Marianne Faithfull

Mai 27, 2010 at 10:52 3388

Biografie, Konzertkritik, Albums, Fotos.

Marianne Faithfull spielte die Hauptrolle im Film Irina Palm. Als ihr Sohn und ihre Schwiegertochter die medizinische Behandlung ihres Enkels nicht mehr bezahlen können, nimmt sie einen Job als Hostess in einem Sexclub in Soho an. Rasch avanciert sie zur gefragtesten Sexarbeiterin im Klub, in dem sie Männer durch ein Loch hindurch anonym befriedigt. Die frivol-sozialkritische Tragikkomödie feierte 2007 auf der Berlinale Weltpremiere. Die DVD bestellen bei Amazon.de. [hinzugefügt am 27.5.2010].

Biografie von Marianne Faithfull

Marianne Faithfull wurde am 29. Dezember 1946 in Hampstead, London, geboren. Ihr Vater, der englische Universitätsprofessor, Psychotherapeut und Spion in Diensten des britischen Geheimdienstes Glynn Faithfull, und ihre Mutter, Baronesse Erisso, eine Schauspielerin aus einer österreichisch-ungarischen Adelsfamilie, sandten ihre Tochter auf die Klosterschule St. Joseph Convent in Reading.

Doch diese Welt liess Marianne Faithfull bereits 1964 weit hinter sich. Der Produzent Andrew Loog-Oldham stellte die Siebzehnjährige seiner Erfolgsband, den Rolling Stones, bei einer Party in London vor. Die Klosterschülerin träumte damals von einer Karriere als Folksängerin. Im September 1964 erhielt sie von Loog-Oldham einen Plattenvertrag. Mit der Ballade „As Tears Go By“ aus der Feder von Mick Jagger und Keith Richards landete sie sogleich einen Hit, der es in Grossbritannien bis auf #9, in den USA immerhin bis auf #22 schaffte. Im März 1965 folgte mit „Come Stay With Me“, von Jackie DeShannon geschrieben, ihr grösster kommerzieller Erfolg: in Grossbritannien #4. Im Mai desselben Jahres folgte ihr dritter Hit, „This Little Bird“, in Grossbritannien #6. Im selben Monat heiratete die schwangere Marianne Faithfull den Antiquitätenhändler John Dunbar. Im November kam ihr gemeinsamer Sohn Nicolas zur Welt, der später Astronomie und Mathematik studieren sollte.

Die Sängerin trennte sich von Loog-Oldham, hatte aber danach keinen Erfolg mehr. Ihre Remakes eines Beatles- und eines Ronettes-Songs fielen beim Publikum durch. Ihre Ehe mit Dunbar war bereits gescheitert, als sie der schockierten Öffentlichkeit mitteilte: „Ich habe mit drei von den Stones geschlafen und mich dann für Mick entschieden.“ 1966 hatte sie „Blitzaffären“ mit Brain Jones und Keith Richards, ehe sie die ständige Begleiterin von Mick Jagger wurde. Bis 1969 blieben die zwei das Traumpaar der britischen Boulevardpresse. Musikalisch sind in dieser Zeit nur ihr Mitwirken beim Chor von „All You Need Is Love“ von den Beatles sowie ihre Decca-Single „Something Better“, die keine hohen Wellen warf, zu erwähnen.


Marianne Faithfull bei den Women’s World Awards 2009 in der Wiener Stadthalle (Wien, Österreich) am 5.12.2009. Photo Copyright Manfred Werner – Tsui / Wikipedia.

1968 versuchte sie sich als Schauspielerin in Girl On A Motorcycle an der Seite von Alain Delon und wirkte bei der Fernsehdokumentation Rock And Roll Circus über die Rolling Stones mit. Bereits 1966 war sie in Jean-Luc Godards Made in USA sich selbst spielend zu sehen. Für mehr Wind im Blätterwald sorgten allerdings ihre Verhaftungen wegen Drogenbesitz und eine Fehlgeburt im November 1968.

1969 schrieb Marianne Faithfull Sister Morphine, doch der Song war in den Augen des Plattenlabels mit dem „Folk-Image“ der Sängerin nicht vereinbar, weshalb er nur als B-Seite der Single „Something Better“ veröffentlicht wurde. Die Rolling Stones brachten den Titel 1971 auf ihrem Album Sticky Fingers raus, mit der Autorenangabe „Jagger/Richards“.

Die Trennung von Mick Jagger erfolgte im Juli 1969, als das Paar für die Dreharbeiten zu Ned Kelly in Australien weilte. Marianne Faithfull fiel wegen einer Überdosis kurzzeitig ins Koma und wurde nach England zurückgebracht, wo sie sich in einem Krankhaus einer Entziehungskur unterzog. Marianne Faithfull war ein Heroin-Junkie, unternahm einen Selbstmordversuch und lebte zu Begin der 1970er Jahre als obdachlose Fixerin im Londoner Szene-Viertel Soho.

1970 wurde ihre Ehe mit Dunbar geschieden. Ihr künstlerisches Comeback gab sie auf der Theaterbühne als Shakespeare-Darstellerin, ebenso im Kino, wo sie als Ophelia in Tony Richardsons Hamlet-Verfilmung von 1969 mit Anthony Hopkins und Nicol Williamson zu sehen war. Im Theater spielte sie zudem Tschechows Drei Schwestern, zusammen mit Glenda Jackson. Marianne Faithfulls musikalisches Comeback kam erst im November 1975 mit „Dreaming My Dreams“ von Waylon Jenning sowie dem gleichnamigen Folk-Album, das allerdings nur in Irland ein Erfolg wurde, worauf die Sängerin das Land bereiste, um es kennen zu lernen.

Marianne Faithfull unterschrieb beim Independent-Label Nems Records einen neuen Vertrag. Erneut war es Loog-Oldham, der sie produzierte. Sein Plan, sie zur Punk-Lady aufzubauen, scheiterte jedoch. Beim Album Faithless wurde sie von der Grease Band begleitet. Ansonsten spielte sie mit der Gruppe Front, aus denen die Vibrators entstanden. Deren Bassist Ben Brierly wurde 1979 ihr zweiter Ehemann. Bereits im November desselben Jahres sorgte sie für negative Schlagzeilen, als sie am Osloer Flughafen wegen Besitz von Marihuana verhaftet wurde. Wer dachte, dass nun ein erneuter Absturz folgen würde, sah sich getäuscht.

Noch im selben Monat erschien ihr New Wave Album Broken English, das es in Deutschland bis auf #4 schaffte und auch von der Kritik begeistert aufgenommen wurde. Der Titelsong befasste sich mit dem Terror der Baader-Meinhof-Bande, der Song „Why D’Ya Do It“ mit dem Thema Eifersucht. Highlights waren ihr Interpretation des Songs „The Ballad of Lucy Jordan“ von Shel Silverstein, ursprünglich ein Dr. Hook Song, sowie „Working Class Hero“ von John Lennon. Die anschliessende Tournee mit guten Musikern wie Steve York scheiterte, weil Marianne Faithfull die Stimmungen ihrer Lieder live nicht ins Publikum transportieren konnte.

Zwei Jahre später erschien Dangerous Acquaintances. Auf dem Album erzählte sie melancholisch von der Vergänglichkeit von Beziehungen und von den Kompromissen des Alltags. 1982 überzeugte sie damit auf einer kleinen Tournee. Danach arbeitete sie 18 Monate am Folgealbum, A Child’s Adventure von 1983, in dem sie von unterkühlter Erotik, „The Blue Millionaire“ von Grace Jones, bis ausgelassener irischer Folkmusik, „Falling From Grace“, fast alles abdeckte.

1985 verlieh ihr der Dichter der Beat Generation, Alan Ginsberg, kurz vor seinem Tod den Titel einer Ehrenprofessorin der Poesie an der Jack Kerouac School of Disembodied Poetics in Boulder, Colorado.

Im Juli 1987, nach einer Entziehungskur, erschien Strange Weather. Den Titelsong steuerte Tom Waits bei. Marianne Faithfulls Bandbreite war erneut erstaunlich, von Blues bis Chansons, von „Boulevard of Broken Hearts“ über „As Tears Go By“ zu Billie Holidays „Yesterdays“.

1988 zog Marianne Faithfull nach Cambridge, Massachusetts. Ihr nächstes AlbumBlazing Away wurde live in einer Kirche in New York mitgeschnitten. Stereo bezeichnete das Album als „Revue eines wüsten, von Tragik umwitterten Lebens“. Dr. John sowie Mitglieder der Band und der Lounge Lizards begleiteten sie auf ihrer Reise durch Songs wie „As Tears Go By“ und „Working Class Hero“.

1994 erschien ihre mit David Dalton geschriebene Autobiografie Faithfull (Paperback-Ausgabe bestellen bei Amazon.com, Amazon.de). 1995 kam ihr Album A Secret Lifeauf den Markt. Der Einfluss von Kurt Weill und der Musik der Weimarer Republik wurde immer stärker und manifestierte sich 1997 im Album 20th Century Blues. 1998 erschien The Seven Deadly Sins, Kurt Weills Oper Die sieben Todsünden, die am Salzburg Festival zur Uraufführung gelangte. In diesem Zusammenhang stieg die CD in den Klassikcharts weltweit sehr hoch.

1999 folgte das Album Vagabond Ways, u.a. mit ihrer Version des Leonard Cohen Songs „Tower of Song“, dem neu von Elton John geschriebenen „For Wanting You“ sowie dem unveröffentlichten Roger Waters Song von 1968, „Incarceration of a Flower Child“. [Musiknoten / Sheet music von Leonard Cohen].

Im Jahr 2000 trat Marianne Faithfull erneut vor die Kamera und übernahm in Patrice Chéreaus Intimacy eine Rolle. Der Film wurde auf der Berlinale mit einem Goldenen Bären als Bester Film ausgezeichnet. Daneben spielte sie im Film Far From China von Regisseur Christian Leigh mit.

Mit der Veröffentlichung des Albums Kissin Time 2002 ging sie erstmals wieder auf Tournee (siehe die Konzertkritik rechts). Bereits damals plante sie ihr nächstes Album, Before the Poison von 2004, mit dem sie sich auf dem Niveau ihrer besten Tage bewegt (siehe die Album-Kritik auf dieser Seite). Marianne Faithfull lebt in Irland.

Quellen: Graf & Rausch: RockmusiklexikonAnnabelle 16/2002 Interview von Christiane Rebmann; Promo-Infos der Plattenlabels. Rockmusiklexikon von Graf und Rausch bestellen. CDs von Marianne Faithfull bei Amazon.de.


Marianne Faithfull: Collection of her Best Recordings. Island/Unversal, 1995. CD bestellen bei Amazon.com, bei Amazon.co.uk, bei Amazon.de. Die Best of CD enthält tatsächlich viele ihrer besten Song wie The Ballad of Lucy JordanGuiltAs Tears go By und Broken English. Auf die Schnelle fällt mir nur auf, dass von den wichtigsten Songs Sister Morphine fehlt.

Marianne Faithfull: Before The Poison. September 2004. CD bestellen bei Amazon.co.uk, bei Amazon.fr, bei Amazon.de.

Before the Poison

Das am 27. September 2004 veröffentlichte Album Before the Poison von Marianne Faithfull begeistert durchgängig. Der erste von zehn Songs, „The Mystery of Love“, erzählt vom Mysterium und der Magie der Liebe. Die Musik stammt von PJ Harvey. Die Dame ist zusammen mit Nick Cave, Damon Albarn und dem Filmkomponisten Jon Brion eine von vier Musikerpersönlichkeiten, die Marianne Faithfull erstklassiges Material zu ihren Liedern geliefert haben. Aggressiver und rockiger geht es im zweiten Song, „My Friends Have“, im Zusammenspiel mit PJ Harvey zu. Im traurig-intimen „Crazy Love“ singt Marianne Faithfull von der Liebe, die blind macht. Die Musik mit Piano, Geige und Akustikgitarre stammt von Nick Cave. Dave Albarn von Blur steuert den „Last Song“ bei, in dem es düster zugeht. In intimen Sprechgesang verfällt Marianne Faithfull in „No Child of Mine“, einem Duett mit PJ Harvey. Der Titelsong „Before the Poison“ ist eine rabenschwarze Ballade, in der sich die Sängerin die Giftspritze setzt. Mit fast schon verzweifelter Stimme singt Marianne Faithfull „There is a Ghost“. Eine Rückkehr zum sozialen Protestsong bildet „In the Factory“. „Desperanto“ ist eine schrill-schräge Nummer von Nick Cave, erneut mit Sprechgesang von Marianne Faithfull. „City of Quartz“ klingt wie ein Wiegenlied (des Todes?). Before the Poison ist eindeutig eines der besten Alben 2004. Marianne Faithfull geht dafür erneut auf Tournee. Auf keinen Fall verpassen!


Marianne Faithfull: Kissin Time. März 2002. CD bestellen bei Amazon.com, bei Amazon.de.

Das Album Kissin Time

Das am 4. März 2002 veröffentlichte Album enthält zehn Songs, die in Zusammenarbeit mit so bekannten Namen wie Beck, Blur, Jarvis Cocker, Billy Corgan, Dave Stewart, Damon Albarn und Etienne Daho entstanden. Die Musik von „Sex with Strangers“ stammt von Beck, die Texte von Marianne Faithfull. „The Pleasure Song“ nahm die Sängerin mit Etienne Daho und Les Valentins in Paris auf. „Like Being Born“ ist eine weitere Zusammenarbeit mit Beck. „Wherever I Go“ wurde von Billy Corgan geschrieben und produziert.

„Song for Nico“ ist zusammen mit Dave Stewart entstanden und eine Hommage an die deutsche Sängerin Nico Päffgen von Velvet Underground. Nico wurde als uneheliches Kind im Dritten Reich geboren und deshalb als „Bastard“ beschimpft. Sie hatte ein uneheliches Kind mit Alain Delon, der dieses nie anerkannte. Sie starb nach einem Fahrradunfall auf Ibiza, weil sie erst nach vierzehn Stunden gefunden wurde.

„Sliding Through Life on Charm“ wurde von Jarvis Cocker geschrieben und stützt sich auf Marianne Faithfulls Autobiografie von 1994. „Love & Money“ schrieb Faithfhull zusammen mit David Courts, der schon den Titelsong „Vagabond Days“ für das Vorgängeralbum beisteuerte. „Nobody’s Fault“ ist ein Lied von Beck, das ursprünglich auf dem Album Mutations erschien. „Kissin Time“ wurde von Faithfull zusammen mit Damon Albarn geschrieben und mit Blur aufgenommen. Fazit: Kissin Time ist nicht ihr grösster Wurf.

Konzertkritik: Konzert vom 6. November 2002 in Zürich im X-tra

2002 war Marianne Faithfull mit ihrem damaligen Album Kissin Time in Zürich im X-tra zu Gast. Zur Begleitband gehörten der Gitarrist Brian McPhee und der Keyboarder Andy May. Der Sound war zu Beginn diffus, mittelmässig, die Atmosphäre im Publikum jedoch erwartungsvoll gespannt. Erst beim vierten Lied des Abends, dem Titelsong „Kissin Time“, fand die Band zu klarerem Sound und konnte sich der Gitarrist erstmals positiv in Szene setzten. Aggressiver und rockiger gespielt als auf der CD blieb der Song jedoch auch live eine Spur zu simpel. In der folgenden Ballade konnte Marianne Faithfull ihre unnachahmliche, vom Rauchen geprägte Stimme ausspielen. Nach ein Lied später, mit I’m on Fire“, zeigte sie, dass eine Frau auch mit 56 Jahren noch rrotischen Charme versprühen kann, ohne peinlich zu wirken.

Bevor sich die Sängerin „Like Being Born“, einem weiteren Song aus Kissin Time, zuwandte, zündete sie sich lässig eine Zigarette auf der Bühne an, um danach vom Vater zu singen, der ihr Rosen versprach, während dem die Mutter Dornen versprach. Der Song, von Beck und Faithfull zusammen geschrieben, entfaltete live eine viel stärkere Kraft als auf CD.

Mit „Times Square Lyrics“ gelang der Sängerin ein starker Einstieg in die „gute alte Zeit“, voller Kraft und Pathos. Mitreissend ihr Gesang, ebenso die Band. Marianne Faithfull beendete das Lied sanft. Das Publikum war zurecht begeistert. Danach leitete sie mit einigen erklärenden Worten den „Song for Nico“ ein (siehe dazu oben die Kritik zu Kissin Time). Mit vorwärtsstrebendem Beat huldigten Band und Sängerin allen vom Leben geschlagenen Frauen.

Danach präsentierte Marianne Faithfull ihre Band, Andy May und Brian McPhee aus Glasgow sowie den Schlagzeuger Johnny Boyle aus Dublin. Kraftvoll, aber nicht larmoyant präsentierten sie danach „The Ballad of Lucy Jordan“, einen der besten Songs der populären Musik überhaupt, der von der 37jährigen handelt, die realisiert, dass sie nie mit einem Sportwagen, den warmen Wind im Haar, durch Paris fahren wird. Das sich weitgehend im fortgeschrittenen Alter befindliche Publikum konnte da gut mitfühlen. Brian McPhee glänzte mit einem Gitarrensolo in der Mitte des Stücks.

Dann kündigte Marianne Faithfull eine „porn ballad“ an, dazu dezent gähnend, so ihre scheinbar reisserische Ankündigung souverän unterlaufend. Danach folgte John Lennons „Working Class Hero“, mit hartem, straffem Sound anklagend vorgetragen, wodurch das Publikum erneut voll mitgerissen wurde, auch im längeren Instrumentalteil.

Zum Schluss kündigte sie einen „filthy song“ an, den Jarvis Cocker geschrieben habe. Es handelte sich um „Sliding Through Live on Charm“, zu dem sich Cocker von der Autobiografie von Marianne Faithfull hatte inspirieren lassen. Und tatsächlich findet sich im Lied zum Beispiel die Zeile: „And creeps who want to fuck a nun on drugs„.

Als Zugabe sang Marianne Faithfull Strange Weather, den Titelsong ihres Albums von 1987, wozu sie korrekt anmerkte: „By Tom Waits, written for me of course.“ Nun erhielt sie mehrfach Blumen aus dem Publikum. Musikalisch kamen Bandoneon, Keyboard und Akkordeon neben Marianne Faithfulls Sprechgesang ins Spiel. Nach rund 18 Songs fand die musikalische Sternstunde einen grossartigen Abschluss.

Marianne Faithfull. Foto © Mary McCartney Donald.


Marianne Faithfull. Fotos © Mary McCartney Donald.


Marianne Faithfull. Foto © Mary McCartney Donald.