Lee Krasner im Zentrum Paul Klee, Bern

Feb 24, 2020 at 19:33 1229

Nach London und Frankfurt gastiert eine sehenswerte Lee Krasner-Ausstellung noch bis am 10. Mai 2020 im Zentrum Paul Klee in Bern. Danach wird sie vom 29. Mai bis am 6. September 2020 im Guggenheim Museum Bilbao zu bewundern sein.

Lee Krasner (1908-1984) wurde lange Jahre vor allem nur als leidende Frau an der Seite des alkoholabhängigen Ausnahmekünstlers Jackson Pollock (1912-1956) gesehen. Der von Eleanor Nairne und Ilke Voermann herausgegebene Hirmer-Katalog zu dieser Wanderaussstellung rückt für die deutschsprachigen Leser das Œuvre von Lee Krasner ins rechte Licht.

Heute gilt Lee Krasner als herausragende Künstlerin des 20. Jahrhunderts, und ihre Werke erzielen entsprechende Preise. Am 14. November 2019, nach der Ausstellung in der Barbican Art Gallery in London und während der Ausstellung in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt, wurde bei Sotheby’s in New York das grossformatige Ölgemälde (247 x 178.4 cm) Sun Woman I aus dem Jahr 1957 für $6 bis 8 Millionen angeboten und mit Aufgeld für $7, 382,750 versteigert.

Die Künstlerin stellte 1958 Sun Woman I zusammen mit 16 weiteren Werken aus The Green Earth-Serie aus den Jahren 1956-57 in einer Einzelausstellung in der Martha Jackson Gallery in New York aus. Die nach dem Tod von Jackson Pollock entstanden Werke erzeugten ein grosses Presse-Echo. Im 35-seitigen Chronologie-Teil des Hirmer-Katalogs wird auf einen Artikel im Time Magazine verwiesen, in dem Lee Krasner mit den Worten zitiert wird: »Das sind besondere Gemälde für mich. Sie stammen aus einer sehr schwierigen Zeit, einer Zeit aus Leben und Tod.« In der New York Times schrieb Stuart Preston damals dazu: »Der Wagemut von Lee Krasners aktuellen und riesigen abstrakten Gemälden […] stellt das Auge vor eine grobe Herausforderung […]. Sinnenfreudig, lustbetont und auf aggressive Art dekorativ, zwingen diese Gemälde die Aufmerksamkeit darauf, dass die Künstlerin ihre Kompositionen inszeniert, sich nicht bloß ihrem Material unterwirft oder dem Automatismus die Zügel überlässt.«

Als Tochter einer aus Odessa (damals in Russland) eingewanderten Familie wurde Lee Krasner 1908 in Brooklyn, New York, geboren. Bereits zu High-School-Zeiten nahm sie Kunstunterricht, studierte an der National Academy of Design und ging später an die Hans Hofmann School of Fine Arts.

Lee Krasner hatte ein schwieriges Temperament. Sie beharrte laut ihrem Freund, dem Dichter Howard Richard, lautstark auf dem, was sie als wahr empfand, als wahr wusste. Doch sie besass die Fähigkeit, sich auf etwas ganz einzulassen.

Anders als viele Künstler ihrer Zeit, die ebenfalls ungegenständlich malten, entwickelte Krasner nie einen signature style, sondern reflektierte ihre Praxis mit dem Anspruch, ihre Bildsprache stets weiterzuentwickeln. Im Vorwort des Katalogs steht dazu: Krasner tauchte ganz in ihr Werk ein, und wenn es zu stagnieren drohte, änderte sie die Richtung. Zwar nahm sie viel aus ihrer Umgebung auf, doch vor allem kamen ihre Anregungen aus dem Inneren; die große Intensität, die in alles einfloss, was sie schuf – von ihren Selbstporträts bis zu den »Little Images«, von Collagen bis zu großflächigen Abstraktionen –, prägt ihr Werk durchweg.

Neben der erwähnten Chronologie enthält der Ausstellungskatalog über ein Dutzend Kapitel und Beiträge zu Themen wie Lee zur Künstlerin Lee wurde, die selbst ihr Werk als biografisch bezeichnete, für die atmen und lebendig sein zentral waren, von der ein Professor sagte, diese Studentin sei eine Plage, da sie auf ihrem eigenen Willen bestehe, statt die Schulregeln zu befolgen. Weitere Aufsätze behandeln ihre Aktzeichnungen, ihre enge Beziehung zur Natur, die Bedeutung der Poesie (insbesondere Rimbauds), die befragende Perspektive, die Lee Krasners Identität und Kunst bestimmt. Einige Beiträge widmen sich einzelnen Werkzyklen und -Phasen im Schaffen dieser als abstrakter Expressionistin bedeutenden Künstlerin. Dies und noch viel mehr – so ein Interview mit Lee Krasner – finden sich im hier vorgestellten Buch.

Abgesehen von einer von Bryan Robertson organisierten Überblicksausstellung 1965 in der Whitechapell Gallery in London ist die hier präsentierte Wanderausstellung die erste Lee Krasner-Retrospektive in Europa! Mit nahezu 100 Werken in Frankfurt und nun rund 60 in Bern, von denen viele erstmals in Europa zu sehen sind, beleuchtet die Schau Krasners umfassende künstlerische Ausbildung, ihre frühe Hinwendung zur Abstraktion, die radikale Verarbeitung ihrer älteren Werke in neue, ihre Begabungen als Koloristin und ihre kraftvollen Erkundungen von Maßstab und Form. Im Katalog werden in großzügigen Abbildungen Werke aus 40 internationalen Sammlungen präsentiert, die fast ein halbes Jahrhundert umspannen, darunter Gemälde, Collagen und Zeichnungen sowie Filme und Fotografien.

Eleanor Nairne, Ilke Voermann, Hrsg.: Lee Krasner. Hirmer Verlag, 2019, 22 x 28 cm, gebunden, 240 Seiten mit 250 Abbildungen in Farbe. Das Buch bestellen bei Amazon.de.

Siehe zu Jackson Pollock unsere Rezensionen zur 1999-Retrospektive in der Tate in London sowie die alternative Sicht von Elizabeth L. Langhorne auf den Künstler unter dem Untertitel Kunst als Sinnsuche.

Diese Rezension beruht auf dem Katalog. Zitate und Teilzitate stehen der einfacheren Lesbarkeit wegen nicht zwischen Anführungs- und Schlusszeichen.

Ausstellungs- und Buchrezension vom 24. Februar 2020 um 19:33 Schweizer Zeit. Aufdatiert am 25.2.2020 um 09:58.