George Grosz in Berlin: Das unerbittliche Auge

Aug 24, 2022 at 10:56 1198

Die erste und letzte Übersichtsschau zu George Grosz (1893-1959) in den USA fand 1954 im Whitney Museum of American Art in New York statt. 2020 wollte das Metropolitan Museum of Modern Art, ebenfalls im Big Apple, den deutschen Künstler einer neuen Generation in Amerika wieder näher bringen. Doch die Corona-Pandemie verhinderte dies.

Sabine Rewald, die emeritierte Kuratorin der Abteilung für moderne und zeitgenössische Kunst am Metropolitan Museum sah sich mit der Aussicht konfrontiert, dass von der von ihr geplanten Ausstellung nur noch das Katalogbuch übrigbleiben würde. Doch da sprang die Staatsgalerie Stuttgart ein und entschied sich dafür, die Schau in Deutschland zu präsentieren. Nicht alle für New York zugesagten Werke werden den Weg nach Stuttgart finden, doch dafür gab es andere, neue Zusagen. Zudem besitzt die Staatsgalerie selbst inbesondere viele Zeichnungen und Druckgrafiken des Künstlers. Stuttgart übernimmt nicht nur die Ausstellung von Sabine Rewald, sondern auch den Katalog des Metropolitan Museums, dessen deutsche Ausgabe George Grosz in Berlin: Das unerbittliche Auge bereits bei Hirmer erschienen ist (Amazon.de). Die Ausstellung wird unter dem Titel Glitzer und Gift der Zwanzigerjahre. George Grosz in Berlin vom 18. November 2022 bis zum 26. Februar 2023 in der Staatsgalerie Stuttgart rund 100 Werke von George Grosz präsentieren. Kuratiert wird sie von Nathalie Frensch, Lea Gerhardt betreut sie als wissenschaftliche Volontärin.

Biografisches zu George Grosz

George Grosz wurde als Georg Ehrenfeld Gross am 26. Juli 1893 in Berlin geboren, wo er 1959 kurz nach seiner Rückkehr aus New York verstarb. In den Big Apple hatte es ihn 1932 gezogen. Dort hatte er einen Lehrauftrag an der Art Students League angenommen, um eine Aktklasse zu unterrich­ten.

Der Künstler hatte einen Hass auf die Deutschen – vor allem die Machthabenden – entwickelt, der ebenso ästhetisch wie politisch begründet war. Schon vor dem Ersten Weltrieg hatte er die Veröffentlichung eines dreibändigen Buchwerks mit dem Titel Die Häßlichkeit der Deutschen beabsichtigt, war aber nie über den Anfang des ersten Kapitels hinausgekommen, schreibt Sabine Rewald im Katalog der Staatsgalerie (Amazon.de).

George Grosz war berühmt und berüchtigt dafür, in seiner Kunst den moralischen Niedergang Deutschlands in den Jahren zwischen dem Ersten Weltkrieg und der Ernennung Adolf Hitlers 1933 zum Reichskanzler zu entlarven.

Seine Bildgegenstände in Berlin umfassten Strassenszenen, Innenansichten aus Bars und Restaurants, Kriegsinvalide und Prosti­tuierte, korrupte Politiker und Kriegsgewinnler, die er allesamt in bissiger Verfremdung wiedergab. Seine satirischen Zeichnungen wurden in hoher Auflage in politi­schen Zeitschriften abgedruckt und brachten ihm gleichermassen Bewunderer und Feinde ein.

Ab Mitte der 1920er­Jahre gaben seine scharfen Satiren die halb abstrakte Stilisierung auf und wandten sich vermehrt dem Realismus zu. 1932 verliess der Künstler Berlin, um einen Lehrauftrag in New York anzunehmen, und übersiedelte im darauffolgenden Jahr in die USA. Erst im Juni 1959 kehrte George Grosz auf Drängen seiner Frau Eva nach Berlin zurück. Das Paar hatte eine Wohnung im Haus von Anna Peter, der Schwiegermutter des Künstlers. Dort brach er nach einer mit Freunden durchfeierten Nacht im Flur zusammen. Am darauffolgenden Tag, dem 6. Juli 1959, starb er. Eine links vom Hauseingang am Savignyplatz 5 in Berlin­-Charlottenburg angebrachte Metalltafel erinnert heute an seinen Tod, rund drei Wochen vor seinem 66. Geburtstag.

Der frühe Werdegang von George Grosz

Hier nur einige wenige Angaben zum frühen Werdegang von George Grosz aus dem Katalogbeitrag von Sabine Rewald. Die Familie des Künstlers zog 1898 von Berlin nach Stolp, einem unweit der Ostsee gelegenen pommerschen Provinzstädtchen, wo der Vater als Kastellan der Freimaurerloge tätig war. Den Grossteil seiner Kindheit und frühen Schulzeit verbrachte Grosz in Stolp. Nach dem frühen Tod des Vaters im Jahr 1902 übernahm seine Mutter die Bewirtschaftung des dortigen Offizierskasinos der Blücher ­Husaren. Schon als Jugendlicher hatte George Grosz davon geträumt, Maler zu werden, und auf
diese Zeit gehen auch seine frühesten Zeichnungen zurück. In den damals beliebten Groschen­ und Schauerromanen fand er Vorbilder für seine Darstellungen unifor­mierter Männer im Kampf.

1908 fand Grosz’ Ausbildung an der Stolper Oberrealschule ein abruptes Ende. Wie so oft hörte er nicht auf den Lehrer und wurde von diesem geohrfeigt. Als er sich in gleicher Weise revanchierte, wurde er der Schule verwiesen. Auf An­raten seines Zeichenlehrers, der sein Talent erkannt hatte, besuchte er daraufhin  die Königliche Kunstakademie in Dresden, wo er von 1909 bis 1911 Studien nach griechischen Gipsabgüssen von Skulpturen des 5. Jahrhunderts v. Chr. anfertigte. Anschließend wechselte er an die Kunstgewerbeschule in Berlin, wo er als gebürtiger Berliner ein Stipendium erhielt und von 1912 bis 1916 die Klasse des Malers Emil Orlik besuchte.

Im November 1914 meldete sich George Grosz als Kriegsfreiwilliger beim Garde­ Grenadier­ Regiment. Der hochsensible Künstler kam allerdings nicht an die Front, sondern sah nur die Innenräume von Krankenhäusern und Nervenheilanstalten. Im Mai 1915, nach Operation einer Sinusitis, wurde er aus medizinischen Gründen als dienstuntauglich entlassen. Sein Entsetzen und Grauen angesichts des Krieges machte er in Zeichnungen von Schlachtfeldern und gefallenen Soldaten anschaulich, obschon er selbst nicht im Fronteinsatz gestanden hatte.

Wie von ihm befürchtet, erreichte ihn im Januar 1917 der Wiedereinberufungsbefehl, doch wurde er so gut wie unverzüglich in ein mit verwundeten Soldaten belegtes Feldlazarett eingeliefert. Sieben Wochen später erfolgte die Einweisung in eine Nervenheilanstalt in Görden bei Brandenburg.

Sabine Rewald zitiert dazu aus der Autobiografie des Künstlers: „Daß dieser Krieg verloren war, enttäuschte mich nicht. Nur daß die Menschen ihn jahrelang ertragen und erduldet hatten, daß den paar Stimmen, die sich gegen das Massenschlachten erhoben, keiner gefolgt war – nur das enttäuschte mich.“

Als entscheidender Wendepunkt für Grosz’ künstlerische Karriere erwies sich das Jahr 1916. In der Novemberausgabe der Zeitschrift Die weißen Blätter erschien ein lobender Artikel, begleitet von sieben Reproduktionen seiner Zeichnungen. Der Text stammte von seinem Freund, dem Dichter Theodor Däubler, der Grosz das »futuristi­sche Temperament von Berlin« nannte und zu seinen Zeichnungen notierte: »Seine Vorstellung der Großstadt ist eigentlich apokalyptisch: er gibt von ihr etwas Kosmisches, vielleicht Meteorhaftes. Leichenwagen tauchen auf, die Häuser sind geometrisch, nackt, wie kurz nach einer Beschießung. Schnellbahnen überstürzen sich, wie ein Gewitter zittern sie blitzschnell herein und sind wieder weg. […] Ein Café. […] Spieler ringsum: irgend einer wird durch Selbstmord enden: welcher? Alle sind des Verbrechens verdächtig.«

George Grosz zufolge machte ihn der Artikel »sozusagen über Nacht bekannt, wenn auch zunächst nur in ›intellektuellen‹ Kreisen«. Auch Wieland Herzfelde, der neu eingesetzte Herausgeber der Zeitschrift Neue Jugend, druckte 1916 zwei von Grosz’ Zeichnungen ganzseitig ab. Im selben entscheidenden Jahr gründeten Herzfelde und sein Bruder zudem den Malik­ Verlag in Berlin. Zwischen 1917 und 1933 erschienen dort insgesamt zwölf Mappenwerke von George Grosz sowie zahlreiche seiner Anthologien und Bücher. Laut Sabine Rewald machten die in verschiedenen Ausgaben publizierten lithografischen Mappen den Künstler weitaus bekannter, als seine Originalzeichnungen es je vermocht hätten.

Die frühesten Ölbilder des Künstlers, der als Maler Autodidakt war, haben sich nicht erhalten. In seiner Auto­biografie notierte er im Rückblick auf das Jahr 1912: »Ich fing jetzt an, mit Ölfarben zu malen. Ich lernte die Ölmalerei ohne Lehrer, kaufte mir ein paar Bücher und studierte, so gut es ging, was zu studieren war. Ich begann aus dem Kopf zu malen, Kompositionen in der Art meiner Zeichnungen, setzte erst die Zeichnung in Tusche auf die Leinwand und malte sie hinterher in Ölfarbe aus. Die Bilder waren von der Linie her gedacht, mehr ausgetuscht als gemalt.« Eines seiner frühesten
Gemälde ist Nachtstück (Berlin-Südende) (1915, Kat. 1).

Im April 1918 rezitierte George Grosz »Syncopations, eigene Verse« in den am Kurfürstendamm gelegenen Räumen der Berliner Secession. Sein Name erscheint zwar nicht im Programm des ersten dadaistischen »Vortragsabends«, der im April 1919 gemeinsam von der Secession und der Galerie des Kunsthändlers I. B. Neumann ausgerichtet wurde, doch sein heute verschollenes Gemälde Deutschland, ein Wintermärchen (1917/18) wurde damals dort ausgestellt und sorgte für Aufsehen.

1922 reiste George Grosz gemeinsam mit dem dänischen Schriftsteller Martin Andersen Nexø fünf Monate lang durch Russland – Nexø wollte Material für ein geplantes Buch sammeln und Grosz sollte die dazugehörigen Illustrationen beisteuern. Doch Reibereien zwischen den beiden Männern verhinderten, dass das Buchprojekt zustande kam. George Grosz war 1919 in die Kommunistische Partei eingetreten, verlor während seiner Russlandreise jedoch alle Illusionen, vermutlich weil die desolate
Lage im Land nicht als Zielscheibe satirischen Spotts taugte. Selbst ein Zusammen­treffen mit Lenin konnte Grosz nicht beeindrucken. 1923 stellte er die Zahlung von Mitgliedsbeiträgen an die Kommunistische Partei ein und trat aus ihr aus.

Dies sind nur einige wenige Angaben aus einem hochspannenden Katalog. In einem eigenen Essay zitiert darin Ian Buruma aus dem Buch George Grosz. Künstler der Gegenwart des Schriftstellers und Philosophen Salomo Friedländer (Pseudonym Mynona) aus dem Jahr 1922: George Grosz nutzte seine Feder als »Knute und Geißel, […] Speer und Dolch; wie in seinen politischen Satiren, die dem Kapitalismus und Militarismus wüste Fressen geben, um mit Wollust stundenlang hineinzuhauen«.

George Grosz in Berlin: Das unerbittliche Auge, Staatsgalerie Stuttgart, Hirmer Verlag, Juli 2022, 180 Seiten mit 100 Abbildungen in Farbe, 22 x 25 cm. Herausgegeben von Sabine Rewald, Nathalie Frensch, Christiane Lange. Mit einem Beitrag von Ian Buruma. Das gebundene Buch / Den Katalog bestellen bei Amazon.de.

Vom 18. November 2022 bis am 26. Februar 2023 wird die Staatsgalerie Stuttgart rund 100 Werke von George Grosz unter dem Titel Glitzer und Gift der Zwanzigerjahre. George Grosz in Berlin präsentieren (Titel wurde geändert).

Zitate und Teilzitate in dieser Austellungskritik / Buchkritik / Rezension sind der besseren Lesbarkeit wegen nicht immer zwischen Anführungs- und Schlussszeichen gesetzt.

Austellungskritik / Buchrezension vom 24. August 2022 um 10:56 deutscher Zeit. Aufdatiert um 12:25: Der Titel der Ausstellung in der Staatsgalerie Stuttgart wurde geändert in Glitzer und Gift der Zwanzigerjahre. George Grosz in Berlin.