Der frühere Kunstkritiker der Sunday Times (1949-74) sowie zuletzt Chefkritiker der New York Times (1974 bis 1990), John Russell , legt mit Matisse. Father & Son ein Werk vor, in dem er die Schätze des Archivs von Pierre Matisse (1900-89) ausgewertet hat.
John Russel: Matisse. Father & Son. New York, Harry N. Abrams, 1999, 415 Seiten. Das englische Buch bestellen bei Amazon.de, Amazon.com (alle Cookies erlauben, damit Sie direkt zum Buch kommen; wir erhalten eine Kommission).
Pierre war Kunsthändler und der zweite Sohn des Malers Henri Matisse und seiner Frau Amélie Parayre. Russell selbst war übrigens mit Pierre Matisse bekannt, in dessen Archiv sich über 800 zwischen Vater und Sohn ausgetauschte Briefe befinden, einige davon rund 20 Seiten lang. Russells Werk ist auf Pierre Matisse zentriert. Ihm fehlt allerdings die sprachliche Souveränität von Hilary Spurling. Seinen Protagonisten hat er nicht so detailliert nachgespürt wie die Engländerin. Trotzdem hat er selbstverständlich einiges über die Beziehung zwischen Vater und Sohn zu erzählen.
So informierte Pierre anfangs der 20er Jahre, als er noch Maler werden wollte, seinen Vater über alle Werke, die er schuf, und sandte ihm gar Skizzen davon. Ende 1924 schliesslich ging er nach New York, wo er jahrelang für einen Kunsthändler arbeitete. Für diesen tourte Pierre durch Europa, um verkaufbare Kunstwerke aufzutreiben. Erst Ende 1931 etablierte er sich mit einer eigenen Galerie. Zu seinen Kunden gehörten ab 1935 der Schauspieler Edward G. Robinson und der Autokönig Walter P. Chrysler, ab 1936 auch Joseph Pulitzer jr.
John Russell hat keine durchgängige Biographie geschrieben, sondern bei ihm findet sich eine Reihe von Portraitskizzen der Giganten der Kunst des 20. Jahrhunderts, die Pierre Matisse als Kunsthändler vertrat. Zu ihnen gehörten Joan Miró (ab 1932), Alexander Calder (1934), Alberto Giacometti (1937), Balthus (1938) oder Dubuffet (1939).
Im Archiv von Pierre Matisse befinden sich über 300 Briefwechsel mit Joan Miró sowie annähernd 200 mit Alberto Giacometti. Da es sich um Briefe zwischen Künstlern und ihrem Galeristen handelt, geht es oft um Geld. Das mag einige Puristen stören, doch zeugen diese Briefe vom Existenzkampf der Künstler.
Miró z.B. verlangte nur bescheidene regelmässige Summen und lieferte dafür eine im voraus festgelegte Anzahl an Werken pünktlich wie ein Schweizer Uhrwerk ab. Er hatte nichts von einem Dandy oder unzuverlässigen Künstler. Gleichzeitig sind seine Werke voller Poesie, scheinbar in völligem Kontrast zu seinem fast fliessbandähnlichen Arbeitsstil.
John Russells Werk bietet Einblicke in eine Vielzahl von Künstlerbiographien, die vor allem nach dem Krieg nach manchmal harten Jahren der Entbehrung in wohlverdientem Wohlstand mündeten, den Pierre Matisse selbst bis zu seinem Tod 1989 geniessen konnte.
John Russel: Matisse. Father & Son. New York, Harry N. Abrams, 1999, 415 Seiten. Das englische Buch bestellen bei Amazon.de, Amazon.com (alle Cookies erlauben, damit Sie direkt zum Buch kommen; wir erhalten eine Kommission).
Zitate und Teilzitate in dieser Buchkritik / Rezension sind der besseren Lesbarkeit wegen nicht zwischen Anführungs- und Schlussszeichen gesetzt.
Buchkritik / Rezension vom 15. Dezember 1999. Erneut hinzugefügt zu unseren neuen Seiten in neuem Design am 12. November 2023 um 12:29 deutscher Zeit. Nun sind die zwei Rezensionen der Bücher von John Russell und Hilary Spurling getrennt, die ursprünglich in einem Artikel abgehandelt wurden.