Die vorgezogene Neuwahl zur Nationalversammlung in Frankreich 2024 führte zu mehr Instabilität. Der darauf folgende Premierminster Michel Barnier (*1951) konnte sich nicht lange halten. Der neue, François Bayrou (*1951), schaffte immerhin bereits, was seinem Vorgänger verwehrt blieb: Er setzte ein Budget durch – mit Hilfe des umstrittenen Verfassungsartikels 49.3 – und konnte die Sozialisten (PS) von der extremen Linken um Jean-Luc Mélenchon (LFI) und deren Wahlallianz Nouveau Front populaire (NFP), in der zuvor LFI, PS, Grüne, Kommunisten (PCF) sowie kleinere politische Kräfte vereint waren, abtrennen. Am 5. Februar 2025 überstand Premierminister Bayrou die zwei von LFI in der Nationalversammlung eingebrachten Misstrauensanträge, nicht zuletzt weil anders als am 5. Dezember 2024 unter Premierminister Barnier die extreme Rechte (Rassemblement National, RN) um Marine Le Pen und Jordan Bardella sowie die Mehrheit der Sozialisten (PS) nicht gegen das Budget stimmten, der Regierung deshalb nicht das Vertrauen entzogen.
Doch die Regierung Bayrou verfügt nach wie vor über keine Mehrheit in der Nationalversammlung. Nicht nur wollen LFI und RN eher früher als später den Regierungschef stürzen, in der (zur Zeit zumindest falschen) Hoffnung, Präsident Macron werde danach eine frühzeitige Präsidentschaftswahl ansetzen, sondern auch in den bürgerlichen, zentristischen und sozialistischen Lagern wollen mögliche Rivalen wie Edouard Philippe, Gabriel Attal, Laurent Wauquiez, François Hollande und andere nicht den Erfolg der Regierung bis zum Ende der Legislaturperiode, denn dann bestünde die Gefahr, dass Premierminister Bayrou 2027 als Favorit in die Präsidentschaftwahl gehen könnte.
François Bayrou ist ein Sturkopf. Doch sein Dickschädel hat (diesmal) nicht zum Sturz seiner Regierung geführt, sondern ihn ans Ziel gebracht. Der aus dem Département des Pyrénées-Atlantiques stammende François Bayrou ist der Enkel und Sohn von Bauern. Nach dem frühen Tod seines Vaters, der immerhin Bürgermeister (für das bürgerliche MRP) seines Heimatdorfes Bordères war, hat François seiner Mutter neben seiner Karriere als Gymnasiallehrer noch rund ein Jahrzehnt lang bei der Bewirtschaftung des Bauernhofs geholfen. Wie Joe Biden überwand François Bayrou sein Stottern. Gegen ihn spricht, dass er lange – wie so viele in der französischen Politik – ein kleiner Chef war, der sich für einen grossen hielt. Das Elysée war sein Ziel. Immerhin hat er es nun ins Hôtel Matignon geschafft.
Bayrou war eine der Schlüsselfiguren, die Präsident Macron 2017 zur Wahl verhalfen. Doch bald danach mussten die drei MoDem-Minister François Bayrou, Sylvie Goulard und Marielle de Sarnez wegen einer Affäre um Scheinbeschäftigungen von Parlamentsassistenten im EU-Parlament zurücktreten, insbesondere weil der FN von Marine Le Pen von einem ähnlich gelagerten Skandal betroffen war. François Bayrou war damals (hochpeinlich) in der ersten Regierung von Edouard Philippe Justizminister.
François Bayrou gehörte bereits von 1993 bis 1997 als Bildungsminister den Regierungen Balladur und Juppé an. Damals soll er nicht viel erreicht haben. Der ehemalige Präsident Valéry Giscard d’Estaing machte ihn 1991 zum Generalsekretär der zentristischen, bürgerlichen, liberalen UDF. 2007 wurde aus der UDF die Formation MoDem. François Bayrou präsentierte sich dreimal bei den französischen Präsidentschaftswahlen: 2002 holte er erbärmliche 6,8 %; 2007 kam sein Höhepunkt mit 18,6 %, doch als Drittplatzierter schaffte er es nicht in die Stichwahl; 2012 gewann er nur schwache 9,1 %. 2017 schliesslich verzichtete er und unterstützte erfolgreich Emmanuel Macron.
François Bayrou sah sich früh als Zentrist. Lange vor Emmanuel Macron versuchte er sich als jemand zu positionieren, der weder links noch rechts steht, der die Versöhnung der politischen Lager anstrebte. 1999 veröffentlichte er in Buchform Gespräche mit Sylvie Pierre-Brossolette unter dem Titel Abseits der ausgetretenen Pfade (Hors des sentiers battus; frz. bei Amazon.fr.). Mit dem Rassemblement National von Marine Le Pen hat er immerhin gemeinsam, dass er seit Jahren für Proporzwahlen eintritt. Die Affäre um Scheinbeschäftigungen von Parlamentsassistenten im EU-Parlament eint ebenfalls die extreme Rechte und Bayrou, der einen möglichen Ausschluss von Marine Le Pen von der Präsidentschaftswahl 2027 kritisch sieht.
Was spricht nun doch für François Bayrou? Die Journalistin Elise Daycard berichtete, dass er seit 2014 als Bürgermeister von Pau, mit rund 79,000 Einwohnern (Agglomeration: 206,000) immerhin die grösste Stadt im Département Pyrénées-Atlantiques, sich als Baumeister-Bürgermeister (maire bâtisseur) hervorgetan hat. Inspiriert von Alain Juppé in Bordeaux entstanden in Pau Grünflachen und Kinderspielplätze, Unternehmer und Künstler wurden in die Stadt gelockt. Die Steuern seien in Pau zwar hoch, doch trotz der Bautätigkeit seien sei nicht in die Höhe geschnellt, die Stadt sei nicht überschuldet.
Seit 1974 hat Frankreich kein ausgeglichenes Budget mehr präsentiert. Unter dem nur anfänglich liberalen Präsidenten Macron sind die Staatsschulden auf über 110% des BIP gestiegen, wovon rund 53% in ausländischen Händen sind. Das Defizit ist 2024 mit über 6% explodiert. Auch mit den bisherigen Massnahmen von Premierminister Bayrou und seiner Regierung soll das Defizit 2025 noch immer bei 5,4% zu liegen kommen, weit über den Maastricht-Kriterien von 3%, die erst 2029 wieder eingehalten werden sollen.
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Foto von François Bayrou, 2025. Services du Premier ministre (public domain).
Artikel vom 7. Februar 2025 um 12:20 französischer Zeit. Details zum Foto hinzugefügt um 12:47.