. Die Menschenrechtsverletzungen von Petrobras interessierten sie nicht. Die miserable Umweltschutzbilanz des Energieriesen liess sie kalt. Bezüglich dem Petrobras – Skandal kann Dilma Rousseff bestenfalls als total inkompetent durchgehen. Rund $1.5 Milliarden an illegalen Geldern für Parteien und an Korruptionsgeldern für Politiker, Manager und andere sollen bei Petrobras abgezweigt worden sein. Untersucht werden Bauvorhaben, bei denen die Gewinner der Kontrakte 3% der Investitionssumme durch dunkle Kanäle an Parteien und korrupte Personen fliessen liessen.

Dilma Rousseff wurde oft als pragmatische Politikerin gepriesen. Im Zusammenhang mit Petrobras war sie wohl zu „pragmatisch“. Bestenfalls war sie inkompetent oder hat weggeschaut, als sich andere schamlos bereicherten. Was bis jetzt bekannt ist, könnte sich als die – bereits gigantische – Spitze eines Eisberges entpuppen, der die aktuelle Regierungen und ihre Parteien in den Abgrund reisst, zumindest aber die Regierungskoalition zum Sturz bringt.

Die wirtschaftlichen Erfolge wurde teilweise teuer erkauft

Die zu Beginn erwähnten Erfolge bei der Armutsbekämpfung und beim wirtschaftlichen Aufstieg Brasiliens wurde zum Teil teuer erkauft. Dazu gehört nicht nur die grassierende Korruption mit dem Petrobras – Skandal an der Spitze. Die Linksregierungen haben seit 2003 systematisch den Mindestlohn angehoben, insgesamt um 84%. Das hat am Anfang sicher Brasilien geholfen, doch langfristig ist eine solche Politik kontraproduktiv. Die Lohnsteigerungen überstiegen die Fortschritte bei der Produktivität. Ökonomische Stagnation ist das Resultat. In den zwölf Monaten vor der Wahl 2014 schrumpfte der industrielle Sektor um rund 15%, weil Brasilien zu teuer geworden war. Das Land befindet sich gefangen im Middle-Income-Trap. Es wird nicht leicht sein, von einem Schwellenland zu einem Land der Ersten Welt aufzusteigen. Mit der aktuellen Korruption und den erwähnten Subventionen gewiss nicht. Der solide Staatshaushalt ist längst wieder kreativer Buchführung gewichen. Die Aufsteiger von der Linkskoalition sind, wie die AKP von Erdogan in der Türkei, von ihren anfänglichen Erfolgen berauscht, vom Pfad der Tugend längst abgekommen und zu einem Hindernis für die weitere Entwicklung Brasiliens geworden.

2014 betrug des Wirtschaftswachstum des Landes rund 2,5%, nach noch 7,5% im Jahr 2010. Das ist zu wenig für ein Schwellenland, dass noch aufholen muss. Immerhin lag die Arbeitslosigkeit um die Wahlen von 2014 herum bei rekordtiefen 4,9%, mit ein Grund, weshalb die Linkskoalition sich an der Macht halten konnte. Allerdings leben rund 40% der rund 200 Millionen Brasilianer noch immer in Haushalten, die mit weniger als $700 pro Monat auskommen müssen. Zudem ist die Sparquote sehr tief. Das Land muss investieren in Erziehung und Infrastruktur. Es gibt viel zu tun, will Brasilien weiter wachsen.

Die Linksregierungen unter den Präsidenten Lula (2003-10) und Rousseff (2011-18) haben bereits zu lange regiert. Sie sind korrupt und trotz allen Erfolgen unfähig, die Zukunft zu gestalten. Leider hat sich bei der Stichwahl der Präsidentschaftswahl 2014 die Amtsinhaberin Dilma Rousseff knapp mit 51,5% zu 48,4% gegen den Herausforderer Aécio Neves durchgesetzt, der als Gouverneur des Staates Minas Gerais von 2003 bis 2010 eine positive Bilanz vorweisen kann.$

Brasilien kann es sich nicht leisten, bis 2018 von der korrupten und unfähigen Regierung Rousseff weiter regiert zu werden. Es bleibt zu hoffen, dass die Untersuchungen zum Petrobras – Skandal rasch klare Resultate hervorbringen werden. Präsidentin Rousseff sollte die politische Verantwortung übernehmen, zurücktreten und so einen Neustart ermöglichen. Das wird sie natürlich nicht aus freiem Antrieb tun. Nur ein Richter und/oder massive Proteste der Bevölkerung könnten sie aus ihrem Amt vertreiben. Je schneller, je besser.

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Foto von Präsidentin Dilma Rousself. Palácio do Planalto / Official photograph of President Rousseff, taken by the official photographer Roberto Stuckert Filho, at Alvorada Palace on January 9th, 2011. Wikimedia.

Artikel vom 7. März 2015 um 11:31 CET.