Die Kronenhalle Bar

Mrz 19, 2023 at 19:38 1239

Das Buch Sans Pareil. Die Kronenhalle Bar (Amazon.de) erzählt die unvergleichliche Geschichte einer Zürcher Institution an der Rämistrasse, und bietet Cocktailrezepte zu berühmt gewordenen Drinks, die zur Nachahmung auffordern.

Herausgegeben von Sibylle Ryser und Isabel Zürcher, die unter Mithilfe von Stefanie Manthey als Assistentin für die Recherchen verantwortlich zeigt, bietet die 80-seitige Publikation Einblicke in Geschichte und Design der legendären Bar.

Tritt der Gast durch den schmalen Windfang in die Kronenhalle Bar, geht augenblicklich jedes Zeitgefühl verloren. Ein diffuses Licht verschleiert die Tageszeit, sanfte Stille dämpft die Hektik der Stadt. Und das kommt nicht von ungefähr. Der Seidenhändler, Inhaber der Textilfirma Abraham AG, Mitinhaber der Kronenhalle und Kunstsammler Gustav Zumsteg (1915-2005) wollte von Anfang an eine «unvergleichliche» Bar schaffen.

1924 wurde das damalige «Hotel de la Couronne» am Bellevue in Zürich von Hulda und Gottlieb Zumsteg übernommen und als «Restaurant Kronenhalle» eröffnet. Hier verkehrten einst James Joyce, Pablo Picasso, Yves Saint Laurent, Wladimir Horowitz, Alberto Giacometti, Oskar Kokoschka, Lauren Bacall, Andy Warhol, Golda Meir, Günter Grass und natürlich als Stammgäste Max Frisch, Othmar Schoeck und Friedrich Dürrenmatt.

Gustav Zumsteg, der Sohn von Hulda, der legendären Kronenhalle-Wirtin, hatte 1964 einen verwegenen Plan und erwarb den frei gewordenen Coiffeur-Salon im Nachbarhaus des Restaurants. Ziel war die Eröffnung einer Bar, wovon seine Mutter zuerst nicht begeistert war. Sie sah darin eine Stätte des Lasters, der unangemessenen Freizügigkeit. Sie war in ihrem Leben nie in einer Bar gewesen. Sie kannte nur den für sie verruchten Begriff einer ‹Nachtbar› oder gar ‹Nacktbar›. Doch Gustav Zumsteg konnte sie von seinen ehrbaren Absichten überzeugen.

1965 eröffnete die Kronenhalle Bar ihre Türen. Als Mann, der auch an die Stoffe aus seinem Textilunternehmen höchste Qualitätsmassstäbe legte, was auch Yves Saint Laurent, Christian Dior, Hubert de Givenchy und andere Modemacher zu schätzen wussten, hatte Gustav Zumsteg ihr die Auszeichnung «sans pareil» vorausge­schickt. Mit Robert Haussmann (1931-2021) wählte er einen Innenarchitekten – der zudem noch Architekt, Designer und Hochschullehrer war -, dem das Handwerk am Herzen lag, während er gleichzeitig den Ansprüchen des modernen Gastes – schlichte Formgebung bei maximalem Komfort – entgegenkam.

Laut Wikipedia (Abschnitt ohne Fussnoten) hat Robert Haussmann 1948 an der Kunstgewerbeschule Zürich beim früheren Bauhausdozenten Johannes Itten studiert. Nach dem Militärdienst bildete er sich an der damaligen Kunstnijverheidschool in Amsterdam bei Gerrit Rietveld und dem Bauhäusler Johan Niegemann weiter. 1951 diplomierte er als Innenarchitekt in Zürich und besuchte daneben Vorlesungen beim Architekturtheoretiker Siegfried Giedion. Prägend sei zudem die Begegnung mit dem Dada-Künstler Hans Arp gewesen, was alles in Sans Pareil. Die Kronenhalle Bar (Amazon.de) nicht erwähnt wird.

Zurück zu den Ausführungen von Sibylle Ryser und Isabel Zürcher: In der Kronenhalle Bar überlässt das Mahagoni-Interieur von Robert Haussmann dem Zufall keinen Winkel. Auf begrenztem Raum wird so einer grossen Konzentration auf das Sinnliche Platz gemacht. Diego Giaco­mettis Eule grüsst vom Fuss einer der Leuchten, die ebenfalls vom jüngeren Bruder des unvergleichlichen Alberto Giacometti stammen, und trägt einen Funken französischen Surrealismus ins britisch angehauchte Ambiente mit dunkelgrünen Chesterfieldpolstern.

Sans Pareil – Die Kronenhalle Bar wird der Giacometti-Biograf James Lord mit den Worten zitiert, es sei «bezeichnend», dass Diego Giacometti die grössten Erfolge seines Schaffens nicht mehr persönlich miterlebte habe. 1988, erst nach seinem Tod, kam es in Zürich zu einer Ausstellung im Museum Bellerive, das mehrheitlich Exponate aus Privat­besitz versammelte.

In der Kronenhalle Bar prallen designmässig Universen aufein­ander: Hier Diego Giacomettis von Uneben­heiten gezeichnete Tischfüsse und dort der bündig ins Holz übergehende Messing­-Schuh der Stühle von Robert Haussmann; hier eine Klassi­zität, die sich auf etruskisches Kunsthandwerk be­ruft, dort ein sachlicher Stil bei perfekt ver­arbeiteten Oberflächen. Diego Giacometti lässt schon einen schmalen Steg als Lehne gelten, Robert Haussmann umschliesst den Rücken der Gäste mit einem ledergepolsterten Rondell. Die Lampen in den Fenstern der Kronenhalle sind mit Vogelnestern assoziiert worden. Aus Diego Giaco­mettis Atelier ist dafür die Bezeichnung «Dornen­kronen» überliefert.

Die bereits ab zwölf Uhr mittags geöffnete Kronenhalle Bar wartet mit Kunst von Pablo Picasso, Joan Miró, Henri Matisse, Robert Rauschenberg und anderen Künstlern auf. Die Publikation Pays de rêve – Die Kunst der Kronenhalle Zürich (2019; Amazon.de), ebenfalls herausgegeben von Sibylle Ryser und Isabel Zürcher, stellt die hauseigene Sammlung vor und nimmt dabei auch die Werke in der Bar in den Blick.

Sans Pareil – Die Kronenhalle Bar fokussiert auf die Entstehung der Bar und lässt der Kunst im Glas den Vortritt. Die fantasievollen Namen der Cocktails, ihre Farben und Zutaten gaben die Anregung zu assoziativen Illustrationen. Sie begleiten ausgewählte Rezepte der Kronen­halle Bar auf den schmalen Seiten, die an das Format von Barkarten erinnern.

Gustav Zumsteg setzte nicht nur beim Interieur, sondern auch beim Können des Personals höchste Massstäbe an. Die Ver­antwortung für Gäste und Getränkekarte übertrug er an Paul Nüesch: Der erste Chef de Bar hatte schon Winston Churchill im Berner Grand Hotel Bellevue gedient. Ihm folgten zudem Stammkunden aus dem Zürcher Hotel Baur au Lac, wo er zuletzt gearbeitet und seine Bloody Mary an Gäste aus der Finanzbranche, an Solistinnen und Dirigenten der Tonhalle oder an VIPs aus dem Filmbusiness ausgeschenkt hatte.

Dies und noch viel mehr zu entdecken gibt es im von Sibylle Ryser und Isabel Zürcher im Auftrag der Hulda und Gustav Zumsteg-Stiftung herausgegebenen Buch: Sans Pareil. Die Kronenhalle Bar. Verlag Scheidegger & Spiess, 1. Auflage, 2022, gebunden, 80 Seiten mit 48 farbigen und 16 sw Abbildungen, 18 x 26.5 cm. Das Buch bestellen bei Amazon.de.

Zu den Autorinnen: Sibylle Ryser führt seit 2001 ihr eigenes Büro für Buchgestaltung in Basel. Sie arbeitet für Museen, Verlage und kulturelle Institutionen. Isabel Zürcher lebt als freie Kunstwissenschaftlerin, Autorin und Redaktorin in Basel. Sie schreibt für kulturwissenschaftliche und journalistische Formate.

Zitate und Teilzitate in dieser Buchkritik / Rezension sind der besseren Lesbarkeit wegen nicht zwischen Anführungs- und Schlussszeichen gesetzt.

Rezension / Buchkritik des Buches Sans Pareil. Die Kronenhalle Bar hinzugefügt am 19. März 2023 um 19:38 Schweizer Zeit.