Modigliani

Sep 05, 2006 at 00:00 2219

Biografie & Ausstellung Modigliani und seine Modelle

Biografie von Amedeo Modigliani

Die Hauptquelle für diesen Artikel sind die Beträge von Kathleen Brunner zum Ausstellungskatalog der Royal Academy of the Arts in London: Modigliani und seine Modelle (dt.: Amazon.de; English edition: Modigliani and his Models: Amazon.de, Amazon.co.uk).

Seit seinem Tod ist er von Legenden umwoben: Amedeo Modigliani (1884-1920). Er starb am 24. Januar 1920 in Paris an tuberkulöser Meningitis. Zwei Tage später stürzte sich Jeanne, die mit Modiglianis zweitem Kind im neunten Monat schwanger war, aus der im fünften Stock gelegenen elterlichen Wohnung in den Tod. Doch der Tod von Amedeo Modgliani führte nicht nur zu Selbstmorden, sondern die Kunsthändler – sehr diesseitsorientiert – erkannten sofort das Gewinnpotential und schnappten sich eine Stunde nach seinem Tod jedes Gemälde, jede Zeichnung und jede Skulptur des Malers und Bildhauers, wie Gustave Coquiot 1924 in Des Peintres Maudits fest hielt.

Amedeo Modigliani wurde 12. Juli 1884 in Livorno in der Toskana geboren. Das vierte Kind von Flaminio Modigliani und Eugenia Garsin entstammt einer assimilierten Familie jüdischer Herkunft. Seine Mutter stammte aus Marseille, weshalb Amedeo zweisprachig war und sich später in Paris problemlos integrierte.

Als der Vater pleite ging, verdiente die Mutter mit Nachhilfe in Englisch und Französisch. Daraus entstand eine Privatschule. Amedeos kultivierter, gebildeter Grossvater, Isaac Garsin, nahm den Jungen mit in Ausstellungen und beeinflusste ihn so mehr als seine Eltern. Sein Tod 1894 berührte den Jungen sehr.

1895 litt Modigliani an einer Rippenfellentzündung. Es war die erste von drei Krankheiten, die seine Gesundheit schwer angriffen: 1899 folgte Typhus und 1900-1901 kam Tuberkulose hinzu.

1898 begann Modigliani in Livorno beim Maler Guglielmo Micheli (1886-1926) mit Zeichenunterricht. Ab 1899 nahm er täglich Kunstunterricht. 1902 begann er sein Studium an der Scuola Libera di Nudo in Florenz. Im Sommer jenen Jahres experimentierte er in Carrara mit Marmor. Von 1903 bis 1905 setzte er Studium am Istituto di Belle Arti in Venedig fort.

1906 reiste Modigliani nach Paris, wo er in Montmarte ein Atelier bezog. Er besuchte Picasso im nahe gelegenen Bateau-Lavoir. Die neuen Arbeiten des Spaniers waren von der Formensprache der „primitiven Kunst“ beeinflusst. Die Begegnung wirkte sich auf Modiglianis Oeuvre aus. Er freundete sich zudem mit dem Dichter Max Jacob an, der zum Kreis um Picasso gehörte. Der Beau aus Livorno schrieb sich an der unabhängigen Académie Colarossi in Montparnasse ein.

1907 lernte Modigliani seinen ersten Förderer kennen, den Dermatologen Dr. Paul Alexandre (1881-1968). Ihm gehörte das Gebäude an der Rue du Delta 7, in dem der Künstler sein neues Atelier aufschlug. In den folgenden sieben Jahren wurde Dr. Alexandre zu seinem Mäzen, der eine bedeutende Sammlung mit 25 Gemälden und 450 Zeichnungen aus Modiglianis Frühwerk anlegte.

1907 stellte der Maler und Bildhauer erstmals im Salon d’Automne aus, an dem Cézannes Spätwerk in einer Sonderausstellung gezeigt wurde. Im folgenden Jahr experimentierte er mit unterschiedlichen Stilrichtungen der Avantgarde. Dabei ist der Einfluss von Toulouse-Lautrec, Picasso, den Fauvisten und vor allem dem späten Cézanne spürbar. Auf das Betreiben von Dr. Alexandre stellte Modigliani fünf Gemälde und eine Zeichnung im Salon des Indépendants aus.

1909 zog Modigliani in ein neues Atelier in der Cité Falguière 14 in Montparnasse, um sich der Bildhauerei zu widmen. Über Dr. Alexandre lernte er den rumänischen Bilhauer Constantin Brancusi kennen, der stilisierte Werke mit einfachen Formen herstellte. Unter dem Einfluss von Brancusi begann er Skulpturen mit Köpfen direkt in Stein zu hauen.

1910 zeigte Modigliani im Sommer des Vorjahres in Livorno entstandene Arbeiten im Pariser Salon des Indépendants. Der Kritiker André Salmon und der Dichter Guillaume Apollinaire erwähnten seine Werke in ihren Ausstellungsbesprechungen. Dennoch geriet Modigliani zunehmend in finanzielle Schwierigkeiten, verfiel dem Alkohol und nahm Drogen.

In seiner Besprechung des Salon des Indépendants von 1911 hob Apollinaire erneut Modigliani hervor. 1912 wurden sieben Modigliani-Köpfe im Kubistenraum des Salon d’Automne neben Arbeiten von Fernand Léger, Robert Delaunay, Albert Gleizes und Jean Metzinger gezeigt. In jenem Jahr lernte er über Max Jacob den russischen Bildhauer Jacques Lipchitz kennen und freundete sich mit dem englischen Bildhauer Jacob Epstein an.

Beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 blieb Modigliani zusammen mit Künstlern wie Picasso, Diego Rivera, Juan Gris, Chaïm Soutine und Max Jacob in Paris. Sie verkehrten im Café de la Rotonde, dem Treffpunkt der Kubisten und Revolutionäre. Modigliani freundete sich insbesondere mit Soutine an, der aus Russland (heute Litauen) emigriert war.

Der junge und ehrgeizige Spezialist für die Kunst der Avantgarde sowie der „Primitiven“ aus Afrika, Paul Guillaume, vertrat nun Modigliani als Galerist. Die schlechte Gesundheit und die Einschränkungen des Krieges zwangen den Künstler fast vollständig zur Rückkehr zur Malerei. Seine Werke waren vom Fauvismus, Pointillismus und Kubismus beeinflusst.

Von 1914 bis 1916 ging Modigliani eine Beziehung zur in England geborenen südafrikanischen Dichterin, Journalistin und Kunstkritikerin Beatrice Hastings (eigentlich Emily Alice Haigh 1879-1943) ein, von der er vierzehn Portraits und Akte in verschiedenen Stimmungen und mit unterschiedlichen Techniken malte. Alkohol und Haschisch spielten in diesem Verhältnis eine wichtige Rolle. Haistings verarbeitete ihre romantische Beziehung mit Modigliani in der surrealistischen Erzählung Minnie Pinnikin sowie in ihren tagebuchartigen, der Avantgarde gewidmeten Impressions de Paris. Jahre später beschrieb sie in realistischer und drastischer: „Ein komplexer Charakter. Ein Schwein und eine Perle.“ Die launenhafte Beatrice Hastings nahm sich 1943 das Leben.

1914 wurden zwei Werke Modiglianis in der bedeutenden Londoner Ausstellung Twentieth-Century Art: A Review of Modern Movements in der Whitechapel Art Gallery gezeigt. Weitere Werke stellte Modigliani mit den Künstlern des „Omega Workshop“ aus.

1915 malte Modigliani Portraits der Kubisten Picasso, Juan Gris und Henri Laurens. Paul Guillaume sandte für eine Ausstellung in der Modern Gallery in der Fifth Avenue in New York afrikanische Skulpturen und 24 Werke von Modigliani an Marius de Zayas.

1916 stellte der Künstler Moïse Kisling, mit dem er im Café de la Rotonde verkehrte, Modigliani Léopold Zborowski vor, der sein neuer Galerist wurde, wobei er inoffiziell weiterhin mit Paul Guillaume zusammen arbeitete, den er auch portraitierte. Modigliani zog in ein neues Atelier in der Rue Joseph Bara 3. In diesem Gebäude wohnte sein Galerist Zborowski zusammen mit seiner Partnerin Hanka (Anka), und auch Kisling hatte hier sein Atelier. Hier malte Modigliani viele seiner wichtigsten Portraits, so von Jean Cocteau, Max Jacob, Chaïm Soutine und Moïse Kisling. Bis 1919 malte Modigliani für Zborowski 35 Akte.

1916 stellte Modigliani im Cabaret Voltaire in Zürich, erfuhr Anerkennung auf dem Salon d’Antin und stellt in Lyre et Palette in Paris vierzehn Gemälde und viele Zeichnungen aus. Zudem malte er das Hochzeitsbild von Jacques und Berthe Lipchitz.

1917 lernte Modigliani die damals als Studentin an der Académie Colarossi eingeschriebene Jeanne Hébuterne (1898-1920) kennen, die im folgenden Jahr seine Lebensgefährtin und sein wichtigstes Modell für 25 Portraits wurde. Die Werke von Jeanne wurden erstmals im Jahr 2000 im Rahmen der Modigliani-Ausstellung in der Fondazione Giorgio Cini in Venedig gezeigt.

Modigliani versprach Jeanne schriftlich die Ehe, verstarb jedoch, bevor er das Versprechen einlösen konnte. Die Familie Hébuterne war gegen die Beziehung, wohl weil Modigliani zu sehr dem Alkohol zusprach, und wollte nichts mehr von der Tochter wissen.

Jeanne Hébuterne gebar Modigliani am 29. November 1918 die gemeinsame Tochter Jeanne (Giovanna). In jener Zeit entstand Modiglianis „Spätstil“, in dem er sich an der Renaissance orientierte. In seinen letzten Monaten malte er ergreifende, madonnenähnliche Portraits seiner Lebensgefährtin, die gerade zum zweiten Mal schwanger war und sich, wie erwähnt, zwei Tage nach seinem Tod das Leben nahm.

1917 malte Modigliani auch die polnische Emigrantin Lunia Czechowska (1895-nach 1970), eine gute Freundin und eines seiner wichtigsten Modells. Ihr Mann war im Krieg an die Front gegangen und hatte sie in die Obhut von Modiglianis Händler Léopold Zborowski gegeben, seines Freundes aus Kindertagen. Die Wege des Maler und des Modells – deren Beziehung scheinbar platonisch blieb war, was erwähnenswert ist, weil der italienische Beau viele Affären hatte – trennten sich 1919 wegen Jeanne Hébuterne.

Lunia Czechowska zeichnete 1953 ihre Erinnerungen an die Freundschaft mit Modigliani auf: „Vor seinem Modell wurde Modigliani völlig anders; wie besessen versuchte er den Charakter des Modells in seinem Werk zu erfassen. Als Modell fühlte sie sich, als hätte sie ihre Seele entblösst, und es war ihr seltsamerweise unmöglich, ihre Gefühle zu verbergen.“ (Ambrogio Ceroni: Amedeo Modigliani, 1958).

1917 malte Modigliani zudem Hanka Zborowska, die Frau seines Galeristen, sowie zweimal die französische Künstlerin Elena Povolozky. Am Jahresende hatte der Künstler in der Galerie Berthe Weill seine erste und einzige Einzelausstellung zu Lebzeiten. Neben Portraits wurde viele Aktdarstellungen gezeigt, die zu einem Menschenauflauf und einem Skandal führten, woraufhin ein Polizeikommissär empört die Entfernung der Akte verlangte, woraufhin sie abgehängt wurden. Der Skandal war allerdings nicht verkaufsfördernd, denn Berthe Weill hielt fest, sie habe nur zwei Zeichnungen zu 30 Francs das Stück verkauft.

Um den deutschen Bomben zu entgehen zog Modigliani 1918 mit der schwangeren Jeanne Hébuterne und deren Mutter nach Nizza und Cagnes, wo er über ein Jahr blieb und viele Freunde traf und malte. 1918 begann einer der bedeutendsten Sammler von Modigliani seine Werke zu kaufen, der Geschäftsmann Roger Dutilleul (1874-1957), der zwischen 1918 und 1925 so viele seiner Arbeiten kaufte, dass ihm schliesslich rund ein Zehntel des Gesamtoeuvres von Modigliani gehörte.

Am 29. November jenen Jahres brachte Jeanne Hébuterne Modiglianis Tochter Jeanne zur Welt. Im Dezember stellte Paul Guillaume Modigliani zusammen mit Picasso, de Chirico, Derain und anderen in einer bedeutenden Ausstellung moderner Malerei in seiner Galerie im Faubourg Saint-Honoré aus.

1919 erschien im Burlington Magazine ein begeisterter Artikel von Roger Fry über Modiglianis Werk. Im Mai kehrte der Künstler nach Paris zurück, wo er in der Rue de la Grande-Chaumière wohnte und arbeitete. Jeanne kam später nach. Im August sandte Zborowski neun Gemälde und fünfzig Zeichnungen von Modigliani zu einer Ausstellung in die Heals Mansard Gallery in London.

Der gesundheitliche Zustand Modiglianis verschlechterte sich immer mehr, dennoch malte er weitere Portraits, so von Lunia Czechowska, Jeanne Hébuterne und Paulette Jourdain. Zufällige Begegnungen wie die mit den schwedischen Kunststudentinnen Thora Klinckowström und Annie Bjarne inspirieren ihn zur Arbeit. Sein Selbstportrait (Katalog Nr. 52) ist wohl sein letztes Werk.

Im Herbst werden einige seiner Werke in einer Ausstellung moderner Zeichnungen in Cambridge gezeigt. 1920 verschlechterte sich sein Gesundheitszustand drastisch. Er starb am 24. Januar 1920 an tuberkulöser Meningitis. Jeanne folgte ihm zwei Tage später freiwillig nach.

Modigliani und seine Modelle. Ausstellung in der Royal Academy of Arts in London bis am 15. Oktober 2005. Katalog Modigliani und seine Modelle, Hatje Cantz, 2006, 158 S., bestellen bei Amazon.de. English edition Modigliani and his Models, Royal Academy of the Arts: Amazon.de, Amazon.co.uk.

Die Filmindustrie kam natürlich an Modigliani nicht vorbei. So ist Andy Garcia im in Rumänien gedrehten Modigliani als Künstler zu sehen. DVD bestellen bei Amazon.com.

Katalog der Ausstellung Modigliani und seine Modelle

Im ersten Katalogartikel setzt sich Kenneth E. Silver mit der Modigliani-Legende unter der Überschrift <Zu viele letzte Worte!> auseinander. Diesen durchaus interessanten Beitrag hätte man weiter hinten platzieren sollen, denn zuerst möchte der Leser das wahre Leben von Modigliani kennen lernen.

Dass Modigliani mehr als nur Legenden zu bieten hat, zeigen die rund 60 Werke der Ausstellung in der Royal Academy of Art in London. Bei aller Abstraktion und Vereinfachung, trotz der Verwendung stereotyper Formen gelang es Modigliani erstaunlicherweise dennoch, den Charakter der verschiedenen Modelle zum Ausdruck zu bringen, manchmal allein schon durch eine Körperhaltung. Gleichzeitig stellte er dasselbe (weibliche) Modell je nach Stimmung oder gemeinsam verlebtem Lebensabschnitt ganz unterschiedlich dar, einmal selbstsicher, einmal zerbrechlich. Die vielgerühmten Akte hingegen lassen den Schreibenden kalt. Obwohl Modigliani viele Affären hatte, ein homme à femmes war, besitzen diese Werke keine erotische Wirkung, ja überhaupt wenig Ausstrahlung. Bei Bewunderern Modiglianis dagegen dürfte die Wand voller Aktstudien Begeisterung auslösen. Allerdings muss festgehalten werden, dass Modigliani bei aller Abstraktion und Vereinfachung nicht in die Falle der Karikatur trat.

Das eindrücklichste Werk der Ausstellung in der Royal Academy of Arts in London ist allerdings die Katalognummer 45: Büste einer Frau mit Halskette um 1917/18, Öl auf Leinwand, 61,6 x 38,7 cm, das aus einer amerikanischen Privatsammlung stammt (Courtesy Tyler Nahem Fine Arts, L.L.C.). Obwohl die Dame den langen Modigliani-Hals hat und die Farbpalette typisch für den Künstler ist, wirkt das Gesicht dennoch untypisch, realistisch und nicht stilisiert. Da Modigliani kurz darauf mit 36 Jahren verstarb, wissen wir nicht, ob er sich weiter in diese Richtung entwickelt hätte.

Der Schwachpunkt der Ausstellung sind die fehlenden Skulpturen (nur eine Skulptur und zwei Karyatiden). Eine Gegenüberstellung mit Werken von Brancusi, Cézanne, Picasso, den Fauvisten oder afrikanischer Kunst offeriert die Ausstellung – im Gegensatz zum empfehlenswerten Katalog – leider auch nicht. Hinweisen auf Giorgione und Tizian kann des Besucher ebenfalls nicht nachgehen.

Einige englische Kritiker – so Laura Cumming in The Observer – verweisen auf die gewalttätige Seite von Modigliani, der sich oft betrank. Cummings betont, dass der Künstler Beatrice Hastings an der Haaren hinter sich herschleifte und dass Jeanne Hébuterne „offensichtlich seine hingebungsvolle Sklavin“ gewesen sei. Mary Riddell, ebenfalls im Observer, hält ebenfalls fest, dass Modigliani sein Geliebte an den Haaren zog und erwähnt mit Abscheu, wie er Jeanne Hébuterne durch ein geschlossene Fenster stiess. Bei allem berechtigten feministischen Furor, dass Modigliani seine Frauen schlecht behandelte, macht ihn weder zu einem besseren noch einem schlechteren Künstler. Ausstellung und Katalog bieten die Chance, sich ein eigenes, unmittelbares Bild von Modigliani zu machen.