Christian Thielemann

Nov 24, 2003 at 00:00 10014

Biografie, Konzerte, CDs, Kritiken

Biographie beruhend auf Kläre Warnecke: Christian Thielemann. Ein Porträt. Henschel Verlag, 2003, 288 S. Bestellen bei Amazon.de.

Christian Thielemann wurde am 1. April 1959 in Berlin-Wilmersdorf geboren. Sein Vater war aus dem Zweiten Weltkrieg verwundet zurückgekehrt, danach zuerst in Berlin als Handelskaufmann, dann in führender Position bei der Berliner Niederlassung eines westdeutschen Stahlunternehmens tätig. Christian Thielemanns Mutter stammte aus einer pommerischen Beamten- und Offiziersfamilie. Die bürgerlich-konservativen Eltern sorgten dafür, dass der Junge das Humanistische Gymnasium Steglitz bis zum Abitur durchlief.

Die bildungsbürgerliche Familie von Thielemann war musikbegeistert. Mutter und Vater spielten ausgezeichnet Klavier und waren enthusiastische Konzertgänger, die ihr einziges Kind schon in frühen Jahren zu Kammermusikabenden und den Sinfoniekonzerten der Berliner Philharmoniker mitnahmen. Die Eltern hätten gerne selbst eine künstlerische Laufbahn eingeschlagen. Da verwundert es nicht, dass sie ihren Sohn, der Talent zeigte, von Beginn an unterstützten.

Lange so es so aus, als ob Christian Thielemann eine Karriere als Pianist einschlagen würde. Mit sechs Jahren begann er systematischen Unterricht bei der Berliner Klavierpädagogin Elisabeth Demmler zu nehmen, der Frau des Solo-Flötisten der Berliner Philharmoniker, über den später die ersten Kontakte zu Herbert von Karajan geknüpft wurden.

Mit acht Jahren entwickelte Christian eine Passion für die Orgel. Doch Elisabeth Dremmler schob diesem Spiel rasch einen Riegel vor, weil sie meinte, dass das Orgelspiel die bereits gut entwickelte Klaviertechnik ruinieren würde. Stattdessen erhielt der Junge neben den Klavierstunden geregelten Geigenunterricht.bei der Berliner Geigenprofessorin Charlotte Hampe. Nicht wenige der Geiger der Berliner Philharmoniker stammen aus der Hampe-Schule. Bald wechselte Christian von der Geige zur Bratsche, deren dunkler, samtig satter Klang es ihm angetan hatte. Später wurde er Schüler bei Giusto Cappone, dem Solo-Bratscher der Berliner Philharmoniker, der an der Orchesterakademie der Berliner Philharmoniker lehrte. Cappone war ein anspruchsvoller Lehrer, der keine Rücksicht darauf nahm, dass die Bratsche Thielemanns Zweitinstrument war, was heute dem Dirigenten bei seiner Arbeit zu gute kommt.

Der Berliner Pianist Helmut Roloff wurde für Christian Thielemann zur künstlerisch wegweisenden Figur. Er nahm den Vierzehnjährigen als Privatschüler an der Berliner Musikhochschule auf. Roloff war als Schüler von Richard Rössler, der wiederum bei Max Bruch Kompositionsunterricht gehabt hatte, fest in der alten deutschen Musiktradition verankert. Vom strengen und sachlichen Roloff also wurde Thielemann in die Kunst des Phrasierens und Artikulierens eingeführt, wobei ihm der Lehrer alle Freiheiten liess. So konnte der Junge sich entfalten, ohne dass seine Fantasie im Keim erstickt wurde.

An den Wochenenden spielte Thielemann als Pianist Kammermusik im Freundeskreis in einem Pfarrhaus in Lichterfelde. Dazu kamen noch Kontrapunktstudien am Sternschen Konservatorium.

Abschied vom Gedanken einer Solistenkarriere nahm Thielemann nach der Begegnung mit Wagners Tristan und Isolde in der Berliner Inszenierung von Wieland Wagner. Thielemann war damals dreizehn oder vierzehn Jahre alt. Als er Heinrich Hollreiser in der Deutschen Oper dirigieren sah und hörte, wurde ihm instinktiv klar, dass er dies auch machen musste.

Mit vierzehn oder fünfzehn Jahren erkannte er zudem, dass die von ihm geschriebenen Werke doch nur „dritter, vierter oder fünfter Aufguss waren“. Da habe er „das Komponieren von einem zum anderen Tag aufgegeben“. Thielemann hatte damals bei Werner Thärichen, dem Solopauker der Berliner Philharmoniker, Kompositionsunterricht gehabt. Doch Thärichen versuchte ihm genau vorzuschreiben, was man beim Komponieren dürfe und was nicht, während dem Thielemann glaubte, niederschreiben zu müssen, was ihm aus dem Herzen kam. So trennte sich die zwei.

Als Thielemann 16 war, riet ihm Karajan zu einem Test-Dirigat bei Herbert Ahlendorf, das jedoch völlig missriet. Ahlendorf leitete damals das Berliner Städtische Konservatorium und meinte, Thielemann sei völlig unbegabt. Der Wille sei zwar da, doch das Talent fehle. Thielemann steckte laut Warnecke den Tiefschlag nur deshalb weg, weil ihn anschliessend Hans Hilsdorf unter die Fittiche nahm, der damals Dirigent und Studienleiter an der Deutschen Oper Berlin und Chefdirigent der Berliner Singakademie war. Mit 18 empfahl ihm Karajan, erst einmal das Abitur zu machen und danach in die Praxis zu gehen.

Hilsdorf schlug Thielemann danach Heinrich Hollreiser als Korrepetitor an der Deutschen Oper vor. Dieser stellte ihn nach dem Vorspielen 1978 für eine Monatsgage von 1300 Mark ein. 1979 bis 1982 folgte eine erste Assistenz bei Herbert von Karajan in Berlin, Salzburg und Paris. Daniel Barenboim assistierte Thielemann in Bayreuth und Paris. In der Saison 1981 wechselte Thielemann an das Stadttheater Gelsenkirchen als Korrepetitor mit Dirigierverpflichtung. In der Saison 1982/83 wirkte er in gleicher Position am Badischen Staatstheater in Karlsruhe. 1984/85 folgte eine Stelle am Niedersächsischen Staatstheater Hannover, wo er im Mai 1985 sein Wagner-Debüt gab, vorerst allerdings nur bei einem konzertanten Rienzi.


Christian Thielemann während einer Probe an der Wiener Staatsoper am 14. November 2015. Photo von Christian Michelides (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Thielemann_2047-Michelides.jpg).

In seiner Zeit als Korrepetitor und Edel-Assistenz von Karajan und Barenboim schoss Thielemann so manchen Bock. Beim Berliner Maskenball setzte die Banda hinter der Bühne im Finale des dritten Akts unter Thielemann gleich beide Male zu spät ein. In den Lehr- und Wanderjahren konnte er zugleich neue Freundschaften schliessen, so als er unter Barenboim und Ponnelle beim „Jahrhundert-Tristan“ in Bayreuth auf René Kollo traf, für den er eine „grenzenlose Verehrung“ hat. Kollo und Thielemann gaben später zusammen einen Liederabend in der Bonner Beethovenhalle, mit Thielemann am Klavier. 1992 nahmen sie in der Berliner Christuskirche eine Platte mit Orchesterliedern von Richard Wagner und Richard Strauss für EMI auf.

1985 scheiterte Christian Thielemann in der Berliner Hochschule der Künste beim von Herbert von Karajan gegründeten Internationalen Dirigentenwettbewerb. Vor der Jury unter dem Vorsitz des Intendanten der Berliner Philharmoniker, Wolfgang Stresemann, musste er wie alle 25 anderen Kandidaten das Vorspiel zu Wagners Tristan dirigieren. In den ihm zur Verfügung stehenden 20 Minuten spielte er jedoch die Vorgabe nicht einfach durch, sondern versuchte, den Musikern seine Interpretation nahe zu bringen. Nach Ablauf der vorgeschriebenen Zeit war er auf Grund ständigen Korrigierens und Wiederholens erst bei Takt 20 angekommen. Karajan und der Komponist Peter Ruzicka unterlagen in der Jury mit ihrer Ansicht, diese Probe müsste bewertet werden. Stresemann setzte die Mehrheitsmeinung durch, der auch Kurt Masur anhing, wonach man das Tristan-Vorspiel gar nicht gehört habe und deshalb nichts bewerten könne.

Das frühzeitige Aus war zwar ein schwarzer Tag für Christian Thielemann, doch brachte ihm seine Leistung die anhaltende Gewogenheit von Peter Ruzicka. „Wenn ich irgendwann einmal etwas für Sie tun kann, will ich das gerne tun“, versicherte er dem jungen Dirigenten, den er mit Tränen in den Augen am Ausgang der Berliner Musikhochschule hatte stehen sehen. In Ruzickas erster Spielzeit als Intendant der Hamburgischen Staatsoper 1988/89 holte er Thielemann für dessen ersten Tristan an sein Haus. Mit der Wiederaufnahme der „skandalumtosten“ Ruth-Berghaus-Inszenierung mit Flugzeug-Rotor und eisiger Mondlandschaft setzte die zwei ein Zeichen.

Von 1985 bis 1987 wirkte Thielemann als Erster Kapellmeister an der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf/Duisburg. Daneben dirigierte er 1986 die Neuinszenierung von Janaceks Jenufa an der Zürcher Oper. 1987 debütierte er an der Wiener Staatsoper mit Mozarts Così fan tutte. In den 1980er Jahren hatte er zudem viele Engagements in Italien, so in Mailand (1982, 1983), Turin (1982, 1985), Venedig (1983, 1984) und Rom (1985).

Von 1988 bis 1992 wirkte Christian Thielemann als Generalmusikdirektor am Nürnberger Opernhaus. Am 8. Oktober 1988 eröffnete er die Spielzeit ausgerechnet mit Palestrina (1917) von Hans Erich Pfitzner (1869-1949). Und das in der Stadt, über der der Schatten der Nazi-Reichsparteitage lag. Der Einstand als GMD in Nürnberg mit einem Komponisten, der sich schon 1920 in seiner Streitschrift Die neue Ästhetik der musikalischen Impotenz – Ein Verwesungssymptom? gegen den jüdischen Einfluss in der Musik wandte, sich in der Zeit des Nationalsozialismus weiter kompromittierte und nach dem Krieg uneinsichtig blieb, war für so manches deutsche Feuilleton der Anlass, den schneidig-preussischen Thielemann in die rechte Ecke zu stellen. Selbst der zackige Scheitel (!?) wurde dem Dirigenten zum Vorwurf gemacht. Thielemann wehrte sich mit Worten wie „Kann eine Tonart politisch sein?“ Doch der manchmal arrogant wirkende Berliner, kein Meister der Kommunikation, wurde auf Grund seines Einsatzes für Pfitzner und dessen musikalischer Legende Palestrina nicht nur 1988 angegriffen, sondern wir sogar noch heute teilweise angefeindet.

Natürlich war Christian Thielemann, den nach eigener Aussage an Pfitzner der „dunkle, grüblerische Grundton“ und „dieses narkotische der Musik“ faszinierte, bei weitem nicht der erste, der sich nach dem Zweiten Weltkrieg für die Musik des kompromittierten Komponisten einsetzte. Kläre Warnecke verweist in ihrer Thielemann-Biografie u.a. auf Joseph Keilberth in München, Erich Leinsdorf in Wien, Hans Zender in Hamburg, Wolfgang Sawallisch in München sowie auf Erich Kleiber, der seinem Sohn Carlos Palestrina ans Herz legte. Lebende Komponisten wie Hans Werner Henze, Peter Ruzicka und Wolfgang Rihm schätzen Pfitzner ebenfalls sehr.

Jahre später, am 28. Januar 1997, wagte sich Christian Thielemann im Royal Opera House Covent Garden in London an die erste professionelle Aufführung von Palestrina in Grossbritannien, zum 50jährigen Bestehen des Opernhauses. Die britischen Kritiker sahen darin keine Provokation und gingen in ihren Reaktionen weitgehend sachlich auf das Werk und seine Interpretation ein. Norman Lebrecht vom Daily Telegraph listete am 1. Februar 1997 „zehn gute Gründe“ auf, warum man sich auf Pfitzners Palestrina einlassen sollte, und Bernard Levin zeigte sich am 12. Februar 1997 in der Times vom Komponisten begeistert.

In seinen vier Jahren in Nürnberg wandte sich Christian Thielemann bewusst dem traditionellen Kanon der klassischen Musik zu, der in den Jahren vor ihm vernachlässigt worden war. Unter GMD Hans Gierster war das Nürnberger Opernhaus zwanzig Jahre lang eine Hochburg der Moderne gewesen. Nicht ohne Vorwurf stand in der Programmvorschau zum ersten Jahr unter Thielemann, Beethovens Neunte sei seit fünfzehn Jahren nicht mehr gespielt worden.

Die Orchestermusiker zogen mit und gaben dem jungen Dirigenten zu verstehen, dass sie sich unter seiner Ägide wieder vermehrt dem klassisch-romantischen Repertoire zuwenden wollten. Thielemann versuchte forsch, seine Ideen durchzusetzen. So standen Beethoven, Brahms, Wagners Tristan, aber auch weitere Werke von Pfitzner auf dem Programm. Ein weiterer Schwerpunkt bildete Robert Schumann, für den Thielemann seit seiner Jugend eine Schwäche hatte. Carl Maria von Weber wurde ebenfalls Platz eingeräumt, wobei der neue GMD sich bewusst um das wenig gespielte romantische Repertoire, um Werke mangelnder Popularität kümmerte. In diese Kategorie gehörten eine konzertante Aufführung von Schumanns Genoveva und Webers Euryanthe.

Insgesamt stiess die Arbeit von Christian Thielemann in Nürnberg auf Zuspruch, die Abonnentenzahlen für die Konzerte erhöhten sich bereits in den ersten zwei Jahren deutlich. Doch am 6. Mai 1992 erfolgte der grosse Krach, nicht mit dem Publikum, aber mit der Stadt Nürnberg, dem obersten Dienstherrn des GMD, der ein Jahr vor Auslaufen des Vertrages fristlos entlassen wurde. Dem jungen, auf internationalen Ruhm versessenen Dirigent, der von der grossen Orchestern und Opernhäusern in Wien, New York, Genf und Hamburg hofiert und von der New Yorker Künstleragentur Columbia Artists Management Inc. (CAMI) ins internationale Musikgeschäft gebracht worden war, wurde offiziell mangelnde Präsenz in Nürnberg bzw. überzogene auswärtige Dirigententätigkeit vorgeworfen.

Bereits 1989 wurde Thielemann ein erstes Mal vor den Kulturausschuss des Nürnberger Stadtrats zitiert, um zu Vorwürfen mangelnder Präsenz in der Stadt Stellung zu nehmen. Im Februar 1991 wurde er ein erstes Mal deswegen abgemahnt. Auf die vorzeitige Kündigung nach geheimem Stadtratsbeschluss im Mai 1992 reagierte der Dirigent mit der Beantragung auf Weiterbeschäftigung per Einstweiliger Verfügung beim Nürnberger Arbeitsgericht. Doch das Gericht lehnte den Antrag auch in zweiter Instanz ab. Thielemann durfte die noch ausstehenden Aufführungen nicht mehr dirigieren.

Die Entlassung erfolgte auf den erfolgreichen Nürnberger Tristan, der am 22. Februar 1992 Premiere gehabt hatte und von Karl Schumann in der Süddeutschen Zeitung vom 3. März 1992 als „Ausnahme-Aufführung“ hoch gelobt worden war. Nürnberg verlor nicht nur einen herausragenden, aufstrebenden Dirigenten, sondern 1996 auch den Prozess um die fristlose Kündigung, weshalb die Summe von 300,000 Mark an Thielemann gezahlt werden musste. Der Dirigent gestand später eigene Fehler wie Naivität und eine „Mit-dem-Kopf-durch-die-Wand-Mentalität“ ein. Warnecke vermerkt dazu trocken: „Andere nannten es Arroganz.“

Nach Nürnberg war Christian Thielemann von 1992 bis 1997 als Gastdirigent unterwegs. Mitte der 1990er Jahre widersetzte er sich dezidiert der historischen Aufführungspraxis und der Suche nach dem Originalklang. Seine mit dem Philharmonia Orchestra London für Deutsche Grammophon aufgenommenen Beethoven-Interpretationen standen vielmehr in der Tradition eines Wilhelm Furtwängler, eines bewusst romantischen Musizierens. Natürlich wurden Thielemann sofort restaurative Absichten unterstellt. Er beschwöre längst vergangene, obsolet gewordene Musizier- und Klangideale.

Dabei zeigt sich Christian Thielemann durchaus beeindruckt von einem Dirigenten wie Nikolaus Harnoncourt, der jede Note bei Mozart anders nehme, anstatt alles flächig herunterzugurgeln. Ihm verdanke er viel, ebenso wie John Elliot Gardiner, aber auch Reinhard Goebel. Doch er gehe einen anderen Weg. Er habe für Beethoven, Schumann und Brahms ein anderes, dunkleres, klangesättigtes und nicht ein helles, schlankes und objektives Klangbild im Ohr, wie es die Vertreter der authentischen Aufführungspraxis verträten. Er liebe den kraftvollen, satten, dunklen Klang, der sich bei Beethoven Sinfonien allein schon aus der Instrumentation ergebe.

Italien wurde für Christian Thielemann zu einem wichtigen Feld für die konsequente Weiterentwicklung seiner Standpunkte und Ideen, so Kläre Warnecke. Nach den Repetitorenjahren in Berlin und dem langsamen Beginn an deutschen Theatern sei Italien ohne Zweifel die prägendste Zeit für ihn gewesen, so der Dirigent. Peter Maag holte ihn nach Venedig ins Teatro la Fenice, wo er zum ersten Mal das Tristan-Vorspiel dirigieren durfte. Danach sei er regelrecht high gewesen, gestand der Berliner. Im Fenice dirigierte er zudem Lohengrin und Webers Euryanthe. Danach leitete er in Turin Wozzeck sowie erstmals Bruckners Vierte und Schumanns Zweite. In Bologna war er erster Gastdirigent für Oper und Konzerte. Das Orchester der Accademia Nazionale di Santa Cecilia in Rom lud in zu wichtigen Gastdirigaten ein. So leitete er zur Hundertjahrfeier der Akademie einen Zyklus mit sämtlichen Beethoven-Sinfonien. Die erste nationale Tournee des Orchesters seit 30 Jahren folgte, was Gastspiele bei den „Weissen Nächten“ in St. Petersburg und den Londoner Proms nach sich zog.

In Rom nahmen die Verantwortlichen der Deutschen Grammophon Gesellschaft Thielemann unter die Lupe und boten ihm danach einen Exklusivvertrag an. 1996 erschien bei DG seine erste CD mit Musik von Hans Erich Pfitzner und Richard Strauss. Das Orchester der Deutschen Oper Berlin spielte von Pfitzner die drei Palestrina-Vorspiele, die Liebesszene aus der Oper Das Herz und die Ouvertüre zum Käthchen von Heilbronn sowie von Richard Strauss Auszüge aus seinen frühen Opern Guntram und Feuersbrunst (bestellen bei Amazon.de, Amazon.com oder citydisc Schweiz).

Zeitgleich erschein 1996 bei DG seine erste Beethoven-CD. Mit dem Philharmonia Orchestra London als Partner spielte er die Fünfte und die Siebte ein. Die Interpretationen legten laut Warnecke „Klangwucht und Gefühlsmacht“ an den Tag. Richard Osborne nannte das in der Zeitschrift Grammophone „gloriously unfashionable“. Laut Warnecke wurde Thielemann in England „mit seiner auf voluminösen Klang und Breitband-Tempi abhebenden Beethoven-Interpretation […] in die Nähe Otto Klemperers gerückt“, der vierzig Jahre zuvor ebenfalls mit dem Philharmonia Orchestra die Beethoven-Sinfonien eingespielt hatte, allerdings ohne die agogischen Freiheiten, die sich Thielemann erlaubte. Der sah sich denn auch unter dem Einfluss von Furtwängler und seinem intuitiveren Musizieren, nicht unter dem von Klemperer. Attila Csampai im Schweizer Musik & Theater dagegen so in Thielemanns Aufnahmen nur „gleichermassen reaktionäre wie altbackene Beethoven-Prozessionen“ und „üppige deutsche Hausmannskost, Vollfettstufe“.

Bei seinen Gastspielen in den USA machte Christian Thielemann zumeist einen ausgezeichneten Eindruck. So 1993 mit dem Chicago Symphony Orchestra, mit dem er in der „Windy City“ die Fünfte von Beethoven spielte und damit den Musikkritiker der Chicago Tribune, John von Rhein, zu einer Lobeshymne und der Aufforderung an das Management hinriss, den Dirigenten wieder einzuladen, was auch geschah.

1993 war auch das Jahr, in dem Thielemann nach dem Wechsel von Riccardo Chailly zum Amsterdamer Concertgebouw Orchester in Bologna zum Ersten Gastdirigenten ernannt wurde. Der Berliner reiste in den Jahren vor seiner Berufung zum GMD der Deutschen Oper Berlin 1997/98 also zwischen Italien und den USA, aber auch Genf, London, Hamburg und Berlin hin und her. In New York kam es zu einem Streit mit der launischen und machtbewussten Sopranistin Kathleen Battle. Der Met-Chef Joseph Volpe stellte sich auf die Seite von Thielemann, dessen Rosenkavalier, nun mit Helen Donath als Sophie, zum musikalischen Sieg geriet. Die Zeitungen titelten genüsslich: „Conductor loses Battle, wins the war.“ Pikant an der Angelegenheit war, dass die Sopranistin wie der Dirigent von der New Yorker Agentur CAMI vermarktet wurde. Der Dirigent musste natürlich auch Niederlagen einstecken, so mit seinem ersten Rosenkavalier zum Saisonbeginn 1992/93 in Hamburg, wofür er und das Orchester Buhs erntete. Zurecht, wie Thielemann später selbstkritisch dazu anmerkte. Jubel zogen laut Warnecke einzig Kiri Te Kanawa als Marschallin und Kurt Moll als Ochs auf sich.

Für den Rest der Biografie, siehe das Buch:

Kläre Warnecke: Christian Thielemann. Ein Porträt. Henschel Verlag, 2003, 288 S. Biographie bestellen bei Amazon.de. Dieser Artikel beruht auf der Biografie von Kläre Warnecke.

Christian Thielemann, Orchester der Deutschen Oper Berlin: Pfitzner, Strauss(Orchestermusik aus Opern von Pfitzner und Strauss). Deutsche Grammophon, 1996. CD bestellen bei Amazon.deAmazon.com.

Thomas Quasthoff, Christian Thielemann, Orchester der Deutschen Oper Berlin: Die Stimme: Deutsche Romantische Arien (Evening Star. German Opera Arias). Deutsche Grammophon, 2002. CD bestellen bei Amazon.de.

Urspünglich wurde dieser Artikel in 2 Teilen am 11. und 24. November 2003 veröffentlicht.