Marchesi Antinori

Apr 17, 2022 at 21:46 467

Die drei Töchter des 76jährigen Familienpatriarchen Marchese Piero Antinori, Allegra, Alessia und Albiera, repräsentieren die 26. Generation der Florentiner Adelsfamilie. Und sie haben bereits je fünf Kinder. Über die Zukunft der Dynastie muss man sich keine Sorgen machen.

Die Marchesi Antinori haben insbesondere mit den herausragenden Weinen Tignanello und Solaio Weingeschichte geschrieben. Doch die Geschichte beginnt schon viel früher, nämlich spätestens im Jahr 1179, in dem die Familie Antinori urkundlich erstmals im Zusammenhang mit Passignano, dreissig Kilometer von Florenz entfernt, erwähnt wird. Seit dem Jahr 1385 sind die Antinori bereits im Weingeschäft tätig!

Den Marchesi Antinori und ihrer Geschichte, ihren Weinen und Weingütern widmet sich ein neuer, grossformatiger und lesenswerter Band mit vielen Fotos aus dem Tre Torri Verlag (Amazon.de).

Die Antinori gehörten zur vermögenden Zunft der Arte della lana, die das einträgliche Wollgeschäft in Florenz beherrschte und ab 1330 den Bau des Doms mit der waghalsigen Kuppel von Filippo Brunelleschi kontrollierte.

Bereits im Winter 1178/79 verpflichtete sich ein gewisser Accarisio di Antinoro di Combiate seinen Lebensmittelpunkt vom Land (Combiate) in die Stadt (Florenz) zu verlegen. Hier lebten geschäftstüchtige Bürger, florierten Handwerk, Händler und Fabrikanten. Das Bildungsniveau stieg. Für sozial Schwache wurde gesorgt. Architekten, Bildhauer und Maler machten Florenz zu einer kulturellen Welthauptstadt. Von diesem Erbe zehrt Florenz heute noch.

Die Antinori verdankten ihren frühen Reichtum dem traditionellen Tuchgeschäft, der Produktion von Wolle, dem Handel mit Seide und anderen edlen Stoffen. Hier florierten zudem Banker wie die Medici, Alberti, Strozzi und andere, die alle wie die Antinori ihre eigenen Palazzi bauten. Und diese Familien verstanden es zumeist, nicht nur Reichtümer anzuhäufen, sondern diese über die Jahre hinweg zu vermehren.

Im historischen Zentrum von Florenz ist seit 1506 der Palazzo Antinori an der Piazza degli Antinori das Stammhaus der Familie. Die Antinori stellten zwar keine Päpste wie die Medici, doch zwischen 1632 und 1849 kamen immerhin fünfzehn Senatoren des Grossherzogtums Toskana aus ihren Reihen.

Für die Antinori war das Jahr 1738 mit dem Aussterben der Medici und der neuen Herrschaft durch die Habsburger ein Glücksfall, denn dadurch kam es 1753 zur Gründung der Accademia dei Georgofili, der ersten wissenschaftlichen Landwirtschaftsakademie Europas, die den Weinanbau befruchtete. Die grosse Zeit des Chianti wurde zwar nicht von einem Antinori, sondern vom Baron Bettino Ricasoli (1808-80) eingeleitet, doch bis heute bauen auch sie diesen Rotwein an.

Im Risorgimento – im Buch fälschlicherweise als Rinascimento bezeichnet, das eigentlich die Renaissance meint, und nicht den Wiederaufstieg Italiens zur nationalen Einheit im 19. Jahrhundert – standen die Antinori auf der richtigen Seite. Deshalb erhielten sie vom König denn auch den Titel „Marchese“ verliehen. Das Risorgimento brauchte nicht nur die Einigung Italiens, sondern auch die Wiedergeburt des toskanischen Weins. Der Urgrossvater des heutigen Familienpatriarchen Piero Antinori, Niccolò (1817-82) erhielt auf der Wiener Weltausstellung von 1873 ein Diplom der Anerkennung für seine Weine, die er auf vier toskanischen Gütern produzierte.

Die Weingüter der Antinori wuchsen über die Jahre hinweg. Die Familie war sparsam und konnte so in unruhigen Zeiten Zukäufe tätigen. Niccolòs Sohn Piero Antinori (1863-1939) gründete zusammen mit seinem Bruder Ludovico das heutige Familienunternehmen unter dem Namen „Marchesi L&P Antinori“. Sie legten die Grundlage für den heutigen Erfolg. Die Anbauflächen in guten Chianti-Weinbergen wurden nochmals erweitert, nicht zuletzt im weltbekannten Tignanello, moderne Kellereien, so in San Casciano, eingerichtet, und 1928 das Etikett mit der Ansicht der Villa Antinori kreiert. Die Weine wurden nach New York und Buenos Aires, nach London und an den italienischen König, bis zu dessen Absetzung 1946, geliefert. Seither sind die Antinori-Weine beim Staatspräsidenten der Republik Italien willkommen.

Niccolò Antinori (1898-1991), der Vater des heutigen Patriarchen Piero, verband sein Können beim Anbau von Wein mit einem ebenso grossen Talent für Marketing, Verkauf und Vertrieb. 1966 übernahm Piero Antinori mit nur 28 Jahren die Leitung des Familienunternehmens. Er arbeitete weiterhin mit dem beratenden Önologen seines Vaters weiter, dem legendären Wein-Professor Emile Peynaud aus Bordeaux.

Zu den herausragenden Rotweinen aus dem Hause Marchesi Antinori gehören Solaia und Tignanello. Der zwanzig Hektaren umfassende Weinberg Vigneto Solaia liegt auf den Höhen des Chianti Classico oberhalb des Vigneto Tignanello. Beide Lagen sind nach Süden und Südwesten ausgerichtet. Je nach Jahrgang besteht der Solaia aus rund 75% Cabernet Sauvignon, 5% Cabernet Franc und 20% Sangiovese. Die zehn Parzellen des Solaia werden nach Parzellen getrennt geerntet und vergoren und danach separat in Eichenfässer abgefüllt, wobei sich die Weine von Fass zu Fass unterscheiden. Der Barrique-Ausbau dauert 16 bis 18 Monate. Zum Schluss werden die Weine zur endgültigen Cuvée komponiert.

Der Solaia ist ein moderner Wein, der in einer Reihe von grossen Schöpfungen von Marchese Piero Antinori zusammen mit seinem Önologen Giacomo Tachis steht. Nach einer grossen Ernte wagten die zwei das Experiment, eine Charge extra zu vinifizieren und in neuen Barriques aus französischer Eiche reifen zu lassen. 1970 wurde die Idee weiterentwickelt, nicht zuletzt unter dem Einfluss der Erfahrungen mit dem Sassiccaia, und auf die Besonderheiten des Chianti Classico übertragen. Das Resultat nannte sich ab 1971 Tignanello. Hier bildet Sangiovese den Hauptteil, Cabernet Franc und Cabernet Sauvignon runden den Wein ab. 1978 folgte der Solaia, bei dem, wie oben erwähnt, die Rebsorten in einem vollkommen anderen Verhältnis komponiert wurden. Mineralität, Vitalität und Intensität machen so den Fingerabdruck des Weinberges deutlich erkennbar, wobei die Komposition über die Jahre hinweg modifiziert wurde, indem der Anteil an Sangiovese auf heute rund 20% erhöht wurde. Seine Säuren und Tannine machen den Solaia unverwechselbar.

Das Mikroklima des Solaia unterscheidet sich vom Tignanello, der seit Jahrhunderten eine geschätzte Spitzenlage ist. Bei den 50 Hektaren des neu kreierten Weines Tignanello wird jede Parzelle ebenfalls für sich getrennt ausgebaut und geerntet. Die erste Ernte aus dem Jahr 1970 wurde noch als Chianti Classico Riserva deklariert, dann wurde ihm der Status entzogen. Im Folgejahr kam er wie erwähnt erstmals als Tignanello etikettiert in die Flasche. Dieser Wein zeigte die Begrenztheit der Herkunftsregel des Chianti Classico auf. Der Tignanello zeichnet sich durch eine feinnervige Intensität auf, die er von Anfang bis Ende hält.

Das Buch Marchesi Antinori aus dem Verlag Tre Torri beleuchtet neben der Familiengeschichte die avantgardistische Architektur des Weinguts in Bargino, die verschiedenen Anbaugebiete in Italien und in Kaliforniens Napa Valley sowie die grossen Antinori-Weine. Den Abschluss des informativ-dekorativen Buches bilden Eindrücke von verschiedenen Verkostungen.

Marchesi Antinori. Tre Torri Verlag, November 2014, 240 Seiten mit vielen Farbfotos. Das grossformatige Buch bestellen bei Amazon.de.

Rezension vom 1. Februar 2015 um 00:01 CET. Buchkritik hinzugefügt zu unseren Seiten im neuen Design am 17. April 2022 um 21:46 deutscher Zeit.