David Hockney. Die Tate zu Gast

Jun 01, 2020 at 11:40 1317

Anlässlich der Ausstellung David Hockney. Die Tate zu Gast im Bucerius Kunst Forum in Hamburg, die bis zum 13. September 2020 verlängert wurde, erschien der gleichnamige Hirmer-Katalog (Amazon.de). In Ausstellung und Katalog werden 95 Werke des in London und Los Angeles wohnenden Künstlers gezeigt.

Der 1937 in Bradford (West Yorkshire) geborene David Hockney gehört zu den bedeutendsten britischen Künstlern der Nachkriegszeit. Am 15. November 2018 sorgte die Versteigerung seiner Arbeit Portrait of an Artist (Pool with Two Figures) aus dem Jahr 1972 für weltweite Kunst-Schlagzeilen. Die Auktion bei Christie’s erbrachte $90,3 Millionen. Damit war es damals das teuerste öffentlich versteigerte Werk eines lebenden Künstler.

Der Swimmingpool wurde zu Hockneys Markenzeichen. Er verbindet Arkadien mit Wohlstand, Oberfläche, Sauberkeit, Freizeit, oftmals auch mit Künstlichkeit. Doch verweisen diese Pools immer auf mehr: auf das Darunter- oder Dahinterliegende, auf die Beziehung, die fehlende Beziehung, die Angst vor der Leere, die Leere selbst und die Einsamkeit. Ähnliche „Tiefen“ finden sich in den Porträts. Hockneys Menschen sind oft ähnlich angeordnet wie bei Edward Hopper und verraten dadurch viel. Hockneys Landschaftsbilder, mitunter utopisch-künstliche Welten, bergen ebenfalls ihr Geheimnis.

Die Hamburger Retrospektive zeigt David Hockney als Maler, Zeichner und Grafiker, der ständig Konventionen hinterfragt und neue Ausdrucksformen sucht, neue Arten des Sehens und der Darstellung erforscht, wobei er auf neue technische Herausforderungen stösst, die er erfoglreich meistert.

Die Schau im Bucerius Kunst Forum in Hamburg wurde von Helen Little in Zusammenarbeit mit Kathrin Baumstark und Lukas Schepers kuratiert. Die Ausstellung entstand in Zusammenarbeit mit der Londoner Tate, die seit 50 Jahren mit dem Künstler verbunden ist und über 100 seiner Werke besitzt. Mit David Hockney. Die Tate zu Gast wird diese herausragende Sammlung erstmals dem deutschen Publikum präsentiert.

In Tiefe wie Breite unübertroffen bietet die Auswahl einen Überblick über sechzig Jahre von David Hockneys Schaffen. Die verschiedenen Phasen und Motive des Künstlers aufzeigend, spiegelt die Ausstellung die Orte, an denen er lebte und arbeitete – von seinen bahnbrechenden Arbeiten als Student am Royal College of Art in London bis hin zu seinen ikonischen Darstellungen Südkaliforniens, seinen klug beobachteten Porträts und seinen Experimenten mit Abstraktion und Kubismus.

Im Bucerius Kunst Forum dreht sich die Schau vor allem um die Möglichkeiten und Darstellungen von Perspektive (Auf-, Unter-, Nah- und Panoramasicht), Wahrnehmung und Realität in seinem Werk. Gezeigt werden zudem seine Faszination für das Wasser sowie einfühlsame Porträts und intime Aktdarstellungen, die David Hockneys feines Gespür für zwischenmenschliche Beziehungen und sein Interesse am männlichen Körper dokumentieren.

David Hockney betrat die Bühne der Kunstwelt in den frühen 1960er Jahren als Teil einer radikalen Generation britischer Künstler, die versuchte, eine eigene figurative Sprache zu entwickeln. Aufgewachsen in einer Zeit der Entbehrungen, strebte er danach, ein „moderner“ Künstler zu werden. Seine einzigartige Ausdrucksweise enthält Referenzen auf Kunstgeschichte, Literatur und zeitgenössische Kultur. In innovativen Bildern erforschte er Identität und Lebenswelt gleichermaßen. wobei seine Bedeutung weit über diese Zeit hinausreicht. Mit unterschiedlichsten Medien wie Malerei, Zeichenkunst, diversen Drucktechniken, Fotografie und computerbasierten Technologien schafft er Werke, die heute wie damals große Publikumskreise erreichen, nicht zuletzt, weil er die Betrachtenden in seine Arbeiten mit einbezieht.

Kathrin Baumstark erläutert im Katalog wie David Hockney 1962 in der Ausstellung Young Contemporaries vier Werke unter dem Titel Demonstrations of Versatility (Demonstrationen der Vielseitigkeit) ausstellte, welche die Grenzen zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit verwischten. Dabei verwendete er schematische Figuren, Graffiti und Codes. Seine damals noch strafbare Homosexualität wurde neben der Selbstverortung als Künstler zum beherrschenden Bildthema dieser Frühzeit.

In Los Angeles fand Hockney zu neuen Themen und Darstellungsweisen. Das gleißende Licht, in das die Sonne Kaliforniens die Gebäude und die gezähmte Natur taucht, die Swimmingpools und die attraktiven jungen Männer wurden zu einer neuen wichtigen Inspirationsquelle. Dazu gehört die Darstellbarkeit von bewegtem Wasser und damit von Zeit, die von nun an einen wichtigen Platz in Hockneys Schaffen einnnimt.

Kathrin Baumstark unterstreicht, dass sich die Vielseitigkeit und Wandelbarkeit von David Hockney nicht nur in der Wahl der Themen und der Stile, sondern zudem in der Wahl der Materialien zeigen. Seine Bandbreite reicht von der klassischen Ölmalerei über Zeichnung und Fotografie bis hin zum iPad. In druckgrafischen Serien wie A Rake’s Progress und Illustrations for Fourteen Poems from C. P. Cavafy zeigt sich sein Können in der zarten Linienführung der Radierung und der genauen Beobachtung von zwischenmenschlichen Beziehungen. Das Einfangen eines flüchtigen Augenblicks, sei es einer Landschaft, eines Wasserspritzers oder auch der Interaktion zweier Menschen, ist typisch für sein Schaffen.

Ende der 1970er Jahre wandte sich David Hockney dem Problem der Perspektive zu. Er fasste diese Arbeiten unter dem Titel Moving Focus (Bewegter Fokus) zusammen. Inspiriert von chinesischen Rollbildern und von Pablo Picasso erforschte er Perspektive, Zeit und Raum, oft in kleinen Serien des immer gleichen Motivs: Porträts seiner Freunde, seiner Mutter, Innenräume und Landschaften. Diese kubistische Formensprache entwickelte er immer weiter, bis er in den 1990er Jahren fast gänzlich zur Abstraktion gelangte. David Hockney selbst nannte diese Werke „Landschaften des Inneren“. Sie sind häufig von realen Landschaften inspiriert, wie der Umgebung seines Hauses in Miami oder dem Grand Canyon. Diesem widmete sich der Künstler Ende der 1990er Jahre wieder in naturalistischer Malweise. Kathrin Baumstark führt aus, dass riesige Gemälde entstanden, die uns die Erhabenheit der Natur, aber auch unseren eigenen Standpunkt und Blickwinkel vor Augen führen.

Im Katalog erläutert Helen Little die Beziehung von David Hockney zur Tate. Gregory Salter erforscht die Beziehung des Künstler zur Schwulenbewegung, zur Queer History der 1960er Jahre. Uwe M. Schneede widmet sich dem Thema Stilfreiheit und Tabu in Hockneys frühen malerischen Arbeiten. Eine kurze Biografie und eine Bibliographie ergänzen den Band, in dem natürlich alle 95 ausgestellten Werke abgebildet sind.

Die Ausstellung David Hockney. Die Tate zu Gast ist noch bis am 13. September 2020 im Bucerius Kunst Forum in Hamburg zu sehen (Stand 1.6.2020).

Andreas Hoffmann und Kathrin Baumstark, Hrsg: David Hockney. Die Tate zu Gast. Bucerius Kunst Forum in Hamburg, Hirmer Verlag, gebundene Ausgabe, 2020, 220 Seiten mit 120 Farbabbildungen. Den Ausstellungskatalog / Das Buch bestellen bei Amazon.de.

Zitate und Teilzitate aus dem Ausstellungskatalog sind zwecks besserer Lesbarkeit der Rezension nicht mit Gänsefüsschen ausgezeichnet.

Buchrezension / Rezension vom 1. Juni 2020 um 11:40 deutscher Zeit.