Das Plakat. 200 Jahre Kunst und Geschichte

Sep 14, 2020 at 12:29 1127

Noch bis am 20. September 2020 zeigt das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg die Ausstellung Das Plakat. 200 Jahre Kunst und Geschichte. Der von Jürgen Döring herausgegebene Katalog stellt fast 480 Plakate von rund 200 Künstlern und Designern vor.

Tulga Beyerle schreibt im Vorwort, in der Welt der Grafik sei das Plakat, was im Produktdesign der Stuhl sei. Die Fläche, der Raum ist begrenzt, die Funktion eindeutig. Eine scheinbar einfache Aufgabe, und dennoch handle es sich um eine Herausforderung in der Königsklasse der Gestaltung.

Beim Stuhl wie beim Plakat werde gerunden und diskutiert. Es gehe um grundsätzliche Fragen fast philosophischen Ausmasses, werde die Meisterschaft der Gestalter*innen deutlich. Der grosse Unterschied bestehe allerdings darin, dass das Plakat flüchtig sei, es werde veröffentlicht und sei in dem Moment schon vom Verschwinden bedroht. Umso spannender sei daher die Aufgabe der Gestaltung, umso herausfordender das Sammeln der Plakate.

Das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg besitzt eine der besten und mit um die 100.000 Blatt umfangreichsten Plakatsammlungen Deutschland. Bereits der erste Direktor des 1875 eröffneten Museums, Justus Brinckmann (1843-1915), erkannte die Bedeutung dieses Gestaltungsformats als eigenständige Kunstform und begann Plakate zu sammeln, so Tulga Beyerle. Er schrieb Druckereien Plakatgestalter an und bat sie um Schenkungen. Zudem tätigte er Ankäufe, und entriss somit ein Belegstück aus dem Kreislauf des Entstehens, Plakatierens und Verschwindens.

Im Plakat verdichtet sich laut Tulga Beyerle die Diskussion über Ikonografie, Typografie, die Gestaltung der Fläche oder der Leere. Gleichzeitig ist das Plakat ein Abbild der jeweiligen Entstehungszeit, ein Repräsentant und Querulant der Aufmerksamkeitsökonomie und des Geschmacks, des Kunstverständnisses und der Bruchlinien der Designgeschichte.

Der Kurator der Ausstellung Das Plakat. 200 Jahre Kunst und Geschichte, Jürgen Döring, erläutert in seiner kurzen Katalog-Einleitung wie es zum Plakat kam. Die ersten informierten über Veranstaltungen, Theateraufführungen, Konzerte oder reisende Schaustellertruppen. Sie waren einfach gehalten und enthielten zumeist längere Texte, akzentuiert durch grosse Überschriften, oft ergänzt durch einfache Holzschnitte oder dekorative Rahmen als Blickfänger.

Allerdings durften bis weit ins 19. Jahrhundert hinein vielerorts nur amtliche Bekanntmachungen ausgehängt werden. Der Autor erwähnt den befremdlichen Fall des fürstlichen Theaters der Residenzstadt Güstrow, in der Ankündigunen über Schauspiele nur in allgemein bekannten Hausfluren ausgehängt werden durften.

Jürgen Döring schreibt, der öffentliche Aushang zur geschäftlichen Werbung sei in Frankreich seit der Revolution von 1789 und in England seit dem 18. Jahrhundert erlaubt gewesen, während es in den deutschen Staaten, abgesehen von wenigen Ausnahmen, offenbar bis nach den Revolutionsjahren 1849/49 gedauert habe, bevor Plakate öffentlich ausgehängt werden durften. Jürgen Döring offeriert einen kurzen Abriss der Plakatgeschichte sowie danach Informationen zum Konzept von Katalog und Aussstellung. Diese vermittlen einen Überblick über die Geschichte des Plakats von den Anfängen um 1800 bis heute.

Es ging Jürgen Döring nicht um die Erforschung möglichst vieler Details oder um eine möglichst breit gestreute Auswahl, sondern darum, die entscheidenden Epochen der Plakatgeschichte in gebotener Vielfalt darzustellen. Das Resultat sind über 170 kleine Kapitel, die jeweils den Umfang einer Doppelseite haben. Rund die Hälfte davon ist einzelnen Designern gewidmet. In den ersten gut 50 Kapiteln wird die Plakatgeschichte der ersten hundert Jahre bis zum Ersten Weltkrieg ausgebreitet. Weitere 40 betreffen die Zwischenkriegszeit sowie 80 die Zeit vom Zweiten Weltkrieg bis heute.

Hier nur der Hinweis auf einige Epochen und Details: Erste Plakate, Zirkus- und Schaustellerplakate, Chromolithos, Jugendstil in verschiedenen Ländern, erste professionelle Plakatkünstler, Art déco, Typoplakate, Pop und Poster, Fotodesign um 1980, etc.

Dieses Buch ist mehr als ein wunderschöner Bildband. Grossartig!

Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Jürgen Döring, Tulga Beyerle (Herausgeber): Das Plakat. 200 Jahre Kunst und Geschichte, gebundene Ausgabe, Prestel, 2020, 384 Seiten mit fast 480 Plakaten von rund 200 Künstlern und Designern. Das Buch bestellen bei Amazon.de.

Zitate und Teilzitate in dieser Buchkritik / Rezension sind der besseren Lesbarkeit wegen nicht zwischen Anführungs- und Schlussszeichen gesetzt.

Buchkritik / Rezension vom 14. September 2020 um 12:29 deutscher Zeit.