Die Sächsische Staatskapelle Dresden unter der Leitung von Dirigent Lahav Shani

Jul 11, 2017 at 10:28 1108

Konzertkritik

Der Abend des 7. Juli 2017 war nicht bemerkenswert, er war herausragend. In der Semperoper leitete der blutjunge, 1989 in Tel Aviv geborene israelische Dirigent Lahav Shani die inspirierte Sächsische Staatskapelle Dresden auf souveräne Art und Weise vor vollbesetzten Rängen.

Den Konzertauftakt machte Samuel Barbers (1910-1981) Adagio for Strings op. 11 von 1936. In kammermusikalischer Atmosphäre mit 33 Streichern folgten auf den kompositorisch so gewollten sanften Beginn eindringliche, intensive und grossartige Klänge, ehe es besinnlich zu Ende ging. Samuel Barber schrieb einen Schluss mit Suspense, der den Zuhörer in spannender Schwebe lässt, nichts auflöst. Der Auftakt des Konzertabends war kein seichtes Appetithäppchen, sondern bot sofort Hörgenuss auf höchstem Niveau, wobei die Musiker der Sächsischen Staatskapelle Dresden mit Präzision beeindruckten.

Mit Johann Sebastian Bachs (1685-1750) „rekonstruiertem“ bzw. dem Komponisten auf relativ dünner Grundlage zugesprochenen Konzert A-Dur für Oboe d’amore, Streicher und Basso continuo BWV 1055R entführte die Sächsische Staatskapelle Dresden sodann den Hörer vom ersten Ton an in die Zeit des Barock.

Jobst Schneiderat am Cembalo kam mit dem Generalbass eine weitgehend begleitende Funktion zu, der er gerecht wurde. Die Solo-Oboe von Bernd Schober setzte im Wechsel mit dem Orchester bestehend aus 23 Streichern Farbtupfer und Glanzpunkte. Lahav Shani entlockte den Musikern im Allegro festlich-fröhliche Klänge, die perfekt zu den historischen Bauten Dresdens passten, auch wenn die nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaute Semperoper selbst aus dem 19. Jahrhundert stammt.


Der israelische Dirigent Lahav Shani leitet die Sächsische Staatskapelle Dresden. Foto Copyright © Matthias Creutziger. DVDs mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden.

Auf die Spielfreude des Allegros folgte ein laut dem Programm „arioses Larghetto“ mit einem „pastoralen-Siciliano Rhythmus“, dessen „auffallendstes Merkmal“ in einer „charakteristischen Punktierung“ liegt. Hinzu kommt ein für den Barock typischer „chromatischer Abstieg innerhalb eines Quartenraumes, vorzugsweise im Bass. Dieser sogenannte Passus duriusculus („harte/schwere Gang“) symbolisiert die Sündhaftigkeit menschlicher Existenz“, den „Abfall des Menschen vor Gott“. Die Streicher der Sächsischen Staatskapelle Dresden unter der Leitung von Lahav Shani begannen das Larghetto mit getragenen Streichern, zu denen sich eine fast klagende Oboe gesellte. Daraufhin entspann sich ein kultiviertes Zwiegespräch zwischen dem Solisten und dem kammermusikalischen Orchester, das ohne Misstöne durchweg überzeugte.

Das abschliessende Allegro ma non tanto brachte die Rückkehr zur festlich-fröhlichen Stimmung des ersten Satzes mit der leuchtenden Oboe von Bernd Schober als i-Tüpfelchen. Das menuettartige Finale überzeugte, ja begeisterte die Zuhörer und Zuschauer zurecht.

Nach der Pause wandte sich die nun auf 48 Musiker – darunter auch eine Reihe von Bläsern sowie Pauken – vergrösserte Sächsische Staatskapelle Dresden der Symphonie Nr. 2 für Orchester von Kurt Weill (1900-1950) zu. Die Arbeit an dem von der Prinzessin Edmond de Polignac – der Erbin des US-Nähmaschinenproduzenten Singer – in Auftrag gegebenen Werkes nahm der Komponist im Januar 1933 auf. Bereits im März jenes politische düsteren Jahres emigrierte Kurt Weill nach Paris, wo er die Partitur am Anfang des folgenden Jahres abschloss. Die Uraufführung fand am 11. Oktober 1934 in Amsterdam statt.

Der Pianist und Dirigent Lahav Shani. Copyright © Marco Borgreve.

Bruno Walter verfasste dazu die folgende Einführung: „Der erste Satz stellt eine reine Sonatenform dar, nur dass die sogenannte Durchführung nicht aus dem Material des Haupt- und Seitenthemas, sondern aus eigenem Material gespeist wird. Den zweiten Satz könne man etwa <Cortège> [Prozession] überschreiben. Er baut sich, in einem durchgehenden langsamen Dreivierteltakt, über einem rhythmischen und einem melodischen Thema auf. Der letzte Satz ist ein Rondo, das als zweiten Zwischensatz einen Marsch für Bläser allein enthält und am Schluss in eine Stretta in Tarantellenform einmündet … Über den <Inhalt> des Werkes etwas zu sagen, ist mir nicht möglich, da es al reine musikalische Form konzipiert wurde. Vielleicht ist das Wort einer Pariser Freundin richtig, die meinte, wenn es ein Wort gäbe, das das Gegenteil von <Pastorale> ausdrückte, so wäre das der Titel dieser Musik. Ich weiss nicht.“ Soweit Bruno Walter 1934.

Aus heutiger Sicht drängt sich trotz fehlender Programmatik der Eindruck auf, Kurt Weills Symphonie Nr. 2 für Orchester sei von Hitlers „Machtergreifung“, seiner Flucht ins Pariser Exil sowie der Verbrennung seiner Bücher durch die Nazis im Mai 1933 beeinflusst gewesen.

Erneut beeindruckte der präzise Klang der Sächsischen Staatskapelle Dresden, wobei nicht ganz klar blieb, inwiefern dies dem Dirigenten Lahav Shani und inwiefern dem einfach von sich aus herausragenden Orchester zuzuschreiben war.

Das Sostenuto – Allegro molto offerierte einen dramatischen Beginn, der den Zuhörer und -Seher sofort ins deutsche Schicksalsjahr 1933 zu transportieren schien. Das Larghetto klang ebenso dramatisch, jedoch mit einem getragenen Beginn. Die Musik steigerte sich daraufhin, wurde immer bewegter – die von Bruno Walter angesprochene „Prozession“? -, um danach einmal wieder getragener, dann wird knallhart dramatisch, aufwühlend zu werden. Ein Wechselbad der Gefühle, das mit extremen Paukenschlägen endete.

Das abschliessende Allegro vivace – Alla marcia begann lebhaft, spielerisch, um danach dramatische Ritte und Flüge, das Umhergetrieben-Sein zu demonstrieren. Auf den Marsch der Bläser folgte ein Rennen und Fliegen des Orchesters, das am Schluss zurecht vom Publikum mit Bravo-Rufen und viel Applaus belohnt wurde.

Der Pianist und Dirigent Lahav Shani. Copyright © Marco Borgreve.

Kurzbiografie des Dirigenten Lahav Shani

Dem blutjungen und doch schon erstaunlich reifen Dirigenten Lahav Shani gehört die Zukunft. Bereits jetzt leuchtet sein Stern hell am Klassikhimmel. Er leitet übrigens nicht nur Orchester, sondern ist zudem als Pianist und Kontrabassist zu hören; diese Ehre war dem Schreibenden allerdings noch nicht vergönnt.

Lahav Shani (*1989 Tel Aviv) erhielt bereits mit sechs Jahren Klavierunterricht. Er setzte seine Ausbildung an der Buchmann-Mehta School of Music in Tel Aviv fort. Danach absolvierte er an der Hans Eisler-Hochschule für Musik in Berlin ein Dirigier- und Klavierstudium. Im Januar 2016 sprang er für Philippe Jordan ein und dirigierte die Wiener Symphoniker auf einer Tournee in Städten wie Paris, Frankfurt und München. Bereits zuvor, im Dezember 2015, hatte er von Franz Welser-Most kurzfristig Konzerte mit den Wiener Philharmonikern im Musikverein übernommen, wo er vom Klavier aus Bachs Klavierkonzert d-Moll und vom Pult Mahlers 1. Symphonie leitete. Lahav Shani ist erster Gastdirigent der Wiener Symphoniker und übernimmt ab 2018/19 zudem die Position des Chefdirigenten des Rotterdams Philharmonisch Orkest, das mit ihm noch viel Freude haben dürfte.


Die Sächsische Staatskapelle Dresden mit Solo-Oboist Bernd Schober spielte am 7. Juli 2017 in der Semperoper unter der Leitung von Dirigent Lahav Shani. Foto Copyright © Matthias Creutziger. DVDs mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden.

Der Pianist und Dirigent Lahav Shani. Copyright © Marco Borgreve.

Der Pianist und Dirigent Lahav Shani. Copyright © Marco Borgreve.


Die Semperoper bei Nacht. Foto Copyright © Matthias Creutziger. DVDs mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden.

Konzertkritik hinzugefügt am 11. Juli 2017 um 10:28 deutscher Zeit.