Der Libanon hat mit Michel Aoun einen neuen Präsidenten. Die Korruption der Kriegswirtschaft wurde nie überwunden.

Nov 01, 2016 at 11:35 1632

Mit einer Gesamtbevölkerung von rund 4,5 Millionen Einwohnern hat der Libanon über eine Million Flüchtlinge aufgenommen. Da verblassen die deutschen Zahlen. Bei einer so angespannten Situation leistete sich der Zedernstaat den Luxus, 29 Monate lang ohne Staatsoberhaupt auszukommen. Seit mai 2014 scheiterte die Wahl eines neuen Präsidenten 45 Mal. Nun hat es also beim 46. Versuch geklappt.

Seit dem 31. Oktober 2016 hat der Libanon (Bücher zur Geschichte) mit Michel Aoun einen neuen Präsidenten. Doch der 1935 geborene ehemalige General, ein maronitischer Christ, kann mit seinen 81 Jahren nur eine Übergangslösung sein. Die Situation erinnert ein wenig an Tunesien, wo Präsident Béji Caïd Essebsi (*1926) in einem fast schon biblischen Alter ist.

Gestern also hatten die Parlamentarier ein einsehen und wählten Michel Aoun mit 83 Stimmen zum neuen Präsidenten. 36 leere Stimmzetteln sowie 8 ungültige Stimmen wurden abgegeben. Da im dritten Wahlgang nicht mehr die Zweitdrittelmehrheit von 86, sondern die bei 65 Stimmen liegende absolute Mehrheit nötig war, gelang Michel Aoun die Rückkehr an die Macht. Im Parlament mit seinen 128 Mitgliedern waren 127 Parlamentarier präsent. Es handelte sich folglich um ein klares Votum für Michel Aoun.

Doch die Welt der Levante ist kompliziert. Der neue Präsident tat sich früher als Gegner des syrischen Regimes hervor, vollzog jedoch eine Wende und näherte sich der von Syrien und dem Iran protegierten schiitischen Hezbollah an. Vor allem aber stellte sich der Chef der grössten Parlamentsfraktion, der Zukunftsbewegung des in Saudi Arabien geborenen Milliardärs Saad Hariri (*1970), der jahrelang von Saudi Arabien unterstützt wurde, nicht mehr gegen die Wahl von Michel Aoun. Bei diesem Gesinnungswandel sollen nicht zuletzt wirtschaftliche Schwierigkeiten bei Hariris saudischer Baufirma Saudi Oger eine Rolle gespielt haben.

1988 hatte ihn der abtretende Präsident Amine Gemayel zu seinem Nachfolger an die Spitze eines Militärregimes gesetzt, das die Zeit bis zur Wahl eines neuen Staatschefs regieren sollte. Michel Aoun blieb zwei Jahre als Interimschef an der Macht, in denen er erfolglos gegen die von Syrien unterstützen Drusen, einer von anderen Muslimen bekämpften Spielart des Islam, kämpfte. Aoun war erfolglos sowohl gegen den Drusen Walid Joumblatt (*1949) wie auch gegen die christlichen Milizen der Forces libanaises (FL) von Samir Geagea.

Nach dem Einmarsch der Syrier in den Libanon 1990 flüchtete Michel Aoun 1991 nach Paris, wo er den Courant patriotique libre gründete. Erst nach der Ermordung von Premierminister Rafiq Hariri 2005 kehrte Michel Aoun aus seinem französischen Exil in den Libanon zurück.

2016 nun also wurde Michel Aoun zum Präsidenten gewählt, dank der Unterstützung seiner ehemaligen Gegner: Dem christlichen Samir Geagea, dem sunnitischen Ex-Premier Saad Hariri und einer Annäherung an die Hezbollah.

Samir Geagea und Saad Hariri sind Gegner des Assad-Regimes wie des von diesem protegierten Hezbollah. Allianzen ihm ethnischen und religiösen Flickenteppich der Levante sind oft kompliziert und von einer eigenen Logik.

Nicht nur dominieren dieselben grossen Familien den Libanon seit vielen Jahrzehnten, sondern der Zedernstaat wird eben so lange von Korruption, Nepotismus und Konfessionalismus geprägt. Familien, Ethnien und Religionen prägen die Politlandschaft. In der Wirtschaft hinterlässt der Bürgerkrieg von 1975 bis 1990 seine Spuren. Die (Korruption der) Kriegswirtschaft wurde nie wirklich überwunden. Familien und Milizen haben sich Teile der Wirtschaft unter den Nagel gerissen, von der Bau- über die Abfallwirtschaft bis zur Wasser- und Energieversorgung. Weltweit aufsehen erregte 2015 die Abfallkrise in Beirut, die an jene in Neapel erinnerte. Die Abfallgebühren gehören zu den höchsten in der Welt. Doch das korrupte System funktioniert nicht richtig.

Die Elektrizität wird im Libanon subventioniert. Die Gesellschaft Electriticé du Liban gilt als völlig korrupt und unfähig. Stundenlange Stromausfälle sind selbst in der Hauptstadt Beirut an der Tagesordnung. Gleichzeitig tragen die Stromsubventionen massgeblich zur steigenden Staatsschuld bei.

Die Wahl von Michel Aoun zum neuen Präsidenten löst die Probleme des Libanon noch lange nicht. Lediglich ein kleiner Schritt wurde getan. Mit einer Staatsschuld von rund 150% des BIP steht der Libanon weltweit an der drittletzten Stelle, nur noch übertroffen von Japan und Griechenland. Die Korruption, der Nepotismus, die Miss- und die bis heute weiterwirkende Kriegswirtschaft müssen ebenso wie die Familienclans, die ethnischen und religiösen Spaltungen überwunden werden.

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Lebanon flag on top of page added on September 3, 2020. Source: Wikipedia (public domain). Artikel vom 1. November 2016 um 11:35.