Gerhard Richter. 100 Selbstbildnisse, 1993

Sep 07, 2018 at 18:30 642

Zwischen dem 3. September und dem 12. Dezember 1993 schuf Gerhard Richter 201 skizzenhafte Selbstbildnisse. Genau 100 davon wurden vom 1. Juni bis am 26. August 2018 im Albertinum der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden gezeigt. Der dazugehörige, gleichnamige Katalog Gerhard Richter. 100 Selbstbildnisse, 1993 ist weiterhin erhältlich (Amazon.de). Er enthält alle 100 Zeichnungen in Originalgrösse.

1993 publizierte Gerhard Richter das von Hans-Ulrich Obrist herausgegebene Buch Text. Schriften und Interviews, das auf Grund der Informationen des Künstlers über sein Werk wegweisend für die Richter-Rezeption ist. Neben der broschierten Buchhandelsausgabe erschien 1993 zudem eine limitierte Vorzugsausgabe mit Leineneinband, bei dem jedes Exemplar zudem eine originale Zeichnung von Gerhard Richter enthielt. Dabei handelte es sich um Selbstbildnisse. Die Auflage betrug 80 Buchexemplare sowie 20 römisch numerierte Ausgaben und 7 Artist’s Proofs. Neben den in den Buchexemplaren verwendeten Eigenportraits schuf der Künstler weitere 94 Zeichnungen als lose Blätter unter dem Titel Selbstbildnisse. In Dresden wurden diese sich in Privatbesitz befindenden 94 Blätter nun erstmals ausgestellt, zusammen mit weiteren 6 Zeichnungen von sich selbst, die Eingang in die erwähnte 1993 publizierte Vorzugsausgabe fanden.

Die 94 Bleistiftzeichnungen in hochformatigem Rechteck mit den Dimensionen 25 x 17,6 cm werden im Katalog aus dem Jahr 2018 in Originalgrösse wiedergegeben, ebenso wie 6 weitere Selbstbildnisse aus der Vorzugsausgabe von 1993, die allerdings das Format 23,5 x 16.5 cm haben.

Bei den meisten Selbstportraits – sowohl im Buch von 1993 als auch auf den losen Blättern jener Zeit – hat Gerhard Richter das Profil seines Kopfes mit einer mehr oder weniger durchgehenden Bleistiftlinie nachgezogen und das Gesicht danach durch ein gestisches, unruhiges Liniengeflecht oder durch gleichmässige Schraffuren hevorgehoben. Bei einigen Zeichnungen hat der Künstler auf die Profillinie verzichtet, den Kopf als fast reine Negativform ausgespart und nur durch ihn umgebende Schraffuren angedeutet. Die Selbstbildnisse weisen einen jeweils unterschiedlichen Abstraktionsgrad auf, weshalb Gerhard Richter mal mehr, mal weniger erkennbar ist.

Als Vorlage diente eine Fotografie auf der Rückseite der Blätter, die den Zeichnungen jedoch nur als sehr freie Vorlage diente. Einigen Köpfen hat der Künstler etwa einen Hut aufgesetzt, auf rund 40 Werken ist Gerhard Richter im Gegensatz zur fotografischen Vorlage mit einer Brille dargestellt.

Hubertus Butin bemerkt in seinem kurzen Text am Ende des vorliegenden Buches von 2018, dass Gerhard Richter mit diesen Zeichnungen zwar explizite Selbstportraits angefertigt habe, doch dabei nicht von einer eingehenden Beschäftigung mit dem Ich gesprochen werden könne. Weder käme die gesellschaftliche Stellung noch das Selbstverständnis des Künstlers, noch ein psychologisch analysierendes Interesse zum Ausdruck. Es handle sich bei den Selbstbildnissen eher um ein höchst konzentriertes Exerzitium der verschiedenen zeichnerischen Darstellungsmöglichkeiten. Dabei reiche die Bandbreite von der durchaus erkennbaren Wiedergabe des Profils bis hin zur weitgehenden Auflösung der Form. Die serielle Arbeit reflektiere die unterschiedlichen grafischen Mittel zur Repräsentation seines Abbilds, ohne dieses Motiv des eigenen Subjekts zu deuten.

Gerhard Richter. 100 Selbstbildnisse, 1993. Gebundene Ausgabe, Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln, 2018, 211 Seiten mit 100 Zeichnungen und einer Fotografie. Das Buch bestellen bei Amazon.de.

10.9.2018: Das hier besprochene Buch ist die Quelle für diesen Artikel. Zitate und Teilzitate sind der besseren Lesbarkeit wegen nicht mit Gänsefüsschen ausgezeichnet.