Premierministerin Elisabeth Borne

Mai 17, 2022 at 16:26 1199

[Die Familiengeschichte von Elisabeth Borne war und ist noch nicht ganz klar, weil die Politikerin selbst dazu sehr diskret war. Insbesondere Nachrichtenagenturen, französische und israelische Journalisten liefern fortlaufend neue Informationen]

Die bisherige Arbeitsministerin (ministre du Travail, de l’Emploi et de l’insertion), Elisabeth Borne (*1961 in Paris) wird französische Premierministerin. Die erste Dame in diesem Amt war übrigens Edith Cresson (*1934 in Boulogne-Billancourt). Obwohl sie zuvor bereits vier Ministerien geleitet hatte, konnte sie sich nur vom 15. Mai 1991 bis am 2. April 1992 als selbst in den eigenen Reihen extrem unpopuläre Premierministerin im Amt halten. Die Sozialistin (PS) wurde damals wegen einer „geheimen“ Affäre mit Präsident Mittterrand, welche die Spatzen von den Dächern pfiffen, als „La Pompadour“ verspottet. In Erinnerung blieb sie vor allem, weil sie 1989 gegenüber der The Times und 1991 gegenüber ABC News die Japaner als „Ameisen“ verspottet hatte, die unter für Europäer inakzeptablen Bedingungen arbeiten würden.

Zurück zu Elisabeth Borne: Sie ist bisher weder mit Affären noch abschätzigen Bemerkungen aufgefallen. Doch wie Elisabeth Cresson hat sie bereits mehrfach Ministerien geleitet. Und zwar erfolgreicher.

Elisabeth Borne gilt als starke Frau und fleissige Arbeiterin mit grosser Autorität. Ihr jüdischer Grossvater väterlicherseits Zélig Bornstein war jüdisch und stammte aus Osteuropa. Er emigrierte 1920 nach Belgien. Nach dem Tod seiner Frau 1939 floh er mit seinen vier Söhnen nach Frankreich. Sie wurden alle 1942 bzw. 1943 festgenommen und deportiert. Einzig Joseph und einer seiner Brüder überlebten und kehrten 1945 zu. Joseph nahm 1950 unter seinem Namen auf seinen falschen Papieren aus dem Krieg (nom de guerre), Joseph Borne, die französische Staatsbürgerschaft an. Laut der Zeitung Midi libre nahm sich der Ausschwitzüberlebende 1972, als Elisabeth erst 11 Jahre alt war, das Leben, weshalb die Halbweise dank einem Stipendium später studieren konnte.

Ihre Eltern betrieben nach dem Zweiten Weltkrieg ein pharmazeutisches Labor. Ihre Mutter war eine Apothekerin aus dem Calvados. In jener Region wird Elisabeth Borne übrigens bei der Parlementswahl 2022 antreten. Sollte sie im Calvados jedoch nicht gewählt werden, wäre ihre Karriere als Premierministerin abrupt vorbei.

Elisabeth Borne studierte am Polytechnikum in Paris. Die gelernte Ingenieurin machte zudem einen MBA am Collège des ingénieurs. Ihre Karriere begann 1987 sie als Beraterin des Umweltministers Pierre Méhaignerie, danach war sie unter anderem für Lionel Jospin und Jack Lang im Bildungsministerium als Beraterin tätig. Wie ihr direkter Vorgänger im Hôtel Matignon, Jean Castex, ist Elisabeth Borne von Hause aus eine Funktionärin, keine Politikerin, was erklärt, warum sie nicht gross auf Selbstdarstellung aus ist.

1997 wurde sie technische Beraterin von Premierminister Jospin. 2002 folgte das Amt als strategische Direktorin der Staatsbahnen SNCF. 2007 wechselte sie als Direktorin zum privaten Bauunternehmen Eiffage. Von 2008 bis 2013 war sie Generaldirektorin für Stadtplanung in Paris unter Bürgermeister Betrand Delanoë.

Die gelernte Ingenieurin war danach von 2013 bis 2014 Präfektin der Region Poitou-Charentes und Präfektion der Region Vienne, ehe sie von 2014 bis 2015 Kabinettschefin der sozialistischen Umweltministerin Ségolène Royal wurde. Dort traf sie auf Alexis Kohler, den heutigen Generalsekretär von Präsident Macron, an dem niemand vorbei kommt, und der eine Art „Schatten-Premier“ ist.

2015 war Alexis Kohler Kabinettsdirektor von Wirtschaftsminister Macron. Borne und Kohler leiteten zusammen eine parlamentarische Arbeitsgruppe zum Thema Autobahn, wonach die Konzessionen für die Betreiber von Autobahnen neu geregelt wurden. Diese Begegnung war wohl hilfreich bei der gestrigen Ernennung zur Premierministerin.

Von Journalisten konnte man hören und lesen, dass eigentlich die ebenfalls 1961 geborene Catherine Vautrin zuerst für den Posten vorgesehen war. Doch sie stand einst Jacques Chirac nahe, setzte sich bei den vorletzten Primärwahlen der Rechten für Nicolas Sarkozy ein und war 2013 eine Gegnerin der Homo-Ehe (Marriage pour tous). Das stiess vielen in der Macronie auf, die nach den Premierministern Edouard Philippe und Jean Castex nicht wieder jemanden rechts von der Mitte im Hôtel Matignon sehen wollten. So fiel die Wahl auf den letzten Metern auf Elisabeth Borne, die unter den erwähnten linken Ministern Jospin, Lang und Royal gedient hatte. Zudem ist sie als Funktionärin jemand wie Jean Castex, der – zumindest aus heutiger Sicht – keine höheren Ambitionen hat, dem Präsidenten nicht in die Quere kommen wird, sondern seine Ideen umsetzt bzw. umsetzen lässt.

Zurück zur Karriere von Elisabeth Borne: 2015 wurde sie Chefin der öffentlichen Pariser Verkehrsbetriebe RATP. Bereits in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl 2017 stimmte sie für Emmanuel Macron. Nach seiner Wahl zum Präsidenten 2017 wurde sie, die langjährige Funktionärin und Managerin von Staatsbetrieben, zuerst Staatsministerin für Transport unter Umweltminister Nicolas Hulot. 2018 reformierte sie die Staatsbahnen SNCF, die sie auf private Konkurrenz vorbereitete, gegen den Widerstand der Gewerkschaften und vieler Staatsangestellten.

Nach der Demission von François de Rugy 2019 wurde Elisabeth Borne kurz Umweltministerin. Als sie das Amt verliess, waren mehrere Medien der Meinung, sie habe dem Umweltschutz in der Regierung Philippe nicht genug Gewicht verleiht. Unter dem neuen Premierminister Jean Castex wurde sie am 6. Juli 2020 Arbeitsministerin. Neue Arbeitsplätze, insbesondere für junge Arbeitnehmer, die Reform der Renten sowie der Arbeitslosenversicherung gehörten zu ihren Prioritäten. Die Arbeitslosigkeit lag im ersten Quartal 2022 in Frankreich (ohne die Insel Mayotte) bei 7,3%, ein Erfolg von Präsident Macron und seinen Regierungen sowie seiner letzten Arbeitsministerin, und das trotz der Pandemie. Auch die Arbeitslosenversicherung wurde von Elisabeth Borne reformiert. Hingegen scheiterte die Rentenreform am Widerstand der Bevölkerung seit 2017.

Dank der Reformen unter Präsident Macron und zuletzt seiner Arbeitsministerin Elisabeth Borne stand die Arbeitslosigkeit nicht mehr zuoberst auf der Liste der Sorgen der Franzosen. Dort findet sich nun seit einiger Zeit wegen der steigenden Inflation die Kaufkraft (pouvoir d’achat). Marine Le Pen hatte dies als erste Präsidentschaftskandidatin erkannt, doch es nutzte ihr nichts, weil sie in der entscheidenden Debatte vor der Stichwahl gegen Macron erneut schwach aussah. Die ausgeschiedenen Kandidaten Pécresse, Jadot und Hidalgo riefen zur Wahl für Macron auf, der Linkspopulist Mélenchon wiederholte immerhin mehrfach „Keine Stimme für Le Pen“, konnte sich allerdings wie 2017 nicht dazu durchringen, zur Wahl von Macron aufzurufen. Hinzu kamen die ehemaligen Präsidenten Hollande und Sarkozy sowie viele andere bekannte Gesichter, die sich klar hinter Macron stellten. So konnte dieser sich in der Stichwahl gegen Marine Le Pen die Wiederwahl sichern, nachdem er in der ersten Runde nur 27,85% der Stimmen geholt und 62% der Franzosen für die extreme Rechte und Linke gestimmt hatten.

Am 16. Mai 2022 hat der Präsident Elisabeth Borne zur französischen Premierministerin gemacht. Auf sie wartet nun der Kampf gegen die Inflation, für eine höhere Kaufkraft, für eine Rentenreform sowie die Pandemie, Umweltprobleme, Putin und vieles mehr. Der Premierministerin fehlt es weder an Fleiss noch an Kompetenz, doch sie ist kein politisches Schwergewicht, wohl von Präsident Macron genau so gewollt. Die Franzosen kennen sie wenig, wissen nicht so richtig, wofür sie steht. Sie muss nun ihr Amt ausfüllen, für Ideen kämpfen, die Wähler überzeugen, was ihr nicht so liegt. Es ist bei ihr nicht so schlimm wie bei Kanzler Scholz in Deutschland, doch etwas mehr Charisma und bessere rhetorische Fähigkeiten wären wünschenswert gewesen. Wie oben erwähnt, kommt ein erster Test bereits bei der Parlamentswahl am 12. und 19. Juni 2022. Verliert sie im Departement Calvados, ist sie ihren Job als Premier bereits wieder los.

P.S. Elisabeth Borne ist geschieden und hat einen Sohn aus dieser Ehe.

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Die damalige Transportministerin Elisabeth Borne beim informellen Treffen der Energie- und Transportminister der EU 2017, fotografiert am 21. September 2017 von Aron Urb (EU2017, Estonian Presidency). Photo via Wikipedia/Wikimedia.

Artikel vom 17. Mai 2022 um 16:26 französischer Zeit. Zuletzt aufdatiert am 18. Mai 2022 um 09:35. Elisabeth Borne hatte zuvor wenig zu ihrer Familiengeschichte. Nachrichtenagenturen, französische und israelische Journalisten finden ständig neue Details, welche die Familiengeschichte ergänzen bzw. ändern. Daher oben nur wenige Angaben.