Hodler, Klimt und die Wiener Werkstätte

Feb 09, 2022 at 16:27 724

Der Katalog (Amazon.de) Hodler, Klimt und die Wiener Werkstätte begleitete die gleichnamige Ausstellung im Kunsthaus Zürich vom 21. Mai bis am 29. August 2021, die ich leider nicht besuchen konnte. Hier nachträglich meine Rezension.

Christoph Becker, Direktor im Kunsthaus Zürich, erläutert einleitend den Rahmen von Aussstellung und Katalog. Die Eröffnung 1910 am Heimplatz des Kunsthaus Zürich war ein Meilenstein. Erstmals konnten Ausstellungen zeitgenössischer Kunst in einem architektonisch würdigen Rahmen und unter optimalen
organisatorischen Voraussetzungen stattfinden. Zürichs Aufstieg in die internationale Kunstwelt stand nichts mehr im Wege.

Angeregt durch den umtriebigen und einflussreichen Künstler und Kunstvermittler Carl Moll hatte der Schweizer Nationalmaler schlechthin, Ferdinand Hodler (1853–1918), schon ab 1898 Kontakt zu Wiener Künstlerkollegen. Einzelne seiner Gemälde waren in den Secessionsausstellungen zu sehen gewesen. Trotz einiger bissiger Kommentare der Kunstkritik kam 1904 Hodlers internationaler Durchbruch mit der spektakulären Aussstellung  im neuen, hochmodernen Secessionsgebäude am Karlsplatz in Wien. Erstmals waren dort die Schlüsselwerke des 50-jährigen Künstlers versammelt. Christoph Becker unterstreicht wie Hodler, gerade noch in einen erbitterten Streit um die Fresken im neuen Schweizerischen Landesmuseum in Zürich verwickelt, dank Wien zu einem internationalen Kunststar aufstieg. Eine engere Verbindung zwischen Ferdinand Hodler und Gustav Klimt (1862–1918) entwickelte sich bereits im Jahr 1903, als das Zürcher Bauprojekt in die entscheidende Planungsphase trat.

Die Wiener Modernen erkannten die Bedeutung von Zürich. Daher kam es 1917 zur Gründung einer Niederlassung der Wiener Werkstätte in der Limmatstadt. Dazu gehörten ein «Showroom» an der Bahnhofstrasse Nr. 1 und eine Verkaufsstelle an der Bahnhofstrasse Nr. 12, die mit einer Modeschau in der vollbesetzten Tonhalle eingeweiht wurde. Die Niederlassung bot fast das gesamte Sortiment der Wiener Werkstätte an.

Die Gründung einer Niederlassung in Zürich hing zudem damit zusammen, dass während des Ersten Weltkriegs der finanziell schlecht gestellte österreichische Staat dringend Devisen brauchte, die er durch die Exportförderung für Gewerbetreibende und Firmen ins Land bringen wollte. Gefördert wurde die Modeschau in der Tonhalle ebenso wie die Gründung eines Tochterunternehmens an der Bahnhofstrasse in der neutralen Schweiz, das bis 1926 bestand. Hinzu kam 1922 der Betrieb einer Filiale der Wiener Werkstätte an der Haldenstrasse 7 in Luzern, wie Elisabeth Schmuttermeier in ihrem Katalobeitrag erläutert.

Die Ausstellung Ein Jahrhundert Wiener Malerei im Kunsthaus Zürich im Frühjahr 1918 war ein großartiger Erfolg, nicht zuletzt wegen der zahlreichen Werke Gustav Klimts, für die sich prominente Sammler des Landes begeisterten. Im gleichen Jahr widmete man dem Künstler in Zürich eine monografische Ausstellung, die zur ersten posthumen Retrospektive wurde, denn Gustav Klimt verstarb am 6. Februar, wenige Wochen vor der Eröffnung. Kurz darauf, im Mai 1918, starb Ferdinand Hodler.

Ausstellung und Buch Hodler, Klimt und die Wiener Werkstätte (Amazon.de) beleuchten die vielfältigen Beziehungen zwischen Hodler und Klimt, den regen kulturellen Austausch, die geschäftlichen Verbindungen und die merkantilen Aspekte. Dafür wurden eine vielzahl von kunstgewerblichen Objekten, Fotografien, Kunstwerken und Dokumenten zusammengeführt, darunter das Mobiliar nach den Entwürfen von Josef Hoffmann aus Hodlers Wiener Wohnung, einige seltene Ausstattungsstücke des Zürcher Ladengeschäfts der Wiener Werkstätte, Entwürfe von Dagobert Peche sowie natürlich exemplarische Gemälde von Hodler und Klimt. Sie runden laut Christoph Becker das Bild eines ebenso freundschaftlichen wie pragmatischen künstlerischen Austauschs ab und machen jene Personen fassbar,
die in Zürich einen regelrechten Schub in Richtung Moderne auslösten. Einen entscheidenden Anteil an dieser Entwicklung hatten nicht zuletzt einige zu Unrecht vergessene Sammlerpersönlichkeiten wie Carl von Reininghaus, den Erstbesitzer von drei Zürcher Hauptwerken von Gustav Klimt.

Der österreichische Künstler wird oft als Maler von Frauen, des Weiblichen wahrgenommen. Weniger bekannt ist sein vielschichtiges Verhältnis zur angewandet Kunst, das in diesem Katalog nicht zu kurz kommt. Auffallend ist, dass viele von Klimts Mäzeninnen und Mäzenen zur herausragenden Kundschaft der Wiener Werkstätte gehörten.

Christoph Becker konnte als Gastkurator Professor Tobias G. Natter gewinnen, den international renommierten Kenner der Wiener Moderne und insbesondere von Gustav Klimt und seinem Werk. Insgesamt haben ein halbes Dutzend Autoren Beiträge für diesen Lesenswerten Katalog verfasst.

Hodler, Klimt und die Wiener Werkstätte. Herausgegeben von der Zürcher Kunstgesellschaft/Kunsthaus Zürich, Verlag Scheidegger & Spiess, Mai 2021, 226 Seiten. Das Buch bestellen bei Amazon.de.

Zitate und Teilzitate in dieser Rezension / Buchkritik sind der besseren Lesbarkeit wegen nicht zwischen Anführungs- und Schlussszeichen gesetzt.

Buchkritik / Rezension vom 9. Februar 2022 um 16:27 Schweizer Zeit. Leicht erweitert am 10. Februar 2022 um 10:40 Schweizer Zeit.