Ministerpräsident Boris Rhein wird in Hessen eine Regierung aus CDU und SPD anführen

Dez 17, 2023 at 15:59 373

Ministerpräsident Boris Rhein wird in Hessen im Amt bleiben und neu eine Regierung aus CDU und SPD anführen; von einer grossen Koalition kann keine Rede sein, da die SPD mit 15,1% und 23 Mandaten bei der Landtagswahl vom 8. Oktober 2023 klar hinter der AfD mit 18,4% und 28 Mandaten blieb.

Vom bisherigen Koalitionspartnern, den Grünen, hat sich Boris Rhein überraschend getrennt. Schwarz-Grün hatte relativ geräuschlos regiert. Die Ökopartei hat bei der Wahl allerdings 57.000 Wähler an die CDU verloren, fast doppelt so viel wie an die SPD (31.000), über doppelt so viel als an Nichtwähler (31.000) und als an kleine Parteien (22.000). Einzig von den Linken konnten die Grünen 9.000 Wähler hinzugewinnen. Kurzum, zwischen Schwarz und Grün gibt es eine Schnittmenge.

Allerdings gilt dies noch mehr bezüglich der SPD, da die CDU laut Wählerwanderung-Analyse von Infratest dimap 2023 gar 76.000 Wähler gewinnen konnte, mehr als von jeder anderen politischen Kraft oder von Nichtwählern.

Warum haben sich Boris Rhein und die CDU für die SPD entschieden? Weil es mit den Sozialdemokraten die grösste Schnittmenge geben soll, am meisten von den eigenen Forderungen aus dem Wahlkampf durchgesetzt werden konnte. Laut Boris Rhein sogar alles, was zwar übertrieben, doch nicht weit von der Wahrheit entfernt ist. Allerdings räumte er ein, dass die CDU kein von den Christdemokraten geführtes Wirtschaftsministerium durchsetzen konnte.

Am kleinen Parteitag sagte Ministerpräsident Boris Rhein zudem, er habe die Nase voll davon, wie mit Polizistinnen und Polizisten in Hesssen umgegangen werde. Darum kündigte er härtere Strafen für Angriffe auf Beamte und Beamtinnen an sowie allgemein eine härtere Gangart für mehr Sicherheit und einen starken Staat an.

Im Koalitionsvertrag ist zu lesen: „Wir sorgen mit mehr Polizistinnen und Polizisten für mehr Sicherheit auf unseren Straßen, Plätzen und im Netz. Dafür weiten wir die Fahndungsmöglichkeiten aus und setzen klare Schwerpunkte auf die Bekämpfung von Drogenkriminalität und die Kriminalität in Innenstädten und im Internet sowie auf die Sicherheit von Frauen. Damit sich alle Menschen, die in Hessen leben, sicher fühlen, setzen wir uns gegen jede Form von Extremismus ein.“

Im Koalitionsvertrag ist von einer Rückführungesoffensive mit Rückführungszentren, von der Ausweitung der Abschiebehaft, von einer Umstellung auf Bezahlkarten für Geflüchtete, von einer Belastungsgrenze bei der Migration, von einer deutlichen Begrenzung der irregulären Migration, gleichzeitig aber auch von einer versträrkten Integration von Menschen mit Bleiberecht die Rede.

Bezüglich Nachhaltigkeit für Klima, Umwelt und stabile und erneuerbare Energie steht im Koalitionsvertrag schwammig, wolkig: „Wir bewahren für künftige Generationen eine lebenswerte Umwelt und schützen Klima und Natur. Wir spielen dabei Ökonomie und Ökologie nicht gegeneinander aus, sondern verbinden beides – mit Innovation statt Ideologie, mit Anreizen statt Verboten. Wir investieren in moderne Energietechnologien, bringen die dezentralen und erneuerbaren Energien in die Fläche und unterstützen aktiv die Forschung an nachhaltigen Energiequellen der Zukunft.“

132 von 133 anwesende CDU-Delegierte sahen den Koalitionsvertrag so wie Boris Rhein und stimmten am kleinen christdemokratischen Parteitag diesem bei einer einzigen Gegenstimme und ohne Enthaltungen zu.

Kritik kam von den nun von der CDU verschmähten Grünen. Der hessische Grünen-Fraktionschef Mathias Wagner merkte zum Koalitionsvertrag zurecht an: „Überall, wo man sich konkrete Vorschläge erhofft hätte, findet sich ein wortreiches Nichts.“

Unter dem Punkt „Berufsbeamtentum bewahren und fortentwickeln“ steht im Koalitionsvertag der kuriose Satz: „Für die Legalisierung von Cannabis müssen wir klare Regelungen für den Dienstbetrieb finden.“ Der Grünen-Fraktionschef  Mathias Wagner fragte dazu rhetorisch, „was CDU und SPD während der Verhandlungen geraucht haben“.

Die Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände (VhU) und der Hessische Industrie- und Handelskammertag (HIHK) äussern sich positiv zum Koalitionsvertrag, so zur Absicht von Bürokratieabbau und Planungsbeschleunigung, wobei im selben Satz von einer aktiven Wirtschafts- und Industriepolitik die Rede ist, wobei sich der unabhängige Beobachter fragt, ob die neue Regierung da an Subentionen denkt, so wie es zuletzt im Bund z.B. bei Halbleitern der Fall war.

In Hessen hat das Verwaltungsgericht Wiesbaden entschieden, dass das Landesamt für Verfassungsschutz die hessische AfD als Verdachtsfall beobachten darf. Der Landtag in Wiesbaden hat daher ein „Demokratiepaket“ durchgebracht. In Hessen gibt es bisher die G10-Kommission, benannt nach Artikel 10 des Grundgesetzes über das Post- und Telekommunikationsgeheimnis. In der G10 bestimmen derzeit Abgeordnete von CDU, Grünen und SPD über die Zulässigkeit der Telefonüberwachungen durch den Landesverfassungsschutz. Da seit dem 8. Oktober 2023 die AfD die grösste Oppositionspartei im Landtag ist, wurde diese rechtsrextreme Partei nun einen Sitz in der Kommission erhalten. Damit das nicht geschieht, haben die „demokratischen“ Parteien im Landtag, also alle ohne die AfD, das Gesetz so abgeändert, dass in der Kommission ausser Abgeordneten neu zudem Experten Einsitz nehmen können, und vor allem, dass die Kommission neu nicht mehr auf Grund der Sitzverteilung im Landtag zusammengesetzt wird, sondern die G10-Kommissionsmitglieder neu vom Landtag gewählt werden. Die AfD hat deshalb das neue Gesetz als „Lex AfD“ bezeichnet und dabei zurecht darauf verwiesen, dass die CDU-Fraktionschefin Ines Claus diese einst genau so getan hatte. Doch die AfD ist zu einem guten Teil rechtsradikal und gehört beobachtet. Das hat sie sich selbst zuzuschreiben. Der SPD-Fraktionschef Günter Rudolph nannte dies zurecht die typische Flucht in die Opferrolle der AfD. Laut der Hessenschau nannte es René Rock (zurecht) eine „Täter-Opfer-Umkehr“.

Nancy Faeser „Triple U“: unglücklich, unpopulär, unfähig — und dennoch ist die SPD erstmals nach 25 Jahren neu in der hessischen Regierung vertreten

Die SPD wurde im Wahlkampf 2023 von der unglücklichen, unpopulären und ziemlich unfähigen Bundesinnenministerin Nancy Faeser angeführt. Mit 15,1% (-4,7 Prozentpunkte) und nur noch 23 Sitzen führte die Frau ohne Strahlkraft die Sozialdemokraten in ein Wahldesaster. Dass diese nun nach 25 Jahren Opposition in Wiesbaden wieder an die Macht kommen, kann sie allerdings als Erfolg verbuchen. Dafür waren Nancy Faeser und die SPD allerdings bereit, einige Kröten zu schlucken, unter anderem beim Thema Flüchtlingspolitik, wie die SPD-Spitzenkandidatin konzedierte. Sie betonte allerdings gleichzeitig, keine Koalition mit der CDU würde bedeuten, dass die SPD noch weniger für Migraten tun könnte.

Ob Schwarz-Rot ein Erfolg wird, bleibt abzuwarten. Die einzige Gegenstimme bei der CDU gegen den Koalitionsvertrag kam von Horst Klee. Der Delegierte führte an, er sei mit den Leistungen der Landesregierung der letzten Jahre sehr zufrieden; das gilt laut Infrastest dimap übrigens für 74% der CDU-Wähler, die zufrieden mit ihrer Landesregierung sind, 25% sind unzufrieden. Bei den Grünen sind 65% zufrieden und 31% unzufrieden. Bei allen Wählern waren 47% zufrieden und 48% unzufrieden mit der bisherigen Regierung von CDU und Grünen.

Horst Klee von der CDU bemerkte bezüglich der Grünen, diese seien ein Partner gewesen, auf den sich die CDU habe verlassen können. Vor allem aber fügte er gegen eine Koalition mit der SPD zurecht an, diese sei „inhaltlich und personell ausgeblutet“.

Allerdings spricht für Schwarz-Rot, dass bei der Wahl laut dem Umfrageinstitut Infratest dimap nur 36% aller Wähler in Hessen der Meinung waren, die CDU sollte mit den Grünen weiter regieren, während dem immerhin 45% meinten, die CDU sollte mit der SPD koalieren. Und so ist es gekommen.

Bei der SPD war die Frage deutlich imstrittener als bei der CDU. Bei einem Sonderparteitag in Gross-Umstadt (Darmstadt-Dieburg) stimmen 317 SPD-Delegierte über den Koalitonsvertrag ab. 253 stimmten mit Ja, 56 mit Nein, bei 8 Enthaltungen. Der Koalitionsvertrag wurde mit 81,9% der Anwesenden angenommen.

Kritik kam vor allem von der Jugendorganisation der SPD, den Jusos. Deren Landeschef, Lukas Schneider, kritisierte inbesondere die im 184-seitigen Koalitionsvertrag verabredete härtere Gangart bei der Innen-, der Asyl- und Migrationpolitik sowie bei der Bildung das Festhalten am dreigliedrigen Schulsystem. Hinzu kam die Ablehnung des geplanten Verbots von Gender-Sonderzeichen an Schulen, Hochschulen und im Rundfunk. Damit werde eine  rechtspopulistische Forderung aufgegriffen, so Lukas Schneider.

Die Personalfragen — wer wird Minister — sollen noch nicht geklärt sein. Die CDU soll 8, die SPD 3 Ministerien führen. Noch ist die neue Regierung nicht im Amt. Das soll am 18. Januar 2024 geschehen, wenn der Landtag zu seiner konstituierenden Sitzung zusammenkommt.

Da die 56 Gegenstimmen gegen den Koalitionsvertrag am SPD-Sonderparteitag fast ausschliesslich von den Jusos kamen und diese im hessischen Landtag mit ingesamt 137 Abgeordneten nicht vertreten sind (nicht einmal durch den Jusos-Chef Lukas Schneider), besteht kaum Gefahr für die Wiederwahl von Boris Rhein zum hessischen Ministerpräsidenten, neu als Chef einer CDU-SPD Landesregierung. Schwarz-Rot kontrolliert 75 der 137 Mandate im Wiesbadener Landtag.

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Das Photo zeigt den hessischen Ministerpräsidenten Boris Rhein. Foto Copyright: Hessischer Landtag (via Wikipedia/Wikimedia).

Artikel vom 17. Dezember 2023. Hinzugefügt um 15:59 deutscher Zeit.