Gerade wurde bekannt, dass zumindest das Umfeld von Maximilian Krah – Mitglied im AfD-Bundesvorstand, seit 2019 für die AfD gewählter Europaparlamentarier und Spitzenkandidat der AfD für die Europawahl 2024 – Geld von China erhielt. Der AfD-Spitzenmann hat schon behauptet, Tibet und Taiwan gehörten völkerrechtlich zu China, Internierungslager für Uiguren und andere Minderheiten in der Provinz Xinjiang seien „Gruselgeschichten“ und „Anti-China-Propaganda“. 2019 gratulierte er der Kommunistischen Partei zu 70 Jahre Volksrepublik China, obwohl das kein Grund zum Feiern ist. Laut T-Online hielt Maximilian Krah zudem 2018 in China einen Vortrag, der unter der Schirmherrschaft der „Silk Road Think Tank Association“ (SRTA) stattfand, die im Auftrag des „International Department of the Central Comittee of the Communist Party of China“ (IDCPC) Kontakte ins Ausland knüpfen soll. Maximilian Krah nannte damals die Neue Seidenstrasse „eines der grössten Entwicklungsprojekte unserer Zeit“.
Dies ist ein guter Moment, sich mit dem Buch des Journalisten Philipp Mattheis Die dreckige Seidenstrasse. Wie Chinas Wirtschaftspolitik weltweit Staaten und Demokratien untergräbt (Amazon.de) auseinanderzusetzen.
Philipp Mattheis beschreibt, wie Mitte 2013 der chinesische Staatspräsident Xi Jingping das „Projekt des Jahrhunderts“, die neue Seidenstrasse, vorstellte und danach die Welt mit Krediten, Investitionen und Entwicklungsprojekten überschüttete und so neue Absatzmärkte erschloss und Abhängigkeiten schuf. In Europa wurde unter anderem in Griechenland, Ungarn und im deutschen Duisburg investiert. Sri Lanka, Kenia, Zentralasien, Laos, Myanmar, Iran und der Türkei widmet der Autor weitere Kapitel. Hinzu kommen solche zu den Uiguren in Xianjing, zu China als Fabrik der Welt, zur digitalen Seidenstrasse, zu Schuldenkrisen in Empfängern von Geld aus China, zu Chinas eigenen Problemen, zum Sonderfall Deutschland und zu vielem mehr.
Philipp Mattheis unterstreicht, dass auf den Autobahnen und Zugstrecken nicht nur chinesische Waren transportiert werden, sondern zudem Ideologie und Dominanz. Mit Krediten, Netzwerken und Produkten schaffe die kommunistische Partei Chinas neue Abhängigkeiten. Telekommunikations-Netzwerke, erbaut von chinesischen Staatsunternehmen wie Huawei, spähten für die KP. Die Chinesen machten mit Geld die oft korrupten Entscheider gefügig. Absatzmärkte würden abhängig von chinesischen Billigprodukten.
In Die dreckige Seidenstrasse (Amazon.de) unterstreicht Philipp Mattheis, dass Diktatoren chinesische Überwachungstechnik sowie das schnelle Geld liebten, denn Menschenrechte und Umweltschutz spielten dabei für die chinesischen Exporteure und Geldgeber keine Rolle. Nach und nach dehne Peking so seinen Einfluss über die eigenen Landesgrenzen aus, unterstützt autoritäre Regimes und untergrabe so Demokratien.
Bei all der Kritik sieht Philipp Mattheis die Neue Seidenstrasse allerdings als kein maliziöses, boshaftes Projekt, sondern vielmehr als Symptom für veränderte Machtverhältnisse und den Wiederaufstieg Asiens. Oft seien weniger die chinesischen Kredite das Problem als vielmehr der Mangel an Alternativen.
Zu Griechenland schreibt Philipp Mattheis unter anderem, dass die Diplomaten nicht schlecht staunten, als sie im Juni 2017 wie jedes Jahr beim Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen in Genf Klage über die Lage in China erheben wollten. Es kam zu keiner gemeinsamen Erklärung, weil das kleine Griechenland dies blockierte. »Unproduktive und oftmals selektive Kritik gegenüber bestimmten Ländern erleichtert die Förderung der Menschenrechtslage in diesen Staaten nicht«, lautete damals die Begründung eines griechischen Diplomaten.
Philipp Mattheis zitiert Fotis Provatas, den Vorsitzenden der griechisch-chinesischen Handelskammer, der im Frühjahr 2018 sagte: »Wir brauchen Investitionen«. Provatas hob hervor, dass Griechenland keine Industrie besitze und hochverschuldet sei. »Und von den Chinesen bekommen wir sie [die Investitionen].« Provatas meinte, Griechenland müsse im Krieg um 5-G-Technologie, künstliche Intelligenz, um Marktzugänge und um die Vormachtstellung im 21. Jahrhundert da irgendwie überleben und für sich das Beste herausschlagen. Provatas zeigte vom Fenster seines Büros auf Kreuzfahrtschiffe, die nun am Hafen anlegen konnten, oft mit Gästen aus China. Zudem fliegt seit 2017 Air China direkt von Peking nach Athen. Chinesische Touristikunternehmen brächten zahlungskräftige Kunden, denen die griechischen Inseln als Inbegriff von Romantik überhaupt gälten. Chinesische Immobilienunternehmen wie Wanda bauten dafür die entsprechenden Hotels und Shoppingmalls.
Die grossen und wegen ihrer Staatsnähe berüchtigten Konzerne Huawei und ZTE sind mit Forschungslaboren und Kooperationen mit chinesischen Universitäten in Griechenland vertreten. Handelskammerchef Provatas betonte immer wieder, auch die Amerikaner würden ihre Netzwerkdienstleister zur Spionage einsetzen. Warum sollte man das den Chinesen verwehren, schwingte da ungesagt mit.
Philipp Mattheis verweist auf eine Umfrage des griechischen Kappa-Instituts von 2017, laut dem 40% der Griechen damals den Ausbau der Beziehungen zu China befürworteten – nur die Russen punkteten höher.
2016 bezeichneten 82% der Griechen die Beziehungen zur EU als freundlich. Doch von der EU und den Vereinigten Staaten fühlten sich die Griechen dennoch in der Krise eher im Stich gelassen. Fotis Provatas sagte dazu: »Das Problem ist: Von dort bekommen wir keine Investitionen«.
Das Engagement Chinas beim Athener Hafen gilt als Erfolgsgeschichte. Im Mai 2022 vermeldete der Hafen sogar den bis dahin grössten Profit seiner Geschichte. Selbst die Gewerkschaftler, scharfe Gegner jeglicher Privatisierungsprogramme, sagten laut Philipp Mattheis, das sie mit dem neuen chinesischen Management eigentlich gut auskämen. Nick Georgiou, der damalige Präsident der Hafenarbeiter-Gewerkschaft in Piräus, beklagte zwar, dass die neuen chinesischen Betreiber lieber auf Zeitarbeitsfirmen zurückgriffen, musste aber zugeben, dass seit der Übernahme niemand entlassen wurde. Tatsächlich wurden sogar mehr Leute eingestellt.
Griechenland ist ein wichtiger Brückenkopf in der von Peking entworfenen Neuen Seidenstrasse. Dabei sind die dort seit 2005 getätigen Investitionen mit knapp zehn Milliarden Euro relativ klein. Nach Deutschland floss laut Philipp Mattheis im selben Zeitraum das Vierfache.
Der Autor von Die dreckige Seidenstrasse (Amazon.de) schreibt, für China sei der Süden und Osten Europas so etwas wie die offene Flanke der EU. Während man im Westen des Kontinents eher skeptisch gegenüber Chinas neuen Ambitionen sei, bezeichnete der tschechische Präsident Milosz Zeman sein Land schon als »Chinas unversenkbaren Flugzeugträger«, der damalige griechische Premierminister Alexis Tsipras bot 2016 sein Land als »Tor nach Europa« an, und der serbische Bauminister sagte 2017, es sei »nicht vermessen oder falsch zu sagen, Serbien ist Chinas Hauptpartner in Europa.«
Doch blicke man genauer zum Beispiel auf eine in Montenegro von China für $1 Milliarde gebaute Autobahn, sei die Bilanz plötzlich nicht mehr so berauschend wie beim Hafen von Piräus. Die letzten 122 Kilometer bis nach Belgrad in Serbien wurden nicht fertiggestellt. »Wir haben einen Witz«, sagte der ehemalige Justizminister von Montenegro Dragan Soc im Jahr 2021. »Das ist eine Straße von Nirgendwo nach Nirgendwo.« In Deutschland sei ein Kredit von einer Milliarde Dollar nicht so viel, doch für Montenegro machte dies ein Drittel der Wirtschaftsleistung aus. Dadurch wurde die Staatsverschuldung schlagartig auf 100% des BIP katapultiert. Erschwerend hinzu kam, dass sich Montenegro bei dem Kredit nicht gegen Währungsschwankungen absicherte. Warum die Straße nicht weitergebaut wird, sei nicht ganz klar. Angesichts der immens hohen Kosten von über 22 Millionen Dollar pro Kilometer fragten sich viele, ob nicht Korruption im Spiel gewesen sei. NGOs hatten von Anfang an das Projekt wegen mangelnder Transparenz und Umweltschäden kritisiert, so Philipp Mattheis. Dieses Muster, eine Mischung aus Fehlplanung, Korruption und plötzlichem Stillstand wird uns auf der Neuen Seidenstraße noch öfter begegnen, so der Autor.
Zu Deutschland und China hier nur einige wenige Angaben aus diesem detailreichen Buch. Philipp Mattheis betont richtigerweise, dass nur wenige Staaten in den vergangenen Jahren so stark vom Aufstieg Chinas profitiert haben wie Deutschland, und in nur wenigen Staaten ist das Bild Chinas – zumindest in den Spitzen von Politik und Wirtschaft – so positiv.
Die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel besuchte Chinazwölfmal. In ihrer Amtszeit wurde China zum wichtigsten Handelspartner Deutschlands und Deutschland zum wichtigsten Partner China in Europa. Nirgendwo verkaufen deutsche Automobilhersteller und Maschinenbauer mehr als in der Volksrepublik. Jahrelang kannte der Fluss der Investitionen zwischen Deutschland und China nur eine Richtung. Deutsche Unternehmen investierten in chinesische Fabriken und später auch in Forschungsabteilungen. Der Preis für den Marktzugang war oft ein Transfer von Technologie. Mittlerweile aber ist das Verhältnis recht ausgeglichen. Längst investiert auch Peking viel in Deutschland, wo dies mittlerweile allerdings sehr kritisch gesehen werde. Schnell werde vor einem Ausverkauf deutscher Infrastruktur gewarnt. Die Debatte um die geplante Cosco-Beteiligung in Hamburg stehe beispielhaft dafür. Laut Philipp Mattheis passe dabei das Bild von der chinesischen Unterwanderung mit grosszügigen Krediten in Deutschland am allerwenigsten. Auch von einer Schuldenabhängigkeit zu sprechen, sei fernab jeder Realität.
Der Autor zitiert den langährigen Generalbevollmächtigten des Duisburger Hafen und heutigen China-Beauftragten der Stadt, Markus Teuber. Ihn ärgerten solche Diskussionen: »Die Beteiligung an Terminals durch Reedereien ist weltweit gang und gäbe. Und Tollerort ist eines der kleinsten Terminals des Hamburger Hafens. Hier von einer chinesischen Übernahme des Hafens zu spreche, ist hanebüchen. Das war ein völlig normales Geschäft. Zudem ging es nie um den Hafen an sich. Das wurde völlig falsch kolportiert.« Ich würde hier zustimmen, doch hinzufügen, dass Deutschland, die EU, ja der Westen in China auf Reziprozität drängen müssen: China bzw. chinesische Firmen können sich in Hamburg und anderswo einkaufen, wenn Deutschland und andere dies im Hafen von Schanghai und anderswo ebenfalls können.
Während der Corona-Pandemie wurde die Zugstrecke von China nach Duisburg auf einmal sehr attraktiv, denn die rigorose Zero-Covid-Politik Pekings führte dazu, dass die größten Containerhäfen der Welt bei Shanghai, Tianjin und Guangzhou teilweise stillstanden. Doch die Bahn werde eine Nische bleiben, da per Schiene im Jahr rund 80.000 Standardcontainer (TEU) transportiert werden, während ein einzelnes Containerschiff schon mal 24.000 TEU schafft. Markus Teuber merkte hier gegenüber Philipp Mattheis an, im Falle von Duisburg sei es völlig abwegig zu denken, China könne irgendwie Druck ausüben. Die Zugstrecke sei für die Stadt vor allem positiv: »Mittlerweile haben sich über 100 Unternehmen hier angesiedelt, meist kleinere und mittelständische. … Hier gibt es keine Schuldenabhängigkeit und es geht auch nicht um kritische Infrastruktur.«
Der Autor sieht für Deutschland und die EU die Herausforderungen in anderen Bereichen. Da ist zum einen eine starke Asymmetrie in den Handelsbeziehungen, die die Europäische Handelskammer in Peking seit Jahren erfolglos beklagt. Diese Schieflage betrifft vor allem Marktzugänge, Ausschreibungen und Subventionen.
Eine weitere Herausforderung in den Beziehungen zu China sieht Philipp Mattheis bei der ethischen Dimension, die sich schnell zu einer geopolitischen entwickeln könne. Russlands Invasion der Ukraine hat gezeigt, dass das vor allem von Deutschland propagierte Konzept »Wandel durch Handel« nicht funktioniert. Einer aussenpolitischen Aggression Pekings (Taiwan) würden sicher ähnliche Wirtschaftssanktionen wie 2022 gegen Russland folgen. Schon heute wirke die europäische Politik inkonsequent, wenn sie Geschäftsbeziehungen mit dem autoritären Russland abbreche, sie aber gleichzeitig mit dem autoritären China intensiviere.
Zum Schluss zitiert Philipp Mattheis Jacob Gunter von der Denkfabrik MERICS: »Die einzelnen Investitionen in Hamburg, Rotterdam oder Antwerpen sind unproblematisch, aber wenn man alle einzelnen Investitionen Chinas in europäische Häfen zusammenzählt, kommen Bedenken auf.« Jacob Gunter plädiert für das Ziehen einer klaren Grenze zwischen kritischer und nicht-kritischer Infrastruktur. Dabei sollten nicht nur Häfen, sondern auch der Seeverkehr selbst als kritische Infrastruktur angesehen werden. Die Pandemie habe gezeigt, dass kleine Störungen in den Lieferketten grosse Auswirkungen global haben können. Noch viel drastischer aber sei in dieser Hinsicht wohl Russlands Invasion der Ukraine und die darauffolgenden Wirtschaftssanktionen der westlichen Welt gewesen. Europa müsse eine gemeinsame Antwort darauf finden, wie viel Einfluss und Abhängigkeit von einem autoritären Staat wir akzeptieren wollten.
Dies und noch viel mehr zu entdecken gibt es in Philipp Mattheis: Die dreckige Seidenstrasse. Wie Chinas Wirtschaftspolitik weltweit Staaten und Demokratien untergräbt. Goldmann, 2023, 284 Seiten. Das Buch bestellen bei Amazon.de.
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Rezension / Buchkritik vom 2. Oktober 2023 um 21:05 deutscher Zeit.