Caravaggio. Der Maler und sein Werk

Dez 20, 2019 at 16:00 1431

Das Standardwerk von Sybille Ebert-Schifferer in einer aktualisierten Sonderausgabe

Bereits die Geschichte des Stillebens (damals noch mit zwei „L“ geschrieben) begeisterte den Schreibenden. 2009 legte Sybille Ebert-Schifferer mit Caravaggio. Sehen – Staunen – Glauben. Der Maler und sein Werk ein weiteres Standardwerk vor. Im August 2019 wurde es – leicht aktualisiert – als Sonderausgabe (Amazon.de) nochmals aufgelegt.

In ihrem neuen Vorwort verweist Sybille Ebert-Schifferer auf die knapp 4000 Literaturtitel, die bis heute zu Michelangelo Merisi aus Caravaggio (1571-1610) erschienen sind. Sie kommt zum Schluss, dass sich in den vergangenen vier Jahrzehnten einige Hauptmelodien aus dem vielstimmigen Chor zu diesem Künstler herauskristallisiert hätten. Der tiefste Graben trenne jene, die in Caravaggio einen rebellischen, von der modernen Naturforschung angetriebenen Freidenker sehen, einen heterodoxen Bohemien, der aus sozialem Widerstand die Unterschichte frequentierte, von jenen, die ihn als Protegé des Reformtheologen Kardinal Federico Borromeo definieren und ausschliesslich christologisch verrätselte Bilder erfinden liessen.

Sybille Ebert-Schifferer kommt zum Schluss, viele dieser Theorien funktionierten genauso über Zirkelschlüsse wie diejenigen, die den Versuch unternahmen, Leben und Werk durch psychoanalytische Deutung zusammenzuspannen. Vieles erscheine als unhinterfragbare Tatsache, weil es oft genug wiederholt worden sei. Das Faszinosum von Caravaggios Kunst erklärt die Autorin mit der Tatsache, dass seine Werke nicht nur all das aushalte, sondern immer wieder intellektuell anregende Erkentnisse ermögliche. Wie viel solche Erkenntnisse mit Caravaggios Zeit zu tun hätten, stehe allerdings auf einem anderen Blatt.

Als weiteres Feld erbitterter Auseinandersetzungen macht die Autorin die materielle Grundlage, das Œuvre aus. Hier träfen Restriktionisten, die mit der Anerkennung von Gemälden als Originale Caravaggios sehr sparsam umgingen, auf Expansionisten. Die italienische Forschung bezeichnet sie als führend. Die meisten Quellenfunde würden aus den Archiven zutage gefördert. Sybille Ebert-Schifferer bezeichnet sich im Vorwort selbst als Restriktionistin in jeder Hinsicht. Sie unterzieht in ihrer Einleitung die nicht-archivalischen Quellen einer kritischen Wertung. In ihrem Buch fehlen Diskussionen über mit Caravaggios Gemälden verknüpfte Skandale und Abrechnungen. Sie verkneift sich bewusst das Rätseln über die Modelle des Künstlers, denn mit Ausnahme späteren Klatsches gebe es kaum Anhaltspunkte für ihre Identität und schon gar nicht dafür, ob sie nun (männlicher) Liebhaber oder (weibliche) Geliebte des Malers waren.

Die Autorin versucht, alle historisch plausibel erscheinenden Ansätze zu verbinden und fruchtbar zu machen. Sie entschied sich für eine relativ konservative chronologische Strukturierung ihres Textes, da ihrer Meinung nach Querschnittsanalysen nach Problemkomplexen zu viele Wiederholungen und Probleme der Verständlichkeit für den Nicht-Spezialisten mit sich gebracht hätten.

Seit der letzten Auflage des Buches 2012 seien bis 2019 allein 700 neue Titel zu Caravaggio erschienen. Diese konnten natürlich nicht alle für diese Sonderausgabe berücksichtigt werden. Der Text wurde nur dort geändert, wo die Autorin auf Grund neuerer Forschungen ihre Meinung geändert hat. Das betreffe insbesondere die Einschätzung der nunmehr restaurierten Fassung des Fruchtschälenden Knaben (Boy Peeling Fruit, ca. 1592-93) in Hampton Court und die Verbindung der 1969 geraubten Geburt Christi in Palermo, die nur noch über ein Farbfoto (sowie neuerdings eine digitale Rekonstruktion in situ) bekannt ist, mit einem Auftrag aus dem Jahr 1600. Nunmehr müsse davon ausgegangen werden, dass Caravaggio nie in Palermo gewesen sei.

Sybille Ebert-Schifferer breitet auf 327 Seiten in einem reich bebilderten Buch ihre Ansichten und Erkenntnisse zur Biografie und zur Kunst Caravaggios aus. Das Buch ist in vier Hauptteile gegliedert. Nach einer Einleitung unter dem Titel „Vom Malenden Engel zum Verderber der Malerei. Die Entstehung einer schwarzen Legende“ widmet sich die Autorin im Kapitel „Lombardei 1571-1592“ der Kindheit, Jugend und Ausbildung des Malers in Mailand sowie seinem Weg nach Rom. Das zweite Kapitel behandelt die Zeit in „Rom 1592-1609“. Hier geht es um seine erste Selbständigkeit, frühe Freundschaften, die Zeit im Haushalt von Kardinal Francesco Del Monte, seinen Aufstieg am römischen Malerhimmel, Künstlerrivalitäten und den Verleumdungsprozess von 1603 sowie unruhige Zeiten und bewegende Andachtsbilder. Das dritte Kapitel ist dem „Exil 1606-1610“ gewidmet und handelt von Caravaggios Zeit auf den Gütern der Constanza Colonna, seinem neuen Ruhm in Neapel, seinem Aufenthalt in Malta, wo er zum Ritter des Malterserordens geschlagen wurde, der nachfolgenden Flucht aus dem Kerker nach Sizilen, seiner Rückkehr nach Neapel und seinem frühen Tod im Spital von Porto Ercole am 18. Juli 1610.

Ihr viertes und letztes Kapitel überschrieb Sybille Ebert-Schifferer mit dem Titel „Kunstqualitäten“. Darin geht es um Innovation und Selbststilisierung (bewusste Imagepflege). Als auffälligste und aufregendste Neuerung bezeichnet die Autorin das konsequent schräg und streuungsfrei einfallende Licht, das seine Figuren buchstäblich und metaphorisch erleuchte, grosse Partien im Schatten lasse und die oft dichtgedrängten Figuren dadurch noch näher an den Betrachter aus einem unbestimmten Raum förmlich heranwerfe.

Zur Herstellung seiner Bilder habe Caravaggio wohl bewusst falsche Vorstellungen in die Welt gesetzt, wobei er es scheinbar vermieden habe, im Rahmen eines grossen Atelierbetriebes die Herstellungsweise seiner Bilder weiterzugeben. Es sei Caravaggio rasch gelungen, die Nachfrage nach seinen Bildern so zu steigern, dass die Preise in die Höhe schossen. Dieses letzte Kapitel widmet sich zudem den Themen künstlich und natürlich, heilig und profan, Affekte und Sinnlichkeit.

Dies sind nur einige wenige Einblicke in ein leicht aufdatiertes Buch, das den Laien nicht überfordert und dem Spezialisten dennoch genügend Anregungen und Einsichten zum Meister der Hell-Dunkel-Malerei (Chiaroscuro) bietet.

Sybille Ebert-Schifferer: Caravaggio. Sehen – Staunen – Glauben. Der Maler und sein Werk. Erstausgabe 2009. Dies ist die leicht angepasste Sonderausgabe vom August 2019. Verlag C.H. Beck, 327 Seiten. Das reich illustrierte Buch bestellen bei Amazon.de.

Diese Rezension beruht auf dem Buch von Sybille Ebert-Schifferer. Der Lesbarkeit wegen wurden Zitate und Teilzitate nicht zwischen Anführungs- und Schlusszeichen gesetzt.

Ebenfalls von Sybille Ebert-Schifferer und empfehlenswert: Geschichte des Stillebens. Bestellen bei Amazon.de. Hier unsere Rezension.

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Rezension vom 20. Dezember 2019. Hinzugefügt um 16:00 deutscher Zeit. Am 3. Januar 2024 um 21:00 das Stichwort „Chiaroscuro“ hinzugefügt.