Ernst Beyeler

Feb 17, 2022 at 19:00 626

Ernst Beyeler wurde am 16. Juli 1921 geboren. Er trug entscheidend dazu bei, dass Basel zur Kunstmetropole wurde. In Ernst Beyeler – 100 Jahre: 100 Geschichten, Anekdoten, Begegnungen (Amazon.de) erzählt die Kulturjournalistin Susanne Kübler sein Leben, seine Karriere mit Hilfe von 100 unterhaltsamen Mosaiksteinchen.

Als 17-jähriger KV-Schüler begann er im Basler Antiquariat Librairie du Château d’Art zu arbeiten. Es gehörte einem deutschen jüdischen Emigranten, dem ebenso schrulligen wie gütigen Oskar Schloss. Als Schloss 1945 überraschend starb, übernahm der mittlerweile 23­-jährige Ernst Beyeler das Lokal an der Bäumlein­gasse 9. Zwei Jahre später hatte er die Idee, auch Kunst zu verkaufen. Er hängte Tücher vor die Büchergestelle und zeigte an diesen improvisierten Wänden japanische Holzschnitte. Weitere Ausstellungen folgten, und bereits 1951 verschwanden die Bücher ganz aus dem Antiquariat, das nun zur Galerie Château d’Art wurde, die gleich zu ihrem Start Grafiken von Picasso, Bonnard, Degas, Renoir und Matisse zeigte.

1970 richtete er zusammen mit anderen Visionären die erste Art Basel aus, die bereits bei der vierten Ausgabe zur weltweit bedeutendsten Messe für moderne und zeitgenössiche Kunst aufgestiegen war. Susanne Kübler erzählt, dass Ernst Beyeler ursprünglich Messen ablehnend gegenüberstand. Kunst als Konsumprodukt, das passte ihm nicht. Als ihm die Basler Galeristen Trudl Bruckner und Balz Hilt im Juni 1968 von der Idee einer Basler Kunstmesse erzählten, habe er zuerst abgelehnt. Sie war beim Gespräch von acht Galeris­ten aufgekommen, die sich regelmässig zum Essen trafen und dort unter anderem über die zuneh­mende Zürcher Dominanz schimpften. Der Basler Messedirektor Hermann Hauswirth wurde ihr Verbündeter. Er hakte noch einmal nach bei Beyeler und erklärte ihm, dass eine Basler Kunstmesse auf seine Kontakte angewiesen wäre. Der Galerist und Skeptiker liess sich überreden und wurde zum Mitbegründer der Art Basel.

Der Galerist Ernst Beyeler selbst sagte: «Ich habe mich nie als Sammler betrachtet. Die Sammlung, die ich heute habe, hat sich eher zufällig ergeben. Ab und zu musste ich halt etwas Schönes auf die Seite stellen.»

Ernst Beyeler lebte von Anbeginn an mit Schulden. Erst der Kunstboom der 1980er Jahre brachte die Wende. Die Preise schossen in die Höhe. Der Galerist konnte anfangen, von einer Stiftung und einem eigenen Museum zu träumen.

Susanne Kübler schreibt – kaum zu glauben, aber wahr: Niemand wollte Monets Triptychon Le Bassin aux nymphéas kaufen. Jahrelang hingen die drei grossformatigen Bilder in den kleinen Räumen
der Galerie. Irgendwann beschloss Ernst Beyeler dann, dass er sie gar nicht mehr verkaufen wolle. Als dann der Baron, Unternehmer und Kunstsammler Hans Heinrich Thyssen­-Bornemisza de Kászon mit seiner fünften Frau, der ehemaligen spanischen Schönheitskönigin Carmen Cervera auftauchte, die diese
Bilder unbedingt haben wollte, sagte der Händler, die Bilder seien unverkäuflich, obwohl er damals noch knapp bei Kasse war – und einen vermögenden Kunden verlor: Thyssen kam danach nie mehr in die Galerie.

16 Jahre lang war Mark Tobey Beyelers Nachbar in Basel. Miete bezahlte er nicht. Das übernahm Beyeler – der im Tausch dafür einige Bilder erhielt.

Susanne Kübler erzählt zudem die bekannte Geschichte von Ernst Beyeler und Wassily Kandinskys Improvisation 10, die der Galerist mit den Worten zusammenfasste: Er habe dieses Bild zweimal gekauft – und dreimal bezahlt.

Mit Katalogen machte Ernst Beyeler – in den Zeiten vor der Erfindung des Internets – auf sich aufmerksam. So kam er der Kontakt zu Pablo Picasso zustande. 1953 hatte der Galerist in Mailand Guernica gesehen. Dieses Bild mit seiner radikalen Verurteilung des Krieges wühlte ihn bis ins Innerste auf, verstörte ihn regelrecht und bewog ihn dazu, sich fortan ganz der modernen Kunst zu widmen. Sein wichtigster Kunde war viele Jahre lang der Basler Hans Grether, Chef eines Pharma-Unternehmens. Nach seinem Tod 1975 setzte seine Frau die Sammlungstätigkeit fort. 600 Werke umfasst ihre hochkarätige Sammlung heute. Viele davon stammen aus der Galerie von Ernst Beyeler.

1966 reiste Ernst Beyeler erstmals ins südfranzösische Mougins. Sechs Jahre lang hatte seine Galerie über Jean Planque den Kontakt zu Picasso gesucht und ge­pflegt. Der Künstler empfing den Schweizer freundlich, lobte die Kataloge und zeigte sich be­eindruckt von den Werken, die durch Beyelers Hände gegangen waren. Trotzdem brauchte es mehrere Be­suche und einen Tipp von Picassos Frau Jacqueline, bis sich Beyeler traute, Picasso nach Bildern zu fragen. Die Antwort muss ihn überwältigt haben: «Ich offeriere Ihnen, was noch nie jemand zuvor tun durfte. Ich lasse Sie selbst auswählen.» Beyeler zögerte zunächst, als er in einen grossen Raum mit rund 800 Bildern geführt wurde. Er wählte schliesslich 45 aus, und konnte 26 davon tatsächlich kaufen.

Seinen internationalen Durchbruch als Galerist verdankte Ernst Beyeler dem Stahlmagnaten G. David Thompson aus Pittsburgh. Von ihm kaufte der Basler viele Werke, darunter allein auf einmal 100 Klee­-Bilder, von denen Beyeler nach langwierigen Verhandlungen 88 nach Düsseldorf vermitteln konnte. Ein zweiter grosser Coup kam 1962 als, G. David Thompson seine Giacometti­-Sammlung verkaufen wollte: 61 Skulpturen, 21 Zeichnungen und 7 Gemälde. Für den Deal brauchte es einen Wettstreit zwischen Zürich und Basel, strategische Kniffe der Zürcher Kunstsammler Hans und Walter Bechtler, die Unterstützung durch Beyelers Verbündeten Hans Grether und die Gründung einer Giacometti­-Stiftung.

In den 1960er Jahren reiste Ernst Beyeler oft nach New York, wo er nicht nur die amerikanische Kunst für sich entdeckte, sondern auch viele amerikanische Künstler kennenlernte. Susanne Kübler schreibt, dass der Galerist mit Barnett Newman Boxkämpfe besuchte und sich mit Robert Rauschenberg auf ein Glas Whisky traf. Am meisten habe ihn jedoch Mark Rothko fasziniert. In seiner Kunst fand Beyeler «die Umwandlung der Farbe in Licht». 1968 lud ihn Rothko in sein Atelier ein, wehrte dann aber alle Angebote ab: Er würde ja gerne verkaufen, sagte er, «aber ich kann nicht». Zwei Tage später erhielt der erstaunte Galerist eine weitere Einladung. Der Künstler führte ihn in die Küche neben dem Atelier. Dort lief Beethovens 9. Sinfonie, Schnaps wurde einge­schenkt – und dann brach Rothko in Tränen aus. Beyeler versuchte ihn zu trösten, erfolglos. Den Grund für die Verzweiflung entdeckte er erst später:
Rothko war vertraglich an die Galerie Marlborough gebunden, die ihn massiv unter Druck setzte. Beyeler gelang es dennoch, wichtige Rothko­ Gemälde zu kaufen und zu sammeln. Jahre später
organisierte er in der Fondation Beyeler eine der grössten Rothko­-Retrospektiven.

Dies und noch viel mehr ist bei Susanne Kübler zu lesen in: Ernst Beyeler – 100 Jahre: 100 Geschichten, Anekdoten, Begegnungen. Scheidegger & Spiess, 2021, 106 Seiten mit 16 schwarzweiss Abbildungen, 14 x 22 cm. Das Buch bestellen bei Amazon.de.

Zitate und Teilzitate in dieser Rezension / Buchkritik sind der besseren Lesbarkeit wegen nicht zwischen Anführungs- und Schlussszeichen gesetzt.

Buchkritik / Rezension vom 17. Februar 2022 um 19:00 Schweizer Zeit.