Paul Klee — Ad Parnassum

Jan 22, 2022 at 18:48 905

Der Kunsthistoriker Oskar Bätschmann schreibt im mit 33 Farbabbildungen reich illustrierten Buch Paul Klee —  Ad Parnassum (Amazon.de), dass Paul Klee (1879-1940) in den 1920er-Jahren am Bauhaus begann, sich intensiv mit der polyphonen Malerei – der mehrstimmigen Malerei in Analogie zur Musik – auseinanderzusetzen. Er führte diese Studien während seiner Zeit an der Kunstakademie Düsseldorf weiter sowie ab 1933 in Bern, nach seiner Rückkehr in die Schweiz. Oskar Bätschmann erkundet in diesem Band Klees Haupt- und Schlüsselwerk Ad Parnassum (1932). Das Gemälde entstand kurz nach seinem Weggang vom Bauhaus und steht sinnbildlich für eine neue Ära sowie die Selbstfindung des Künstlers. Bätschmann dokumentiert das Streben des Künstlers nach einer Verbindung von Musik und Malerei in den Klängen der Farben und in der rhythmischen Bewegung farbiger Punkte, untersucht Klees polyphones Kunstverständnis in einen kunsthistorischen Kontext und gibt Aufschluss über das synästhetische Denken, das in jenen Jahren aufkam.

Paul Klee genoss eine klassische Schulausbildung und kannte daher die Bedeutung des Parnass, der in der Antike als Sitz des Gottes Apollon und der Musen verehrt wurde. Den Sterblichen erschien der Parnass als unerreichbar. Man sich sich immer nur über verschiedene Stufen annähern. Oskar Bärtschmann verfolgt in seiner Studie zwei Fährten, erläutert die Herausgeberin Angelika Affentranger-Kirchrath in ihrem Vorwort: Zum einen jene des historisch und geographisch beglaubigten Berg Parnass in Griechenland, der sich in Klees Vorstellungswelt mit Eindrücken von Bergen wie dem Niesen im Berner-Oberland und dem Ätna in Sizilien überlagert. Ägyptens Pyramiden lieferten dem Künstler weitere Impulse. In seinem Bild zeigt Paul Klee nicht mehr den benenn- und lokalisierbaren Berg, sondern die geometrische Form eines bedeutungsoffenen, leicht schiefen Dreiecks.

Die andere Fährte, die Oskar Bärtschmann in seiner Abhandlung verfolgt, ist die Beziehung von Malerei und Musik. Sowohl für Paul Klee wie auch für seinen Kollegen Wassily Kandinsky, die am Bauhaus Seite an Seite wohnten, war die Musik die «reine Kunst», weil die immateriellste und geistigste von allen. Derart deklarierte sie Kandinsky schon 1911 zum Vorbild der Malerei. Klee machte seit den 1920er Jahren mit seinen Bauhaus-Schülern unterschiedliche Versuche zur «mehrstimmigen» Malerei, die einen «Klang» empfinden lassen soll. Er setzte Grundfarben auf einen Malgrund und legte zu Klängen gebündelte Linien darüber. Auf Leinwänden ordnete er unzählige, mit den Grundfarben kontrastierende Punkte zu rhythmischen Bewegungen. Die sonor farbigen Flächen und die bewegten Punktfelder versetzen das Bild in Schwingung, sodass es tatsächlich wie Musik für das Auge anmutet. Seine Bestrebungen hin zu dieser von der Materie befreiten Schöpfung führten über weitere Bildlösungen, so in den Werken Abend in Ägypten (1929) und Blick in das Fruchtland (1932).

Im grossformatigen Werk Ad Parnassum – mit 100 x 126 cm eine seiner grössten Arbeiten – schliesslich finden alle diese Versuche einer polyphonen Malerei zusammen. Ad Parnassum, das polyphone Dreieck, war inspiriert von Kandinskys mystischem Dreieck, das wiederum von der Theosophie beeinflusst war.

Paul Klee entwarf für Ad Parnassum einen schwarzen Rahmen, der mit ihm eine Einheit bildet. Max Huggler zeigte das Werk 1935 in der grossen Klee-Ausstellung in der Kunsthalle Bern, wo es die Freunde des Kunstmuseums Bern für ihr Haus ankauften, so Angelika Affentranger-Kirchrath.

Dies sind nur einige wenige Angaben aus einer tief lotenden Studie zu einem Haupt- und Schlüsselwerk von Paul Klee.

Oskar Bätschmann: Paul Klee. Ad Parnassum. Reihe: Schlüsselwerke der Schweizer Kunst. Verlag Scheidegger & Spiess, 96 Seiten mit 33 farbigen Abbbildungen. Texte Deutsch und Englisch. Das Buch bestellen bei Amazon.de.

Diese Arbeit geht von einem Beitrag zum Jubiläumskatalog des Vereins der Freunde Kunstmuseum Bern aus: Freundeswerke. 100 Jahre Verein der Freunde Kunstmuseum Bern 1920–2020, hrsg. von Marie Therese Bätschmann, Bern: Till Schaap Edition, 2019.

Zum Autor: Oskar Bätschmann lehrte bis 2009 als Professor für Kunstgeschichte der Neuzeit und der Moderne an der Universität Bern. Er war Mitglied der Paul-Klee-Stiftung und Mitinitiator des von 1998 bis 2004 erschienenen Catologue raisonné des Künstlers. Zusammen mit Josef Helfenstein veranstaltete er 1998 das internationale Klee-Symposium in Bern (publiziert 2000). 2006 erschien seine Studie über Paul Klee und Walter Benjamin, ‚Angelus Novus‘ und ‚Engel der Geschichte‘. Paul Klee und Walter Benjamin.

Zitate und Teilzitate in dieser Buchkritik / Rezension von Paul Klee: Ad Parnassum sind der besseren Lesbarkeit wegen nicht zwischen Anführungs- und Schlussszeichen gesetzt.

Buchkritik / Rezension vom 22. Januar 2022 um 18:48 Schweizer Zeit.