Daniil Trifonov: Destination Rachmaninov — Departure

Jun 16, 2020 at 13:46 1018

Destination Rachmaninov — Departure

Der russische Pianist Daniil Trifonov gehört zu den herausragenden Interpreten unserer Zeit. Am meisten begeistern den Schreibenden seine Einspielungen von Werken seines Landsmannes Sergei Rachmaninoff. Für mich ist bis heute die beste Klassik-CD der (mindestens) letzten zwei Jahre sein Album Destination Rachmaninov — Departure (CD bei Amazon.de, Amazon.com, Amazon.co.uk, Amazon.fr; MP3 bei Amazon.de).

Der 1991 in Nischni Nowgorod geborene Daniil Trifonov ist das Kind zweier Berufsmusiker. Aus seiner Kindheit berichtet er: «Mit fünf Jahren hatte ich ersten Klavierunterricht, ich komponierte auch und gab ständig Konzerte». Als Achtjähriger trat er erstmals mit Orchester auf – ein Ereignis, das für ihn unvergesslich bleibt, weil er mitten im Konzert einen Milchzahn verlor.

Als Student an der Gnessin-Musikschule in Moskau lieh er bei seiner Lehrerin Tatiana Zelikman historische Aufnahmen großer Pianisten aus und zog seine Lehren aus den Einspielungen von Rachmaninoff, Cortot, Horowitz, Friedman, Sofronizki und anderen Vertretern eines goldenen Zeitalters des Klaviers. Er selbst sagte als Erwachsener: «Zu den heutigen Pianisten, die mich inspirieren, zählen Martha Argerich, Grigory Sokolov und Radu Lupu».

2009 begann Daniil Trifonov begann ein Klavierstudium bei Sergei Babayan am Cleveland Institute of Music, wo er auch Kom­positionsunterricht erhielt. 2011 gewann er den 13. Internationalen Rubinstein-Klavierwettbewerb in Tel Aviv, dann sicherte er sich den ersten Preis und den Grand Prix beim 14. Internationalen Tschaikowsky-Wettbewerb in Moskau. Er gewann dort zudem den Publikumspreis und den Preis für die beste Aufführung eines Mozart-Konzerts. Martha Argerich bemerkte kurz danach: «Was er mit seinen Händen macht, ist technisch unglaublich. Hinzu kommt sein Anschlag – er hat Zartheit und auch das dämonische Element. Ich habe so etwas noch nie gehört.»

Der noch immer junge Daniil Trifonov wird von Kritikern wie dem Publikum verehrt. So verlieh ihm 2016 das Magazin Gramophon den Artist of the Year Award.

Auf dem Album Destination Rachmaninov — Departure ist der Pianist zusammen mit dem Philadelphia Orchestra unter der Leitung des Dirigenten Yannick Nézet-Séguin (*1975) zu hören. Leider habe ich das Orchester in den letzten Jahren nie live gehört. Der Kanadier wurde bereits in der Saison 2012/13 Musikdirektor des Philadelphia Orchestra. Zumindest das Album vermittelt den Eindruck, dass das Orchester unter seiner Leitung grosse Fortschritte machte und noch nie so gut klang.

Die Einspielung des 2. Klavierkonzerts op. 18 in c-Moll von Sergei Rachmaninoff auf dem Album Destination Rachmaninov — Departure ist emotional und meisterhaft. Der 1873 geborene Rachmaninoff komponierte es 1900/01 nach einer schweren Schaffenskrise. Daniil Trifonov schreibt dazu im CD-Booklet, dass sich der Komponist mit dem Zweiten Klavierkonzert als Künstler neu erfunden haben. Er habe das Stück nach einer langen Periode der Stille komponiert, und es repräsentiere eine neue Art des Klavierspiels. Rachmaninoff verlange vom Pianisten nicht nur die Meisterung der Virtuosität des Stückes, sondern auch die Suche nach einer einzigartigen Kombination von tonalem Reichtum und konzentrierter Expressivität. Wenn wir an Rachmaninoffs Musik als eine voller Nostalgie dächten, dann sei das Zweite Klavierkonzert jenes Werk,in dem Idee, Form, Technik und lyrische Inspration ihre ausgreifte Balance und Ausdruck fänden.

Von den ersten Noten des Moderato im ersten Satz des 2. Klavierkonzerts op. 18 in c-Moll nehmen uns Orchester und Solist auf eine Reise in ein magisches, romantisches Land voller Freude, Liebe und starker Gefühle mit.

Im CD-Booklet schreibt Daniil Trifonov allerdings, das Zweite Klavierkonzert sei eines von Rachmaninoffs am wenigsten romantisches Werk. So habe ich es nicht gehört. Doch der Pianist führt aus:  “It is more classical. After years of struggle, Rachmaninov rediscovered simplicity of timing … the expression is heartfelt but transparent. There is no excess. This piece is sober, almost minimalistic in development, relying on polyphony rather than decorous embellishment. …”

Für den Schreibenden ist das Zweite Klavierkonzert die romantische Komposition schlechthin. Es gehört seit seiner Uraufführung 1901 zu den Publikumsschlagern schlechthin. Völlig zurecht.

Daneben finden sich auf dem Album Destination Rachmaninov — Departure noch Einspielungen des völlig anders gearteten 4. Klavierkonzerts von Rachmaninoff, dessen Interpretation dem Schreibenden je länger je besser gefällt, sowie Rachmaninovs Transkription für Soloklavier von drei Sätzen aus Bachs Partita für Violine in E-Dur BWV 1006.

Vor fielen Jahren hörte ich in der Victoria Hall in Genf eine wunderbare Darbietung des 2. Klavierkonzerts op. 18 in c-Moll von Sergei Rachmaninoff mit Vladimir Ashkenazi (*1937) als Solist. Leider war das Album, das damals von ihm erschien, nicht auf der Höhe des Live-Auftritts, sondern wirkte blass, wie eine Konserve. Der Kontrast mit der Aufnahme von Daniil Trifonov könnte nicht stärker sein: Auf Destination Rachmaninov — Departure hat der Hörer das Gefühl, er sitze im Publikum und verfolge einen Live-Auftritt mit all seinen Vibrationen.

Dieser Artikel folgt erst heute, weil ich hoffte, Daniil Trifonov live mit dem 2. Klavierkonzert zu hören. Das hat sich leider nie ergeben. Am nächsten kam ich dem Vorhaben in der Philharmonie Berlin am 21. Februar 2019. Damals gab der Pianist ein Solo-Rezital, bei dem er Werke von Beethoven, Schumann und Prokofiev spielte. Als Zugaben offerierte er seine Transkriptionen für Soloklavier der berühmten Rachmaninoff Vocalise aus 14 Romanzen Op. 34 für Stimme und Klavier sowie Allegro ma non tanto (The Silver Sleigh Bells) aus The Bells, Op.35, basierend auf einer russischen Adaption des gleichnamigen Gedichts von Edgar Allan Poe von Konstantin Balmont.

Eine Aufnahme von The Silver Sleigh Bells findet sich übrigens auf dem ebenfalls empfehlenswerten Album Destination Rachmaninov — Arrival, auf dem Daniil Trifonov mit dem Philadelphia Orchestra unter der Leitung von Yannick Nézet-Séguin Rachmaninoffs Klavierkonzerte 1 & 3 eingespielt hat (Audio-CD bei Amazon.de + MP3 bei Amazon.de).

Daniil Trifonov und das Philadelphia Orchestra unter der Leitung des Dirigenten  Yannick Nézet-Séguin: Destination Rachmaninov — Departure. Deutsche Grammophon, Oktober 2018. Die CD bestellen bei Amazon.de, Amazon.com, Amazon.co.uk, Amazon.fr; MP3 bei Amazon.de).

Alle Fotos auf dieser Seite: Copyright des Fotografen Dario Acosta + Deutsche Grammophon.

Albumkritik vom 16. Juni 2020. Hinzugefügt um 13:46 Schweizer Zeit.