Raffael: Glaube, Liebe, Ruhm

Dez 19, 2019 at 17:13 1457

Die neue Biografie von Raffael von Ulrich Pfisterer

Ulrich Pfisterer, Professor für Kunstgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität und Direktor des Zentralinstituts in München, ist einer der führenden Spezialisten der Kunst der italienischen Renaissance. In seiner brandneuen Biografie und Analyse Raffael. Glaube, Liebe, Ruhm (Amazon.de) erläutert er, dass Raffael Sanzio aus Urbino bereits seinen Zeitgenossen neben Leonardo da Vinci und Michelangelo als einer der drei bedeutendsten Künstler seiner Zeit galt. Noch Jahrhunderte später beschrieb die Encyclopedia Britannica von 1796 ihn als „grossartigsten, genialsten und besten Maler, der seit der Wiedergeburt der Schönen Künster erschienen ist“. Er galt als Genie im Umgang mit Farben und Formen, Licht und Schatten, und dies in allen Medien und Techniken, die er erprobte.

Ulrich Pfisterer analysiert die Anfänge Raffaels mit seinen Altarbildern, widmet sich den Künststücken für den Hof von Urbino, seinem Durchbruch mit einem Auftrag in Florenz für Perugia, seinen Zeiten in Rom mit Arbeiten für den Vatikan für die Päpste Julius II. und Leo X., seinem visionären Sehen mit Himmel und Heiligen, seinen Aufträgen für Kardinal Bibbiena. Weitere Kapitel widmen sich der Melancholie universaler Begabung: Dichter, Antiquar, Architekt, der Zeitenwende mit den Teppichen der Sixtinischen Kapelle. Der Autor geht der Frage nach, wie Raffael sich ewigen Künstlerruhm sicherte, so mit seiner Druckgrafik, dank Freunden, Verehrern und Sammlern, seiner Werkstatt, seiner Muse, der Fornarina, dem Thema Transfiguration und Tod sowie dem Raffael-Kult.

Ulrich Pfisterer beschreibt, wie der junge, talentierte Maler aus Urbino zu einem der bedeutendsten Künstler der Renaissance aufstieg. Der Autor will drei Dinge zeigen: Erstens, wie Raffael in seinem gesamten Schaffen hinweg sowie noch als etablierter Künstler stet um die Weiterentwicklung seiner künstlerischen Ergebnisse und Positionen in den hochkompetitiven und -innovativen Kontexten zwischen Urbino, Florenz und Rom bemüht war. Sein bis zu den letzten Werken unermüdliches Streben nach dauernder Variation, Verbesserung, Neuem im ständigen Wettstreit und Vergleichblick auf andere, insbesondere Michelangelo. Ulrich Pfisterer will zeigen, dass Raffales Erfolg das Resultat von grösstem Ehrgeiz, ungewöhnlicher Arbeitskraft, Mut zu neuen Aufgaben, Organisationstalent, einem weitgespannten Netzwerk von Freunden und Kollegen, frühem Erkennen des Potentials der Druckgrafik, klugem Taktieren mit Auftraggebern, einem einnehmenden Wesen sowie glücklichen Zeitumständen, so den die Künste favorisierenden Päpste Julius II. und Leo X., war.

Zweitens stellt sich Ulrich Pfisterer dem von Giorgio Vasari geprägten, seiner Meinung nach falschen Bild von Raffael entgegen. Vasari schrieb rund 30 Jahre nach dem Tod Raffaels länger, informativer und scheinbar überzeugender über den Mann von Urbino. So erstmals 1550 und in einer erweiterten und überarbeiteten Fassung 1568. Vasaris Schriften folgten den Regeln des literarischen Genres „Biographie“ um die Mitte des 16. Jahrhunderts, das ein „Gesamt-Narrativ“ erforderte. Während dem wir zu Michelangelo Hunderte seiner eigenen Briefe, Gedichte sowie sogar seine Finanzdaten besitzen, sind von Raffael fast keine persönlichen Äusserungen überliefert. Es gibt zwar zu Lebzeiten entstandene Quellenzeugnisse, jedoch nur zwei autographe Briefe sowie einige Notizen und Gedichte auf Zeichnungen. Vasari hat das Raffael-Bild bis heute geprägt, obwohl er kein Zeitgenosse war.

Drittens geht es Ulrich Pfister darum zu zeigen, dass Raffaels künstlerische Bemühungen und Ergebnisse sich nicht allein aus seinen Lebensumständen verstehen lassen. Sein Buch liefert daher eine Reihe ausgewählter Werkanalysen. Damit sollen die Raffael leitenden Vorstellungen und Veränderungen in seinem kunstpraktischen und kunsttheoretischen Denken von 1500 bis 1520 rekonstruiert und kontextualisiert werden. Es geht dem Autor nicht nur um die Themen Nachahmung, Schönheit, Kopie (Raffaels Zeitgenossen nahmen dessen Leda nach einem Vorbild von Leonardo nicht als „Kopie“ im heutigen Sinne wahr), Eigenhändigkeit, Wettstreit und Begabung. Um 1511/14 etablierte Raffael einen neuen Typ von Werkstatt-Zusammenarbeit, der ihm die überwältigende Menge an Werken jener Jahre ermöglichte. Zudem entstand aus dem „vielhändigen“ Erfindungs- und Produktionsprozess der „Raffael-Stil“, der laut dem Autor den weiteren Gang der Kunst des 16. und 17. Jahrhunderts entscheidend mitprägte.

Raffaels Ruhm und sein Einfluss währten bis weit ins 19. Jahrhundert. In der zweiten Hälfte jenes Centenniums allerdings begann sein Stern rasch zu sinken. Um 1900 schrieb Hermann Grimm in seiner populären Monografie des Künstlers: „Raphael will nichts. Seine Werke sind sofort verständlich. Er schafft absichtslos wie die Natur. […] Keine Geheimnisse sind das noch weiter zu ergründen.“

Laut Ulrich Pfisterer haben sie bis Ende des 20. Jahrhunderts das Universalgenie, der Künstler, Naturforscher, Ingenieur und Erfinder Leonardo da Vinci, der melancholisch-geniale Heroe der menschlichen Figurendarstellung Michelangelo und der genialisch-gewalttätige Caravaggio zum neuen Dreigestirn der herausragenden Künstler Italiens etabliert. In der Einleitung „Der dritte Mann: Raffael sieht Leonardo und Michelangelo“ wird das Dreigestirn der italienischen Hochrenaissance allerdings mit den Namen Leonardo, Michelangelo und dem „Magier der Farbe“ Tizian umschrieben (also nicht Caravaggio), wobei Raffael nur an dritter oder gar vierter Stelle komme. Wie auch immer, Ulrich Pfisterer fragt sich am Ende seines Buches, ob die sich schnell verändernden Vorstellungen zu den Bildkünsten und des sich neu formierenden Kunstbegriffs des 21. Jahrhunderts wieder mehr Bezüge zu Raffael Sanzio aus Urbino eröffnen werden.

Ulrich Pfisterer: Raffael. Glaube, Liebe, Ruhm. Hardcover Verlag C.H. Beck, Dezember 2019, 384 Seiten mit 235 farbigen Abbildungen. Die reich bebilderte Biografie bzw. Analyse bestellen bei Amazon.de.

Dieses Buch ist die Quelle für diese Rezension. Zitate und Teilzitate sind der Lesbarkeit wegen nicht zwischen Anführungs- und Schlusszeichen gesetzt.

Rezension / Buchrezension vom 19. Dezember 2019 um 17:13 deutscher Zeit.

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