Impressionismus in Leipzig

Dez 17, 2019 at 15:51 890

Liebermann, Slevogt, Corinth

Noch bis am 1. Juni 2020 zeigt das Museum der bildenden Künste Leipzig in drei Etappen die Ausstellung Impressionismus in Leipzig 1900-1914: Liebermann, Slevogt, Corinth. Die Ausstellung und der Katalog rekonstruieren die ersten Einzelausstellungen der drei Künstler im Museum der bildenden Künste, die der Leipziger Kunstverein zwischen 1904 und 1911 ausrichtete.

Ich besuchte im Dezember 2019 die Ausstellung, die im ersten Teil (bis 28.2.2020) dem Werk von Max Liebermann gewidmet ist. Die Schauen zu Max Slevogt (17.1.-19.4.2020) und Lovis Corinth (26.2.-1.6.2020) folgen später. Etwas kompliziert. Doch zudem lockt die Dauerausstellung mit einer herausragenden Sammlung von Werken von Lucas Cranach d. Ä, Rubens, Pieter de Heem, Pieter de Hooch, Caspar David Friedrich, Anton Graff, Arnold Böcklin (Toteninsel V, 1886!), Max Liebermann, Otto Mueller, Max Beckmann, Neo Rauch und vielen anderen. Leipzig ist immer eine Reise wert!

Zurück zum Katalog Impressionismus in Leipzig 1900-1914: Liebermann, Slevogt, Corinth, in dem man natürlich bereits alle drei Teile der Ausstellungstriologie finden kann. Die Autoren betonen, dass Leipzig schon früh ein wichtiger Vermittlungsort impressionistischer Kunst war. Dies zumindest aus der Sicht der beiden führenden Galerien im deutschen Kaiserreich: Ernst Arnold in Dresden und Paul Cassirer in Berlin. Aus heutiger Sicht mag es befremdlich erscheinen, doch damals war es normal: Auf Einladung des Leipziger Kunstvereins führten diese beiden führenden Galeristen Verkaufsausstellungen in den heiligen Hallen des Museums der bildenden Künste durch. Diese Verquickung von Kunstmarkt und Institution fand in einer Offenheit und medialen Transparenz statt, wie es sich der Museumsdirektor Alfred Weidinger und der Kurator der Ausstellung Marcus Andrew Hurttig im heutigen, zeitgenössischen Ausstellungsbetrieb wünschen würden.

Der Ausstellungstitel „Impressionismus in Leipzig“ ergab sich für die Ausstellungsmacher aus dem Umstand, dass um 1904 bis 1911 die Leipziger Lokalpresse den Begriff Impressionismus im Zusammenhang mit Liebermann, Slevogt und Corinth brauchte, wobei ein patriotisches Unbehagen verhinderte, dass die drei als reine Impressionisten bezeichnet wurden. Ihre Eigenheit wurde betont, es wurde versucht, sie aus der damals zeitgenössischen französischen Stilumklammerung herauszulösen. Ihre Malweise und Bildthemen wurden in einen grösseren kunsthistorischen Rahmen gerückt, in dem Rubens, Hals oder Delacroix als grosse Vorbilder herangrückt wurden, nicht die Konkurrenz aus Paris; dabei scheint den Ausstellungsmachern entgangen zu sein, dass Delacroix natürlich ein Franzose war. Doch natürlich haben sie recht, dass im damals (bereits lange vor dem Ersten Weltkrieg) bereits patriotisch-nationalistischen Fieber solche Auswüchse vorkamen. Dabei betonen sie ebenfalls, dass der Begriff Impressionismus natürlich dennoch gebraucht wurde, denn diese Kunst war erfolgreich, attraktiv. Alles andere wäre Kassengift gewesen.

Die Leipziger Ausstellung lässt die Frage bei Seite, inwieweit nun Liebermann, Slevogt und Corinth impressionistische Maler oder gar Wegbereiter der Moderne waren, wie es in jüngster Zeit in anderen Ausstellungen behauptet wurde.

Das Museum der bildenden Künste will mit der aktuellen Schau vielmehr den Aufbruch Leipzigs zu einer modernen Grossstadt vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges nachzeichnen. Ausgehend von den rekonstruierten Verkaufsausstellungen von Liebermann, Slevogt und Corinth werden Meldungen aus dem Leipziger Alltag eingeblendet, so zu den Bereichen Politik, Wirtschaft, Sport, Kriminalität bis hin zu Wetterprognosen. Den Schreibenden faszinierten insbesondere Infos zu Geburten – eheliche und uneheliche – sowie zu Todesfällen.

Leipzig hatte damals im Vergleich zu heute mehr Tageszeitungen, Verlagshäuser und Grossunternehmer, ein grösseres Theater- Varieté-, Tanz- und Konzertangebot sowie mindestens so viele Gaststätten, Caféhäuser und Hotels. Daneben gab es eine ähnliche, wenn nicht höhere Anzahl von tödlichen Verkehrs- und Arbeitsunfällen, Vergewaltigungen, Selbstmorden, Morden und anderen Verbrechen, die für das tägliche Nachrichtenmaterial sorgten. Alltag in der Grossstadt.

Vor diesem breitgefächerten sozialgeschichtlichen Hintergrund rekonstruiert das Museum die historischen Verkaufsausstellungen durch führende Galeristen in ihren Räumen, verweist auf in Vergessenheit geratene Privatsammler, zerstrittene lokale Künstlervereinigungen und verpasste Ankaufschancen für das Museum der bildenen Künste Leipzig.

Der Katalog bietet Informationen zum Ausdruck der Wirklichkeit in den Werken von Liebermann, Slevogt und Corinth, zur Ankaufspolitik moderner Kunst im Museum der bildenen Künste Leipzig zwischen 1896 und 1916, zu Werken deutscher Impressionisten in Leipziger Privatsammlungen, zum Leipziger „Künstlerkrieg“ und der Etablierung der Leipziger Jahresausstellungen von 1910 bis 1913. Alle Werke der Ausstellungstrilogie sind natürlich im Buch abgebildet (ebenso viele weitere Werke, die den Weg nach Leipzig nicht gefunden haben).

Natürlich mussten für die Rekonstruierung der historischen Ausstellungen viele Werke aus anderen Museen und Privatsammlungen ausgeliehen werden, was ohne die Hilfe von grosszügigen Sponsoren nicht möglich gewesen wäre.

Dem Schreibenden am besten gefallen hat ein Werk von Max Liebermann, das in der Leipziger Kunstvereinsausstellung von Oktober bis November 1907 erstmals gezeigt wurde: Selbstbildnis mit Küchenstillleben aus dem Jahr 1873. Das Ölgemälde auf Leinwand (85,5 x 139 cm) stammt aus dem Kunstmuseum Gelsenkirchen und weist weit über den Impressionismus hinaus. Die Ausstellung fand anlässlich des 60. Geburtstages von Max Liebermann statt und präsentierte, laut damaligem Katalog, mindestens 57 Werke. Sie wurde ab dem 30. Oktober 1907 um 12 Werke aus Privatbesitz erweitert. Ferner waren 41 Zeichnungen und 56 Druckgrafiken des Künstlers zu sehen.

Nebenbei erwähnt: Ein Rundgang durch die Dauerausstellung lohnt sich auch bezüglich deutscher Impressionisten. Da sind unter anderem weitere Werke von Max Liebermann zu bestaunen, die nicht zwischen 1904 und 1911 Teil der Verkaufausstellungen waren.

Diese Rezension beruht auf dem Buch / Ausstellungskatalog des Museums der bildenden Künste Leipzig: Impressionismus in Leipzig 1900-1914: Liebermann, Slevogt, Corinth, Verlag E.A. Seeman, November 2019, 192 Seiten. Den Katalog bestellen. Der einfacheren Lesbarkeit wegen stehen Zitate und Teilzitate aus dem Buch nicht zwischen Anführungs- und Schlusszeichen.

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Siehe auch den Artikel zur Ausstellung Im Garten von Max Liebermann.

Rezension hinzugefügt am 17. Dezember 2019 um 15:51 deutscher Zeit.

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