Gustav Pauli und die Kunsthalle Bremen

Nov 21, 2023 at 12:07 454

Katalog und Ausstellung Geburtstagsgäste — Monet bis van Gogh: Gustav Pauli und der Kampf um die Moderne feiern den 200. Geburtstag des Kunstvereins in Bremen, der am 14. November 1823 gegründet wurde.

Dorothee Hansen, Hrsg.: Geburtstagsgäste — Monet bis van Gogh: Gustav Pauli und der Kampf um die Moderne, Wienand Verlag, 2023, 272 Seiten mit 373 farbigen und s/w Abbildungen, 24 x 30 cm. Alle Amazon-Cookies akzeptieren, damit Sie direkt zum Katalog kommen; wir erhalten eine Kommission. Katalog bei Amazon.de (zur Zeit falsches Cover, aber das richtige Buch).

Die Kunsthalle Bremen zeigt vom 7. Oktober 2023 bis am 18. Februar 2024 eine Schau, die vor allem die herausragende Zeit des ersten wissenschaftlichen Direktors der Kunsthalle von 1899 bis 1914 untersucht, der mit seiner fortschrittlichen Ankaufspolitik ab 1905 das Museum (bis heute) prägte. Damals erwarb er Meisterwerke von Gustave Courbet, Edouard Manet, Claude Monet und anderen.

Geburtstagsgäste — Monet bis van Gogh: Gustav Pauli und der Kampf um die Moderne zeigt siebzig Werke, darunter sieben Möbelstücke des Bremer Architekten Rudolf Alexander Schröder, der die Häuser der Kunstsammler der Hansestadt in schlichter Eleganz einrichtete, und dem Uwe Schwartz im Katalog den Essay „Ein Ambiente für die Goldene Wolke“ widmet.

Daneben widmen sich Katalog und Ausstellung allgemein der historischen Bedeutung der Kunsthalle Bremen und der Präsentation bedeutender Bremer Kunstsammler, die nach Gustav Paulis Vorbild französische Kunst sammelten.

Der avantgardistische Sammlergeist war in Bremen vor dem Ersten Weltkrieg präsent. Dieser wird in den grösseren Zusammenhang des damaligen Kunstsammelns von Museen und Sammlern in ganz Deutschland gestellt. Als Quellen dienten vor allem das Archiv der Kunsthalle Bremen, das Staatsarchiv Bremen sowie das Deutsche Literaturarchiv in Marburg. Der Katalog präsentiert in acht Essays die Bremer Akteure, weitere acht Abhandlungen widmen sich der Ausstellung, das heisst einzelnen Künstlern, der Zeit des Aufbruchs und der Kämpfe, dem Impressionismus, zielsicheren, glänzenden Ankäufen, Themen wie Bühne und Bordell (Edgar Degas und Henri de Toulouse-Lautrec), dem Mut zur Moderne mit Vincent Van Gogh, Paul Gauguin und Paul Cezanne.

Nebenei bemerkt ein Detail: Cezanne ist im Katalog mit é geschrieben, doch der Künstler und seine aus Italien stammende Familie schrieben sich ohne Akzent, Cezanne signierte Briefe und Werke immer ohne é.

In ihrem ersten von mehreren Katalog-Essays schreibt die Herausgeberin Dorothee Hansen, dass die Kunsthalle Bremen unter dem Kunsthistoriker und Sohn des Bremer Senators und Bürgermeisters Adolf Pauli, Gustav Paul (1866-1938), vom Provinzmuseum zu einer führenden moderenen Galerie aufstieg, die nationales Ansehen genoss.

Der Träger der Kunsthalle, der Kunstverein in Bremen, war bei seinem Amtsantritt 1899 bereits 76 Jahre alt. Bis dahin hatte der Vereinsvorstand zum Betrieb des Hauses und der Organisation von Ausstellungen Kunsthändler und regionale Künstler eingesetzt. Mit Gustav Pauli trat erstmals ein studierter Wissenschaftler an die Spitze des Museums. Als einer der Ersten in Deutschland erwarb er Meisterwerke der jüngeren französischen Malerei für eine öffentliche Galerie und regte die Bremer Sammler dazu an, gleichfalls Werke der Impressionisten zu kaufen. Laut Dorothee Hansen setzte er mutig, gegen heftige Widerstände, seine fortschrittliche Vision einer modernen Sammlung um.

Bremen war eine Handelsstadt, die seit dem Beitritt zur Zollunion 1888 eine bespiellose Blüte erlebte. Petroleum, Tabak, Baumwolle und andere Rohstoffen machten einige in der Stadt sehr reich, unter anderem auch durch die Ausbeutung von Kolonien und der Arbeitskraft versklavter Menschen, was diese Bremer damals nicht störte, so Dorothee Hansen.

Die Herausgeberin beschreibt, wie Gustav Pauli sich der heiklen Aufgabe unterzog, schwächere Werke der Bremer Kunsthalle zu verkaufen oder ins Depot zu verbannen. Durch die gezielte Auswahl guter, fortschrittlicher Bilder wollte er in den alle zwei Jahre stattfindenden grossen Ausstellungen den Geschmack des Bremer Publikums bilden. Das Museum sollte Anregung und Inspiration für das private Sammeln in der Hansestadt sein. Zentrale Grundsätze der Museumsarbeit Paulis seien noch heute hochaktuell, schreibt Dorothee Hansen. So sei der Museumsdirektor bestrebt gewesen, das Museum für ein breiteres Publikum zu öffnen. So bemühte er sich aktiv um die Gewinnung der Arbeiterschaft. Dabei setzte er auf eine lebendige Vermittlung durch Vorträge und Kunstgespräche vor den Originalen. Er riet von gelehrten, wissenschaftlichen Vorträgen ab, sondern setzte darauf, das ästhetische und emotionale Erlebnis unmittelbar vor dem Kunstwerk sowie das Gespräch darüber in den Mittelpunkt zu stellen. Je populärer das Museum sei, desto leichter würde es sein, dafür öffentliche und private Mittel zu seiner weiteren Entwicklung zu gewinnen. Das Museum sollte nicht in erster Linie Fachleute, sondern interessierte Laien ansprechen.

Bekämpft wurde Gustav Pauli vom Bremer Maler und Kunstschriftsteller Arthur Fitger, der im eklektischen Stil à la Rubens die Innenausstattungen der öffentlichen und privaten Bremer Häuser beherrschte, so Dorothee Hansen. Sie beschreibt, wie Arthur Fitger in der Weser-Zeitung von Anfang an sämtliche Aktivitäten des neuen Kunsthallendirektors attackierte. Dazu gehörte beispielsweise die Ausstellung von Skizzen Paula (Modersohn-) Beckers 1899, dem Jahr von Paulis Amtsantritt. Hinzu kam die Kritik der Werkauswahl und der Präsentationsform in den grossen Ausstellungen, die Kritik an der Einbeziehung kunstgewerblicher Objekte, die Aufstellung moderner Skulpturen im öffentlichen Raum und vieles mehr. Gustav Pauli wiederum nutzte diese Angriffe, um in zahlreichen Beiträgen in den Bremer Nachrichten seine Kunstposition darzulegen

Durch Gustav Paulis Arbeit entwickelte sich so eine lebhafte Kunstdebatte in der Hansestadt. Spätestens seit der Eröffnung des Erweiterungsbaus und der Internationalen Kunst-Ausstellung in Bremen 1902 wurde die überregionale Presse auf seine Arbeit aufmerksam. Dorothee Hansen unterstreicht, dass sich der ambitionierte Direktor deutlich gegen die populären Bilder der Düsseldorfer Malerschule positionierte, die er „in ihrer faden Süßlichkeit viel ekliger und gleichzeitig […] viel verführerischer und gefährlicher“ fand als selbst schwächere Bilder der modernen Secessionskünstler.

Gustav Pauli setzte auf deutsche Maler die für Fortschritt und künstlerische Qualität standen wie Wilhelm Leibl, Max Liebermann, Max Slevogt oder Wilhelm Trübner. Sie waren in der Bremer Ausstellung 1902 vertreten. Hinzu kamen herausragende Werke internationaler (französischer) Maler wie Edgar Degas, Claude Monet, Pierre-Auguste Renoir und Alfred Sisley.

Mit der Eröffnungsausstellung im neuen Gebäude der Bremer Kunsthalle signalisierte er laut Dorothee Hansen, wie das zukünftige Sammlungsprofil des Museums aussehen sollte: Er legte den Akzent auf die moderne Freilichtmalerei, wobei ihm die französische Kunst als Vorreiter auf diesem Gebiet erschien. Er setzte daher auf Werke von Malern wie Gustave Courbet und von Impressionisten, die er für ein modernes Museum als unverzichtbar hielt.

Dorothee Hansen unterstreicht, dass Gustav Pauli ab 1904 Unterstützung von den Sammlern Leopold Biermann und Alfred Walter Heymel erhielt. Leopold Biermann sammelte Werke von Künstlern wie Gustave Courbet, Vincent van Gogh, Max Liebermann und Wilhelm Trübner. Alfred Walter Heymel wiederum sammelte Arbeiten von Malern wie Henri de Toulouse-Lautrec, Vincent van Gogh und Pablo Picasso.

Alfred Walter Heymel, Gustav Pauli und der studierte Architekt, Schriftsteller und Möbelentwerfer Rudolf Alexander Schröder riefen um 1904 den Freundeskreis Die goldene Wolke ins Leben, der sich zu gemeinsamen Lesungen, Theater- und Musikvorführungen, Diners und Tanz traf. Der Bankier Johann Georg Wolde und seine Frau Adele, die ebenfalls deutsche und französische Impressionisten zu sammeln begannen, gehörten ebenso zur Goldenen Wolke, die mit Dichtern wie Rudolf Borchardt, Richard Dehmel, Gerhart Hauptmann, Hugo von Hofmannsthal, Hermann Graf Keyserling, Detlef von Liliencron und Rainer Maria Rilke in Kontakt und mit Kunstschriftstellern und Museumsleuten wie Julius Meier-Graefe, Eberhard von Bodenhausen und Harry Graf Kessler in engem privaten Austausch standen.

Dorothee Hansen unterstreicht, dass Gustav Pauli mit der Goldenen Wolke nicht nur wichtige Bremer Unterstützer fand, sondern zudem eine intellektuelle Salonkultur etablierte, die etwas vom Flair weltläufiger Städte wie Hamburg und Berlin einfing.

Der Kritiker Arthur Fitger hatte seit 1903 deutlich an Autorität verloren und stellte 1905 seine kritischen Attacken gegen den Kunsthalle Museumsleiter ein. Die Internationale Ausstellung 1906, bei der französische Impressionisten eine bedeutende Rolle spielten, zeigten klar, dass Gustav Paulis Aufbauarbeit Früchte trug.

1909 schliesslich konnte Gustav Pauli mit einer Leihausstellung aus bremischem Privatbesitz erstmals öffentlich Bilanz ziehen. Das Vorbild der Kunsthalle hatte Wirkung gezeigt. Die Düsseldorfer Genremalerei war aus dem Fokus der Sammler verschwunden. Neue Sammlerpersönlichkeiten, allen voran Leopold Biermann, Alfred Walter Heymel, Carl Theodor Melchers, Philipp Sparkuhle und das Ehepaar Wolde, standen für die Entwicklung des privaten Kunstgeschmacks in Bremen, so Dorothee Hansen.

Nun wurde jedoch der Worpsweder Maler Carl Vinnen zu einem neuen, gefährlichen Kritiker des Kunsthalle Direktors, Carl Vinnen hatte zunächst viele Jahre lang Gustav Pauli unterstützt. Doch nach dem Verstummen von Arthur Fitger und seiner Aufnahme im September 1905 als Mitglied im Vorstand des Kunstvereins in Bremen, begann Carl Vinnen sich kritisch zu äussern. Dorothee Hansen schreibt, dass er bereits im Folgemonat Oktober den Ankauf eines modernen Themsebildes von Claude Monet – und damit Gustav Paulis ersten Ankauf eines impressionistischen Gemäldes – verhinderte.

Carl Vinnen ermahnte Gustav Pauli mehrfach, die zeitgenössischen deutschen Künstler stärker zu unterstützen. Kaum war der Kritiker Carl Vinnen im Herbst 1910 aus dem Vorstand des Kunstvereins in Bremen ausgeschieden, wurde der Ankauf des Mohnfeldes von Vincent van Gogh beschlossen.

Der Kampf um die Moderne — der Skandal um den Ankauf von Vincent van Goghs Mohnfeld

1911 stand Bremen im Mittelpunkt im Kampf um die Moderne, der bereits 1892 mit der Munch-Ausstellung in Berlin begonnen hatte. 1911 kaufte Gustav Pauli das Gemälde Mohnfeld von Vincent Van Gogh, was in der Hansestadt und darüber hinaus eine Kontroverse auslöste.

Carl Vinnen schrieb nach dem Ankauf kritische Briefe an Gustav Pauli, in denen er ihm vorwarf, die französische Kunst zu sehr zu bevorzugen und dafür zu viel Geld zu investieren. Er drängte darauf, stattdessen jüngere deutsche Künstler bei Ankäufen stärker zu berücksichtigen.

Am 3. und 4. Januar 1911 veröffentlichte Carl Vinnen in den Bremer Nachrichten sein „Mahnwort an den Kunstverein“, dem der Museumsdirektor mit einer Gegendarstellung antwortete. Die Kontroverse wurde allein in Bremen in dreissig Pressebeiträgen ausgetragen. Hinzu kamen über sechzig Artikel in überregionalen Medien. Neben nationalistischen Vorbehalten und „Brotkorbinteressen“ deutscher akademischer Künstler spielten laut Dorothee Hansen dabei auch Vorwürfe gegen angebliche Netzwerke zwischen Kunsthandel und vermeintlich tendenziösem „Kunstliteratentum“ eine Rolle.

Dorothee Hansen verweist darauf, dass Hugo von Tschudi, seit 1896 Direktor der Nationalgalerie in Berlin, bereits in seinem ersten Amtsjahr Werke von Paul Cezanne, Edouard Manet, Claude Monet und Auguste Rodin erworben hatte und dafür mit ähnlichen Argumenten kritisiert worden war. Da er an der französischen Malerei festhielt, wurde er 1908 „beurlaubt“. Gustav Pauli müsse folglich klar gewesen sein wie schwierig und sogar riskant seine Strategie sein würde.

Dorothee Hansen verweist zudem auf den Chef der Mannheimer Kunsthalle, Fritz Wichert, der 1910 anlässlich des Ankaufs von Edouard Manets Hauptwerk Die Erschiessung Kaiser Maximilians eine heftige Pressekampagne erlebt. Der Bremer Ankauf des Mohnfelds von Vincent van Gogh trieb daher eine längst schwelende Diskussion in Deutschland auf den Höhepunkt.

Es kam zu Kämpfen, Anfechtungen und einer Klage gegen den van Gogh-Ankauf, die jedoch in zweiter Instanz abgewiesen wurde. Letztlich ging Gustav Pauli gestärkt aus dem grossen Künstlerstreit hervor, unterstreicht Dorothee Hansen. Der Kritiker Karl Scheffler kanonisierte Gustav Pauli 1913 in einem grossen Artikel seiner dreiteiligen Reihe „Deutsche Museen moderner Kunst“ zusammen mit Hugo von Tschudi und Alfred Lichtwark als „neuen Typus des modernen Galerieleiters“.

Gustav Pauli wurde im folgenden Jahr gebeten, die Nachfolge von Alfred Lichtwark in Hamburg anzutreten. Als seinen Nachfolger empfahl der abtretende Direktor der Bremer Kunsthalle den Kunsthistoriker Emil Waldmann (1880–1945), der zuerst Direktorialassistent von Gustav Pauli gewesen war, ehe er 1910 bis 1913 als Direktor des Kupferstich-Kabinetts in Dresden arbeitete. 1914 wurde er vom Kunstverein in Bremen als neuer Direktor eingesetzt.

Dies und noch viel mehr zu entdecken gibt es im Katalog, herausgegeben von Dorothee Hansen: Geburtstagsgäste — Monet bis van Gogh: Gustav Pauli und der Kampf um die Moderne. Mit Beiträgen von Beiträge von Dorothee Hansen, Katharina Erling, Eva Fischer-Hausdorf, Alice Gudera, Alexis Joachimides, Alexander Pütz, Uwe Schwartz. Wienand Verlag, 2023, 272 Seiten mit 373 farbigen und s/w Abbildungen, 24 x 30 cm. (Alle Amazon-Cookies akzeptieren, damit Sie direkt zum Katalog kommen; wir erhalten eine Kommission) Das Buch bei Amazon.de.

Zitate und Teilzitate in dieser Ausstellungskritik / Buchkritik von Geburtstagsgäste — Monet bis Van Gogh: Gustav Pauli und der Kampf um die Moderne sind der besseren Lesbarkeit wegen nicht zwischen Anführungs- und Schlusszeichen gesetzt.

Ausstellungs-Rezension / Buchkritik von Geburtstagsgäste — Monet bis Van Gogh: Gustav Pauli und der Kampf um die Modernes vom 21. November 2023 um 12:07 deutscher Zeit. — Das Mohnfeld wurde 1911 und nicht 1811 gekauft. Zuoberst im Text zuerst falsch notiert. Korrigiert um 12:33.