Premierminister Jean Castex

Jul 04, 2020 at 13:16 2195

Am 3. Juli 2020 hat Präsident Macron den relativ populären Premierminister Edouard Philippe durch den wenig bekannten Jean Castex (*1965) ersetzt. Der Premier gewann in letzter Zeit an Statur, während dem der Präsident mehr an einem Transmissionsriemen für seine Politik interessiert ist. In einer am 1. Juli veröffentlichten Umfrage wünschten sich 57%, dass Premierminister Philipp weiter macht; eine Umfrage kurz zuvor sagte gar 67%.

Jean Castex wurde einem grösseren französischen Publikum erst bekannt durch seine Einsetzung als Koordinator der Öffnung Frankreichs (déconfinement) nach dem strikten, eines liberalen Präsidenten unwürdigen Lockdowns.

Jean Castex ist ein „Enarque“ (1989-91) und war danach beim Rechnungshof sowie an der Spitze der Direktion der Spitäler tätig. Politisch Interessierten war er bereits als Spezialist für Fragen der Gesundheit und für Soziales unter Gesundheits- und dann Arbeitsminister Xavier Bertrand 2006-08 sowie 2010-12 als Berater für Soziales bzw. stellvertretender Generalsekretär von Präsident Sarkozy bekannt. Jean Castex ist seit 2008 Bürgermeister der 6000-Seelen Gemeinde Prades in den Pyrénées-Orientales sowie seit 2010 Conseiller régional des Longuedoc-Roussillon. Auf seiner vielen Mandate gehörte Jean Castex mit einem Jahreseinkommen von rund 200,000 Euro zu den bestverdienenden Funktionären Frankreichs.

Jean Castex ist zwar ein Absolvent der Elite-Schule ENA (1989-91), doch spricht er mit einem südfranzösischen Akzent und ist lokal in der Provinz verankert, weshalb er als „Waffe“ in der Frage Paris gegen Provinz bzw. Dezentralisation sowie im Kampf gegen ein Wiederaufflammen der Gelbwesten-Proteste eingesetzt werden kann und soll. Um die Gelbwesten zu beruhigen, war Macron bereit, die Geldbörse zu öffnen, während dem Philippe eher auf finanzpolitische Disziplin setzte und am Kampf gegen die ausufernde Staatsverschuldung festhalten wollte.

Jean Castex ist ein Vertrauter des ehemaligen konservativen Präsidenten Nicolas Sarkozy, während dem Ex-Premierminister Edouard Philippe dem früheren, eher liberalen Premierminister und gescheiterten Präsidenschaftskandidaten Alain Juppé nahe steht. Sarkozy soll sich stark für einen Wechsel an der Regierungsspitze eingesetzt haben; natürlich für seinen Mann Castex. Sarkozy soll sogar so weit gegangen sein, Macron zu drängen, auf einem Premier zu verzichten, was natürlich rechtlich nicht geht, doch über einen „Transmissionsriemen“ als Premierminister gelöst werden kann.

Präsident Macron setzt weiterhin auf Mitglieder der ehemaligen UMP bzw. Les Républicains (LR), denn bürgerliche Wähler sind längst die Hauptstütze des Staatschefs. Edouard Philippe war nie der Bewegung La République en marche von Präsident Macron beigetreten und nie offiziell aus LR ausgetreten, hat einfach seine LR-Mitgliedschaft nie erneuert. Jean Castex war bis zum Tag seiner Ernennung zum Premierminister Mitglied von LR, davor war er wie Philippe Mitglied der bürgerlichen Vorgängerpartei UMP.

Präsident Macron weiss längst, dass er die wirklich linken Wähler selbst mit einer linken Politik nicht mehr zurückholen kann. Einzig die reformorientierten wie Gefolgsleute von Valls und DSK sind ihm noch gewogen. Von „weder links noch rechts“ ist nicht mehr viel zu hören und sehen. Macrons Politik ist weitgehend bürgerlich. Allerdings hat er es verpasst, bei den Gemeindewahlen seine LREM in den Städten zu verankern. Selbst Paris und Lyon, wo LREM eigentlich ursprünglich in der Favoritenrolle war, gingen krachend verloren. In den kleinen und mittelgrossen Städten war für LREM fast nichts zu holen. Die Ironie ist, dass der nun geschasste Premierminister Edouard Philippe sein Bürgermeisteramt in der Hafenstadt Le Havre verteidigen konnte und damit für den einzigen, halbwegs bedeutenden Lichtblick sorgte. Die Bürgerlichen von LR blieben die bedeutendste Kraft auf Gemeinde- und Stadtebene, wobei sie allerdings in den grossen Städten chancenlos blieben, wo ein Grün-Linke-Welle überschwappte. Die Präsidentenpartei LREM bleibt einzig auf nationaler Ebene eine bedeutende Kraft.

Ex-Premierminister Edouard Philippe wäre eigentlich gern in seinem Amt geblieben, allerdings nicht um jeden Preis, das heisst nicht um fundamentale Kursänderungen, die seinen (bürgerlichen) Grundsätzen widersprechen, wie er im Vorfeld der Entscheidung um eine neue Regierung hatte verlauten lassen. Präsident Macron hingegen hatte versprochen, die Ökologie und den Kampf gegen den Klimwandel in den Vordergrund zu stellen, um so den Grünen (EELV) Wind aus den Segeln zu nehmen.

Wie das nun mit Jean Castex geschehen soll, erschliesst sich nicht. Der Mann gilt als Organisationstalent und wird von den Gewerkschaften respektiert, nicht zuletzt, weil er zuhören kann, doch als Verfechter ökologischer Themen ist er noch nicht gross aufgefallen. Bezüglich der Dezentralisierung, der Aufwertung der Regionen und der Bürgermeister hingegen ist Jean Castex ein gute Wahl. Präsident Macron hat nicht zuletzt im Blick, dass der mögliche LR-Präsidentschaftskandidat François Baroin (*1965) nicht nur der Präsident der Vereinigung der Bürgermeister Frankreichs ist, sondern von ihm zudem bald ein Buch zur Dezentralisierung erscheinen soll. Senatspräsident Gérard Larcher (LR) und ebenfalls möglicher Rivale Macrons 2022 spricht ebenfalls oft von der Dezentralisierung. Dieses Feld will Macron nicht unbearbeitet lassen.

P.S. Vor der Entscheidung für einen neuen Premier lag Edouard Philippe im Mittel der Juni-Umfragen bei 49,3%, während dem Emmamuel Macron lediglich auf 39,3% Zustimmung kam.

Photo von Jean Castex von Wikipedia User erio tac France. Jean Catex, maire de Prades, lors du Festival Pablo Casals à Prades, le 26 juillet 2011. This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.

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Artikel vom 4. Juli 2020. Hinzugefügt um 13:16 Pariser Zeit. Das P.S. hinzugefügt um 13:44.