Der Wahlverlierer Michael Kretschmer ist neuer Ministerpräsident in Sachsen

Jan 01, 2018 at 00:02 1500

Michael Kretschmer (*1975) heisst der neue sächsische Ministerpräsident. Am 13. Dezember 2017 wurde der neue starke Mann der CDU im ersten Wahlgang vom sächsischen Landtag in Dresden mit 69 von 122 abgegebenen Stimmen gewählt. Das Regionalparlament zählt insgesamt 126 Abgeordnete, doch 4 Mitglieder nahmen an der Wahl nicht teil. 48 Parlamentarier votierten gegen Michael Kretschmer, 3 Stimmen waren ungültig und 2 Abgeordnete übten Stimmenthaltung.

Die grosse Koalition von CDU und SPD verfügt im Freistaat Sachsen eigentlich über 77 Stimmen. Folglich stellten sich nicht alle Parlamentarier der Regierungskoalition hinter ihren neuen Ministerpräsidenten. Da die Wahl geheim ist, bleibt verborgen, wer hier seinen Unmut äusserte.

Dass Michael Kretschmer für den zurückgetretenen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich (CDU) nachrückte, ist nicht selbstverständlich, denn er ist eigentlich ein Wahlverlierer. Bei der Bundestagswahl vom 24. September 2017 hatte der Kretschmer nach 15 Jahren sein Bundestagsmandat an Tino Chrupalla (*1975) von der AfD verloren. Da Kretschmer nicht über die Landesliste abgesichert war, verlor er seinen Sitz im Berliner Parlament. Noch 2013 hatte er 49,6% der Erststimmen und damit das Direktmandat im Wahlkreis Löbau-Görlitz-Niesky klar gewonnen. Der seit 2005 amtierende Generalsekretär der CDU fühlte sich zu sicher. 2017 konnte er sein 2013 errungenes Direktmandat nicht verteidigen. Als Generalsekretär war er für den Bundestagswahlkampf im Freistaat verantwortlich – und somit für seine eigene Niederlage.

Mit 32,4% der Erststimmen lag Tino Chrupalla 2017 im Wahlkreis Görlitz knapp vor Michael Kretschmer von der CDU mit 31,4%. Klar abgeschlagenen landeten Thorstens Ahrens von Der Linken mit 13,6%, Thomas Jurk von der SPD mit erbärmlichen 10,9% und Christine Schlagehan von der FDP mit 5% der Erststimmen.

Bei der Zweistimme landete die AfD in Görlitz 2017 mit 32,9% noch klarer vor der CDU mit nur noch 26,7%, Der Linken mit 14%, der SPD mit 9,3% und der FDP mit 7%.

Erstaunlich ist schon, dass Michael Kretschmer sein Direktmandat im Bundestag nicht verteidigen konnte. Am 30. September 2016 hatte er noch einen „Aufruf zu einer Leit- und Rahmenkultur“ mitverfasst, mit dem er sich klar auf dem rechten Flügel der Union positionierte. 2017, in der Debatte um die Homo-Ehe, setzte sich Michael Kretschmer (wie Kanzlerin Merkel) für die Exklusivität der traditionellen Ehe zwischen Mann und Frau und gegen die „Ehe für alle“ ein; zudem lehnte der sächsische CDU-Mann das Adoptionsrecht für Homosexuelle ab. Doch trotz dieser konservativen Positionsbezüge wählten die von Merkel und der CDU Enttäuschten den AfD-Vertreter Tino Chrupalla anstelle von Michael Kretschmer in den Bundestag.

Dass in Sachsen – nicht nur für die CDU – nicht alles rund läuft, wurde bereits bei der Landtagswahl 2014 klar, bei der die CDU zwar 39,7% holte, doch sich bereits viel Protest äusserte. Die Linken kam auf 18,9% der der Listenstimmen und 21% Direktstimmen, der AfD auf 9,7% der Listenstimmen und 6,4% der Direktstimmen und die NPD auf 4,9% der Listenstimmen und 5,1% der Direktstimmen. Vor allem aber zu denken geben musste die erbärmliche Wahlbeteiligung von lediglich 49,1%. Merkels Flüchtlingspolitik brachte danach das Fass zum Überlaufen, massiver Unmut äusserte sich bei der Bundestagswahl 2017.

Am 30. Dezember 2017 meldete die Bundesarbeitsagentur, dass die sächsische Arbeitslosenquote im November 2017 auf rekordtiefe 6,1% gesunken sei, die Nachfrage nach Fachkräften anhalte. Doch sind in der Statistik laut dem MDR Arbeitslose nicht erfasst, die älter als 58 Jahre sind, einen Ein-Euro-Job haben, ein gefördertes Arbeitsverhältnis haben, im Bundesprogramm Soziale Teilnahme am Arbeitsmarkt sind, eine berufliche Weiterbildung absolvieren, an Massnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung teilnehmen, Beschäftigungszuschuss für schwer vermittelbare Arbeitslose erhalten bzw. krankgeschrieben sind. Mit anderen Worten, die offiziellen Arbeitslosenzahlen sind zwar nicht schlecht, aber geschönt.

Auf Ministerpräsident Michael Kretschmer warten viele Baustellen, die er als langjähriger CDU-Generalsekretär in Sachsen teilweise mitzuverantworten hat. Das MDR Aktuell Radio meldete, rund ein Drittel (11,000) der Lehrer in Sachsen seien Teilzeitbeschäftigte. Reformen im Bildungswesen sind nötig, nicht nur, weil ein Mangel an Lehrern herrscht. Was die für Sachsen wichtige Braunkohle angeht, so hat sich der neugewählte Ministerpräsident bereits gegen ihr schnelles Ende ausgesprochen. Zudem liess Michael Kretschmer verlauten, er sei für eine rasche Abschiebung der vielen Hunderttausend ausreisepflichtigen Flüchtlinge und gegen den Familiennachzug von Flüchtlingen. Städte wie Leipzig und Dresden stehen wirtschaftlich gut da, doch insbesondere im strukturschwachen Osten Sachsens fühlen sich viele abgehängt und vergessen. Kretschmer hat bereits im November auf einem CDU-Kreisparteitag versprochen, die Infrastruktur in den ländlichen Regionen zu verbessern.

Am 18. Dezember 2017 stellte sich Ministerpräsident Michael Kretschmer in Chemnitz bei einer öffentlichen Veranstaltung den Fragen von Journalisten und Bürgern zum Thema Sicherheit, ländlicher Raum und Bildung. Bezüglich der hohen Zahl der Einbrüche in Sachsen verwies er auf den Plan, 1000 Polizisten neu einzustellen, was einige Zeit dauern werde. Den früheren Abbau bei der Polizei bezeichnete er als Fehler. Die Grenzkontrollen wolle er zudem verstärken, doch an ein Dichtmachen der Grenze denke er nicht. Straffällig gewordene Asylbewerber wolle er konsequent abschieben, doch räumte er ein, die Möglichkeiten des Landes Sachsen seien in der Frage beschränkt. Als Beitrag zur Entwicklung im ländlichen Raum bezeichnete er den Plan der Übernahme der Kosten von Breitband-Anschlüssen in dünn besiedelten Regionen durch die Landesregierung. Ländliche Regionen will er zudem besser ans Netz des öffentlichen Verkehrs anbinden. Beim Thema Bildung wollte sich der Ministerpräsident nicht auf eine Zusage zur möglichen Verbeamtung der Lehrer einlassen; Sachsen ist eines von nur zwei Bundesländern, in denen Lehrer nicht verbeamtet werden, weshalb nach Ansicht von Kritikern der Beruf in Sachsen nicht attraktiv genug ist, was zum Lehrermangel geführt habe. Zu den Gründen, weshalb er den parteilosen Kultusminister Frank Haubitz nach nur 8 Wochen im Amt entliess, äusserte er sich nicht; Haubitz hatte sich für die Lehrerverbeamtung eingesetzt, was insbesondere vom abgetretenen Finanzminister Unland mit Blick auf die möglichen Folgekosten, die finanziellen Risiken abgelehnt worden war.

Am 18. Dezember 2017 stellte der neue Ministerpräsident Michael Kretschmer sein erstes Kabinett vor. Einige CDU-Minister wurden ausgewechselt, während dem die SPD an ihren Ministern der vorhergehenden Regierung Tillich festhielt.

Ministerpräsident Kretschmer setzte gleich Prioritäten: „Gemeinsam wollen wir [CDU- und SPD] die starke wirtschaftliche Basis im Freistaat Sachsen erhalten und ausbauen. Wir werden uns insbesondere um den Mittelstand, die Unternehmensnachfolge und die Gründerszene in Sachsen kümmern.“ Daneben erwähnte er die Digitalisierung, den Breitbandausbau (insbesondere) im ländlichen Raum.

Der neue Finanzminister der Regierung Kretschmer heisst Matthias Hass (*1967 in Stade) und kommt von der CDU. Er war zuvor unter anderem im Bundeskanzleramt sowie zuletzt im Bundesfinanzministerium tätig gewesen. Er ersetzt den bisherigen Finanzminister Georg Unland von der CDU, der zuvor angekündigt hatte, nicht mehr der sächsischen Regierung angehören zu wollen.

In einem Interview mit der Sächsischen Zeitung machte Matthias Hass klar, dass er an der soliden Finanzpolitik, die für den Freistaat Sachsen längst ein Markenzeichen sei, festhalten will. Als Politikschwerpunkte der neuen Regierung bezeichnete er Bildung und Sicherheit. Hinzu kämen das Thema ländlicher Raum. Der Schwerpunkt Digitales gehöre ebenfalls dazu.

Neuer Innenminister ist der 1970 in Duisburg geborene Roland Wöller von der CDU, der Markus Ulbig (*1964), ebenfalls von der CDU, ersetzt hat. Wöller soll die Sicherheit in Sachsen verbessern, die Digitalisierung der Verwaltung vorantreiben und die Beziehung zu den Kommunen verbessern.

Roland Wöller war einst Umweltminister in Sachsen und damals in einen Giftmüllskandal verwickelt gewesen, bei dem er laut Der Zeit Falschaussagen machte. Später wurde er Kultusminister und trat 2012 aus Protest von seinem Amt zurück, weil die Landesregierung Tillich seinem Ministerium Kürzungen von über 100 Millionen Euro zumuten wollte, was zu einem Abbau von Lehrerstellen führen würde, so Wöller. 2011 wurde Wöllers Doktorarbeit als angebliches Plagiat angegriffen. Er durfte nach nochmaliger Prüfung seinen Titel zwar behalten, doch sein Doktorvater griff ihn in einem Gespräch mit Der Zeit scharf an.

Neuer Kultusminister der Regierung Kretschmer ist der 1975 in Dresden geborene Christian Piwarz, der den Parteilosen Frank Haubitz ersetzt, der nur 8 Wochen im Amt war. Piwarz war bisher parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Landtagsfraktion in Sachsen.

Fritz Jaeckel musste den Posten als Chef der Staatskanzlei räumen, der neu von Oliver Schenk von der CDU besetzt wird. Der 1968 in Dachau geborene Schenk war zuletzt im Bundesgesundheitsministerium als Abteilungsleiter tätig. Laut Ministerpräsident Kretschmer liegen im insbesondere die Beziehungen zu Polen und Tschechien am Herzen. Dorthin will er auch zuerst hinreisen, liess er bereits verkünden. Sachsen liege im Herzen Europas, die sächsische Europapolitik brauche daher ein klares Profil. Oliver Schenk soll sich mit darum kümmern, sowie um eine aktive Medienpolitik.

Alle anderen Minister behielten ihre Posten. Stellvertretender Ministerpräsident und Minister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr bleibt daher der 1974 in Plauen geborene Martin Dulig von der SPD. Er ist seit 2009 SPD-Landesparteichef. Er äusserte sich in einem Interview mit der Leipziger Volkszeitung ähnlich wie Ministerpräsident Kretschmer: „Wir sind als Industrienation auf eine verlässliche und bezahlbare Energieversorgung angewiesen, ohne die Umwelt und die kommenden Generationen zu vernachlässigen.“ Das heisst kein sofortiges Aus für die Braunkohle, denn der Wirtschaftsminister schob nach, mit den Betriebslaufzeiten der Tagebaue sei der Ausstieg aus der Braunkohle doch definiert. Sachsen soll weg von der Werbung der Vorgänger als Billiglohnland. Die Erhöhung der Produktivität müsse nun auch bei den Beschäftigten ankommen. In den vergangenen Jahren seien im Freistaat die Löhne um durchschnittlich 11,1% gestiegen, im vergleich mit bundesweit nur 8,2% Darauf folgerte Dulig im Interview, Sachsen sei auf dem richtigen Weg.

Der 1978 in Leipzig geborene Sebastian Gemkow von der CDU bleibt Justizminister. Der 1961 in Burgstädt geborene Thomas Schmidt von der CDU behält sein Amt als Minister für Umwelt und Landwirtschaft. Die 1965 in Annaberg-Buchholz geborene Barbara Klepsch von der CDU bleibt Ministerin für Soziales und Verbraucherschutz. Die 1958 in Nordhausen geborene Petra Köpping von der SPD behält ihr Amt als Ministerin für Gleichstellung und Integration. Die 1957 in Mainz geborene Eva-Maria Stange von der SPD amtet weiterhin als Ministerin für Wissenschaft und Kunst.

Alle Minister müssen im Januar 2018 noch vereidigt werden, ehe sie offiziell ihre Funktionen übernehmen bzw. weiterführen können.

Seit der deutschen Einheit 1990 stellt die CDU in Sachsen ununterbrochen den Ministerpräsidenten. Der Freistaat hat sich in die richtige Richtung entwickelt. Doch Michael Kretschmer hat keine Entschuldigung für Missstände in seinem Bundesland. Seine Partei trägt dafür die massgebliche politische Verantwortung. Jetzt muss der Wahlverlierer von 2017 als Ministerpräsident und Parteichef liefern. Taktik und Rhetorik reichen nicht aus. Nur Resultate zählen. Bereits 2019 steht die nächste Landtagswahl an. Bis dahin gilt es, Nichtwähler und AfD-Wähler für die Regierung (zurück) zu gewinnen, ohne die Mitte zu vergraulen.

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Das Photo zeigt Michael Kretschmer am 1. September 2019. Photo by Sandro Halank.

Artikel vom 1. Januar 2018 um 00:02 litauischer Zeit. Photo von Kretschmer am 3.9.2019 hinzugefügt.