Geniale Frauen. Künstlerinnen und ihre Weggefährten

Jun 25, 2024 at 08:13 496

Nach dem Bucerius Kunst Forum in Hamburg (14. Oktober 2023 – 28. Januar 2024) zeigt das Kunstmuseum Basel (2. März bis 30. Juni 2024) die Ausstellung Geniale Frauen. Künstlerinnen und ihre Weggefährten, in der laut Katalog 155 Kunstwerke aus dem 16., 17. und 18. Jahrhundert von 30 Künstlerinnen vorgestellt werden.

Der gleichnamige Katalog wurde herausgegeben von Katrin Dyballa, Bodo Brinkmann und Ariane Mensger und enthält Beiträge von 10 Autoren zu Themen wie Künstlerinnen im deutschsprachigen Raum der Vormoderne, Frauenbilder in der Kunstliteratur seit Vasari, Hindernisse, Chancen und Erfolgsstrategien von Malerinnen im frühneuzeitlichen Kunstbetrieb, Künstlerinnen am Hof, etc: Geniale Frauen. Künstlerinnen und ihre Weggefährten. Hirmer Verlag, Oktober 2023, 288 Seiten mit rund 200 Abbildungen in Farbe, 22,5 x 28 cm, gebunden. Das Buch bestellen (Cookies akzeptieren — wir erhalten eine Kommission bei gleichem Preis) bei Amazon.de.

In Geniale Frauen steht der Einfluss des familiären Umfeldsauf von Künstlerinnen des 16.–18. Jahrhunderts auf ihren Werdegang im Fokus. Laut der „Einführung“ im Katalog wurden nicht selten die später selbst professionell tätigen Frauen in einen Künstlerhaushalt hineingeboren und erhielten ihre Ausbildung durch den Vater, Bruder, andere Familienmitglieder oder den (späteren) Ehemann. Die Gegenüberstellung mit deren Werken lohne, denn sie mache verständlich, unter welchen gesellschaftlichen Normen Frauen ihren Weg finden mussten und wie beschwerlich es letztlich für sie gewesen sei, als Künstlerinnen sichtbar zu werden.

Die Kuratorin Katrin Dyballa hat 30 bekannte, weniger bekannte und auch komplett in Vergessenheit geratene Künstlerinnen aus dem 16. bis 18. Jahrhundert für die Ausstellung Geniale Frauen ausgewählt und deren Geschichte im Kontext ihrer männlichen Familienmitglieder erforscht. Es handelt sich logischerweise um eine kleine Auswahl, denn die Kunstgeschichte hat viel mehr bedeutende (und weniger bedeutende) Künstlerinnen hervorgebracht, als so mancher denkt.

Laut dem Katalog lehren die Biografien der Künstlerinnen und ihr soziokulturelles Umfeld, dass allgemeine Aussagen nicht möglich sind, da es keine einheitlichen Reglements für Frauen in den aus zahlreichen Herrschaftsgebieten und Kommunen Europas gab. Auch wenn die Reglements der Städte die Karrieren von Frauen als Malerinnen häufig unterbanden – ihre Aufnahme in Malergilden und -zünfte oder Akademien war gerade in den deutschsprachigen Gebieten untersagt –, gab es Ausnahmen. So konnte in Haarlem Judith Leyster Mitglied der Malergilde werden. An Orten, wo dies nicht möglich war, fanden Frauen abseits der Ölmalerei dennoch Möglichkeiten, äußerst erfolgreich zu werden. Etwa auf dem Feld der Druckgrafik oder dem Malen auf Papier oder Pergament. Zu ihnen gehört die Naturforscherin Maria Sibylla Merian, deren künstlerische Anfänge in Frankfurt am Main und Nürnberg liegen.

In der Einführung des Katalogs wird die seit dem 16. Jahrhundert greifbare Tendenz hervorgehoben, Frauen aus den Zünften zu verdrängen. Bis in das späte Mittelalter hinein stellte sich ein ganz anderes Bild dar. Es war durchaus üblich, dass sich Frauen in eigenen Zünften organisieren und Zunftmeisterinnen werden konnten. In Köln zum Beispiel arbeiteten sie als Garnmacherinnen, Gold- oder Seidenspinnerinnen — und dominierten dort auch den Handel.

Noch Erasmus von Rotterdam (um 1469–1536) trat zum Beispiel in Der Abt und die gebildete Frau Erasmus wie Thomas Morus (um 1477/78–1535) in seinen Werken vehement für eine Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts ein. Gleiches gilt für Agrippa von Nettesheim, der mit seiner 1509 verfassten und 1529 gedruckten Schrift De nobilitate et praecellentia foeminei sexus (Von Adel und Vorrang des weiblichen Geschlechts) den Höhepunkt dieser Bewegung darstellte.

Die nachfolgende Verdrängung der Frauen aus dem Berufsleben, die sich nun dem Haushalt und den Kindern widmen sollten, hat Folgen bis heute. Kathrin Baumstark erwähnt in ihrem Vorwort, dass bei Wikipedia unter Genies keine einzige Frau zu finden ist. Sie verweist zudem auf den Fall von Gabriele Münter, die noch 1999 im Allgemeinen Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart als „Malerin und Graphikerin, *19.2.1877 Berlin, geschiedene Gattin [sic!] Kandinskys“ definiert wird.

Hierzu würde ich allerdings anfügen, dass das Beispiel von Gabriele Münter nicht ganz so gut gewählt ist, auch wenn sie mehr als die Frau an der Seite Kandinskys war, so die Ausstellung zu ihr im Leopold Museum in Wien 2023 (Katalog bei – Cookies akzeptieren; wir erhalten eine Kommission bei gleichem Preis – Amazon.de). Nicht nur meiner Meinung nach malte Gabriele Münter nicht auf dem Niveau von Wassily Kandinsky, genauso wie z.B. Lee Krasner im Schatten von Jackson Pollock steht. Das heisst nicht, dass diese zwei Künstlerinnen unbedeutend oder nicht genial wären. Lee Krasners The Eye is the First Circle (1960) verkaufte sich 2019 mit Aufgeld bei Sotheby’s für $11,6 Millionen. Geld ist natürlich nicht das einzige Kriterium für die Qualität eines Werkes, aber doch eines von mehreren, das eine gewisse Aussagekraft hat. Georgia O’Keeffe — die wie Münter und Krasner in Hamburg und Basel keine Berücksichtigung fand, da sie wie diese im 20. Jahrhundert künstlerisch aktiv war — hatte zwar eine Liebesbeziehung mit dem herausragenden Fotografen, Galeristen und Mäzen Alfred Stieglitz, der ihre Bedeutung früh erkannte und sie förderte, stand jedoch nicht in dessen Schatten. Ihr Werk Jimson Weed/White Flower No. 1 (1932) verkaufte sich 2014 für über $44 Millionen.

Zurück zu Geniale Frauen und den Malerinnen des 16. bis 18. Jahrhunderts: Carlo Cesare Malvasia pries in seiner künstlerbiografischen Schrift Felsina pittrice von 1678, dass Künstlerinnen eine Schlüsselkomponente der kulturellen Identität Bolognas seien. Damit bildete er jedoch eine Ausnahme.

Andreas Tacke erwähnte in seinem Katalog-Essay, dass Mädchen und Frauen der notwendige Ausbildungsweg und somit der Künstlerberuf vor 1800 rechtlich versperrt war; an den Kunstakademien erfolgte das Studium ab dem 19. Jahrhundert lange geschlechtsspezifisch modifiziert und erst im späten 20. Jahrhundert wurde eine Gleichstellung angestrebt. Künstlerinnen wurden in dem sich erst im 19. Jahrhundert etablierenden universitären Fach Kunstgeschichte lange nur randständig wahrgenommen und infolgedessen auch in der Öffentlichkeit nicht rezipiert.

Andreas Tacke unterstreicht, dass in Europa vor 1800 eine „gottgewollte“ Rollenverteilung herrschte, die im christlichen Abendland buch stäblich mit Adam und Eva begann: Als Folge des Sündenfalls sollte nach der Bibel (1. Mose 3,16–19) Eva unter Schmerzen Kinder gebären und sich dem Mann unterordnen und Adam sollte im Schweisse seines Angesichts der Feldarbeit nachgehen. Eine geschlechtsspezifische Aufgabenverteilung war damit theologisch untermauert und bildete eine wesentliche Grundlage der europäischen Stände gesellschaft. Für den deutschsprachigen Raum war zementiert, dass Frauen nur sehr wenige Berufe ausüben durften, vor allem, wenn es sich um Lehrberufe handelte. Und ein solcher Lehrberuf war auch der des Künstlers.

Allerdings warnt Andreas Tacke vor Verallgemeinerungen. In Paris sah es im 17./18. Jahrhundert anders aus als in deutschen Städten. Er konzentrierte sich daher in seinem Essay auf den deutschsprachigen Raum in Mitteleuropa, da es zu diesem seit 2018 eine fünfbändige Edition der Statuta pictorum, der Maler(zunft)ordnungen, mit einem Umfang von immerhin 4608 Seiten gibt.

Andreas Tacke unterstreicht, dass Fürstenhöfe mit Blick auf die Künste ein anderes Poten-zial boten als in der Regel die Städte, denn sie zeigten sich grundsätzlich offener für (neue) künstlerische Leistungen, und dies unabhängig von Herkunft oder Geschlecht. Die Hoffreiheit ermöglichte dort auch den Frauen die professionell-künstlerische Berufsausübung, da am Hof die städtischen Handwerksordnungen keinen Bestand hatten.

Künstlerinnen wurden bis ins fortgeschrittene 20. Jahrhundert marginalisiert. Die Ausstellung Geniale Frauen belegt, welche Forschungslücken es seitens der Kunstgeschichte immer noch aufzuarbeiten gilt, um die Künstlerinnen der Vormoderne mehr in ein öffentliches Bewusstsein zu rücken.

Im Ausstellungskatalog setzt sich Iris Wenderholm mit den Frauenbildern in der Kunstliteratur seit Giorgio Vasari (1511-1574) auseinander. Sandra Pisot widmet sich dem Thema Künstlerinnen und die Historien- und Blumenmalerei (unter anderem wird im Katalog der grossartigen Rachel Ruysch ein bedeutender Platz eingeräumt; vom 26. November 2024 bis am 16. März 2025 wird die Alte Pinakothek in München — danach im Toledo Museum in Ohio sowie im Fine Arts Museum in Boston — zum 360. Geburtstag von Rachel Ruysch eine bedeutende Ausstellung zu dieser herausragenden Stilllebenmalerin organisieren).

Im Basler Katolog findet sich eine Untersuchung von Katrin Dyballa und Sabine Engel zum Thema Töchter, Väter, Brüder vom 16. bis 18. Jahrhundert. In einem weiteren Beitrag stellt Katrin Dyballa Künstlerinnen vor, die in jener Zeit bewusst ohne Ehemann lebten. Rahel Müller widmet sich Karrieren vor der Ehe. Bodo Brinkmann schreibt vom Malen mit Familie. Ariane Mensger beleuchtet das Thema Frauen und Druckgraphik. Seraina Werthemann widmet sich den Künstlerinnen am Hof, Bodo Brinkmann den Künsterlinnen in den Institutionen.

Dies und noch mehr gibt es im Ausstellungskatalog sowie nur noch bis am 30. Juni 2024 im Kunstmuseum Basel zu entdecken.

Der Katalog, herausgegeben von Katrin Dyballa, Bodo Brinkmann und Ariane Mensger, mit Beiträgen von 10 Autoren: Geniale Frauen. Künstlerinnen und ihre Weggefährten. Hirmer Verlag, Oktober 2023, 288 Seiten mit rund 200 Abbildungen in Farbe, 22,5 x 28 cm, gebunden. Den Katalog bestellen — Cookies akzeptieren; wir erhalten eine Kommission bei gleichem Preis — bei Amazon.de.

Zitate und Teilzitate in dieser Ausstellungskritik / Buchkritik / Rezension sind der besseren Lesbarkeit wegen nicht zwischen Anführungs- und Schlussszeichen gesetzt.

Rezension hinzugefügt am 25. Juni 2024 um 08:13 deutscher Zeit.