Rezension von Kurz und Kickl

Sep 15, 2019 at 20:07 3353

Helmut Brandstätter, der ehemalige Chefredaktor und Herausgeber des KURIER, der 2019 für die liberalen NEOS für den Nationalrat kandidiert, hat im Juli 2019 das kritische Buch Kurz & Kickl. Ihr Spiel mit Macht und Angst veröffentlicht (Buch: Amazon.de; Kindle: Amazon.de).

Das Vorwort dazu hat der ehemalige Vizekanzler Erhard Busek (ÖVP) verfasst, den der Schreibende als Student einmal live in Genf erlebt hat. Er strahlte damals Souveränität aus, zeichnete sich durch prägnante und präzise Formulierungen aus. Im Vorwort zu Kurz & Kickl zeigt er eine unnötige Vorliebe für Ausrufezeichen. Ansonsten liefert er einige gute, wenn auch nicht neue Stichworte, wobei konkrete Lösungsansätze fehlen.

Zurecht verweist Busek auf das fehlende Verständnis für die Dimension der Globalisierung. Europa stelle 7% der Weltbevölkerung, 22% der weltweiten wirtschaftlichen Leistungskraft und konsumiere 50% der Wohltaten dieser Welt. Er beklagt den Populismus und die Wiederentdeckung des Nationalstaates. Dazu bringt er den wunderschönen Wiener Sager: Jeder denkt ans sich, nur ich denk an mich. Diesen bezeichnet Busek als eindrucksvolle Beschreibung des Wunsches nach Abschottung, dem Schutz vor äusseren Einflüssen.

Gerhard Busek beklagt, das es mit dem Eintritt der FPÖ in die Regierung einzig im Bereich der Sicherheit mit der Schliessung der Balkanroute zu einer „Wende“ gekommen sei. Das habe eine Reihe von neuen Verwaltungseinheiten herbeigeführt, die mit Sicherheit mehr Bürokratie brächten, wobei auch überlegenswerte Frangen angeschnitten worden seien, wie etwa die Gesaltung der Sozialversicherung und manche Umgestaltung von Föderalismus und überbordenden Strukturen.

In diesem Zusammenhang beklagt Busek den Griff nach dem Sicherheitsapparat durch den damaligen FPÖ-Innenminister Herbert Kickl. Natürlich gäbe es Kriminalität, Übergriffe, mangelnde Ordnung, aber noch immer seien die Zustände hier in Österreich zufriedenstellend. Das Beunruhigende sei vielleicht, dass sich manchmal im Schatten der Parteien Mafiastrukturen herausbildeten. Er betont, dass die Medien der Herausforderung, diese Dinge kritisch zu begleiten, vornehm gesagt, zumindest nicht gewachsen seien. Wenn nicht jemand mit dem „Ibiza-Video“ ein Geschäft hätte machen wollen, wäre noch niemand draufgekommen, welche Ungeheuerlichkeit hier passiert sei.

Erhard Busek beklagt die Zunahme der Bürokratie in der ÖVP-FPÖ-Regierung. Zudem verweist er auf eine Diskussion in der er, Busek, sagte, die Politik habe die Aufgabe, den Menschen Angst zu nehmen. Daraufhin habe ihm der ehemalige Innenminister Kickl geantwortet, die Politik müsse Angst machen, sonst könne sie nichts verändern. Die Liste liesse sich laut Busek beliebig fortsetzen. Ihn bewege die Tatsache, dass bislang Herr und Frau Österreicher nicht besonders über das beunruhigt seien, was hier geschehe. Das Wort aus der Bibel, Deine Sprache verrät Dich, gelte in hohem Masse für unsere Zeit.

Hören und zuhören seien die grossen Fähigkeiten des Menschen, doch die Werbebranche habe der Politik eingehämmert, Botschaften müssten kurz und einheitlich sein. Die Reduktion auf Plakattexte sei ein schreckliches Ergebnis dieser Entwicklung. Busek stellt sich die Frage, ob „Social Media“ überhaupt zur Kommunikation bestimmt seien.

Die eigentliche Wende, die wir laut Busek dringend brauchten, sei eine andere Betrachtungsweise, was zum Leben selber notwendig sei. Die Politik selbst habe die Aufgabe, dies zu klären. Gesellschaft, Wissenschaft und Forschung brauche man ebenfalls dazu. Doch es sei nicht notwendig, diese Dinge hysterisch durchzuführen. Er rät zu ruhiger Gelassenheit und empfiehlt mehr Nachdenklichkeit.

Helmut Brandstätter: Kurz & Kickl. Ihr Spiel mit Macht und Angst. Kremayr & Scheriau, Juli 2019, 208 Seiten. Das Buch bestellen bei Amazon.de, die digitale Version (Kindle) bei Amazon.de.

Nun zur eigentlichen Rezension des Buches von Helmut Brandstätter: Kurz & Kickl. Ihr Spiel mit Macht und Angst. Im Kapitel Kurz und die Sollbruchstelle Kickl verweist der Autor auf die Drohung mit Enthüllungen von Herbert Kickl, gegen die Heinz-Christian Straches geplanter Verkauf von österreichischen Interessen and eine vermeintliche russische Oligarchennichte harmlos sein sollen. Brandstätter schreibt, Kickl verbreite Angst. Dazu ist anzumerken, dass der ehemalige Innenminister nur Angst unter jenen verbreiten kann, die sich etwas vorzuwerfen haben. Bis heute hat er noch nichts vorgelegt.

Helmut Brandstätter verweist auf die trotz des Ibiza-Videos erstaunlich guten Wahlergebnisse für die FPÖ bei den EU-Wahlen vom 26. Mai 2019. Der neue FPÖ-Chef Norbert Hofer spreche schon von der Fortsetzung des angeblich erfolgreichen Weges. In Wirklichkeit sei diese ÖVP-FPÖ-Regierung der Beginn des Weges in eine autoritäre Republik gewesen. Die Strategie habe Herbert Kickl geplant, den Führersitz und damit den Anschein der Macht habe er Sebastian Kurz überlassen, solange dieser als Kanzler der Planung und den Aktionen Kickls gefolgt sei. Die von Kurz noch im Wahlkampf nach deutschem Vorbild verlangte Richtlinienkompetenz für den Bundeskanzler sei in Sicherheitsfragen de facto bald beim Innenminister gelandet. Das Ende der Kooperation sei dann abrupt gekommen, habe aber kommen müssen, denn Kurz habe gemerkt, dass er an Macht verlor und Kickl immer mehr das Geschehen dominieren wollte. Wie das ablief, will Helmut Brandstätter in Kurz & Kickl. Ihr Spiel mit Macht und Angst zeigen.

Ist das wirklich so? In Umfragen steigt die ÖVP, die FPÖ verliert. Kurz schliesst eine Neuauflage von Schwarz-Blau nicht aus. Ende Juli machte er allerdings in einem ORF-Interview klar: „Sollte ich wieder eine Regierung anführen, hätte er [Herbert Kickl] keinen Platz.“ Im TV-Duell mit Norbert Hofer wiederholte Kurz am 9. September 2019 diese Forderung. Am FPÖ-Parteitag vom 14. September, an dem er mit 98% zum Parteichef gewählt wurde, trat Hofer für eine Neuauflage von Türkis-Blau ein, forderte dabei allerdings klar einen freiheitlichen Innenminister. Die Koalition zerbrach ja, weil die FPÖ nach dem Ibiza-Video nicht bereit war, neben dem Rücktritt von Strache den Austausch des Innenministers Kickl zu akzeptieren. Hofer lobte beim Parteitage Kickl als den besten Innenminister, den Österreich je gehabt habe.

Doch Kickl ist neben dem seit dem knapp verlorenen Präsidentschaftswahlkampf aufgestiegenen Norbert Hofer der starke Mann in der FPÖ und hat, zusammen mit Andreas Mölzer, die Ideologie der Partei entscheidend geprägt. Könnte Kurz eine Koalition ohne Kickl durchsetzen? Strache wurde bereits aussortiert und zwar von den Blauen selbst, wenn auch nicht zu 100%. Straches Frau Philippa darf auf einem aussichtsreichen Listenplatz für die FPÖ bei der Nationalratswahl antreten, womit wohl das Einkommen der Familie Strache gesichert sein soll. Zurück zum Koalitionspoker: Mit Strache und Kickl gleich zwei Führungsfiguren der Blauen ausschliessen, wäre das von Kurz durchsetzbar? Strache ist wohl definitiv weg. Aber Kickl? Das hängt wohl nicht zuletzt vom Wahlresultat ab. Allerdings hat sich Kurz in der Frage weit aus dem Fenster gelehnt und kann kaum zurückrudern. Kickl in einem anderen Regierungsamt als Kompromiss?

Wie auch immer, Helmut Brandstätter bezeichnet Herbert Kickl als die Konstante in der FPÖ. Er stehe hinter den Kampagnen und den bösen Sprüchen, für die zunächst Jörg Haider und danach Heinz-Christian Strache Applaus bekam. Kickl bestimmte immer das Auftreten der FPÖ. Er sei von Anfang an die Sollbruchstelle der türkis-blauen Koalition gewesen, so Brandstätter.

Eigentlich habe Strache zunächst selbst Innenminister werden wollen, doch wegen der Arbeitsbelastung und dem Gefahrenpotential des Amtes darauf verzichtet. Doch der Posten sei der FPÖ bereits zugesagt gewesen, weshalb Kurz glaubte, nicht mehr zurückrudern zu können, er selbst vor Weihnachten 2017 in Eile mit der Regierungsbildung war, und er die Macht um jeden Preis wollte.

Kickl habe einen Plan gehabt, wie er das Land verändern würde, auch durch die Verbreitung von Angst. Die 17 Monate seien für die Umsetzung seiner Vision zu kurz gewesen, doch die Ansätze seien zu erkennen und deuteten in Richtung eines autoritären Staates.

Andreas Mölzer habe einst die FPÖ in einem TV-Interview als revolutionäre Partei bezeichnet, Kickl habe an der Menschenrechtskonvention gezweifelt, die in Österreich im Verfassungsrang steht.

Brandstätter meint, es befürfe noch einer genauen Analyse, weshalb die ehemals starken ÖVP-Landeshauptleute und Chefs der Bünde Sebastian Kurz völlig willenlos die Partei übergaben und später nur intern murrten, wenn wieder einmal ein sogenannter „Einzelfall“ den Charakter des Partners der FPÖ offenlegte.

Es gilt zu unterstreichen, dass zuvor ein Problem der ÖVP war, dass die Landeshauptleute und Chefs der Bünde die eigenen Chefs regelmässig demontiert hatten; Brandstätter selbst schreibt weiter hinten, an der innerparteilichen Front seien andere ÖVP-Chefs (als Kurz) schon verzweifelt oder gar gescheitert. Die Partei lag darnieder und nur „Wunderwuzzi“ Kurz schien in der Lage, die Partei zu retten, was er denn auch tat, allerdings zu seinen Bedingungen.

Brandstätter betont, dass Kurz durch sein intern gegebenes Versprechen, die Kompetenzen der ÖVP-Landeshauptleute nicht anzutasten, jeden Anspruch auf wirkliche Reformen in Österreich bereits aufgegeben habe. Echte Einsparungen wären nur durch Veränderungen der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern möglich.

Zur Koalition von Schwarz-Blau bzw. Türkis-Blau gilt anzumerken, dass früher unter Kanzler Schüssel dies die „beste“ Lösung war, denn wäre die FPÖ noch stärker geworden, hätte vielleicht sogar ein Kanzler Haider akzeptiert werden müssen. Die Krone machte ja damals Stimmung für Haider. Kurz hat sich Strache als Juniorpartner geholt. Und der Juniorpartner wird in der Regel an der Urne beim nächsten Mal vom Wähler abgestraft, hat sich vielleicht Kurz gedacht. Wieder Schwarz-Rot bzw. nun Türkis-Rot war keine überzeugende Alternative. Eine liberale Partei wie NEOS täte der Regierung gut, doch sie ist noch zu klein, um als Koalitionspartner in Frage zu kommen. Die Österreicher haben nach wie vor Mühe mit dem Liberalismus.

Kurz zum Autor und zu den Nationalratswahlen vom 29. September 2019: Österreich braucht mehr liberale Stimmen, eine liberalere Politik. Den NEOS fehlte es bisher an charismatischen Führungspersönlichkeiten, die sich in politischen Fernsehdiskussionen durchsetzen können. Kann Helmut Brandstätter hier ein Vakuum füllen? Das Land braucht neue Parteien, neue mögliche Koalitionspartner. Schwarz-Rot bzw. seit der Umfärbung Türkis-Rot stärkt die extremen Ränder. Die Blauen sind keine Alternative. Können die liberalen NEOS zu einer bedeutenden Partei aufsteigen?

Zurück zu Brandstätters Buch: Der Autor sieht bei Kurz und Kickl, trotz Unterschiede im Auftreten, einen ähnlichen Umgang mit den Medien, vor allem, was das Ziel betrifft: nämlich Einfluss zu haben, und zwar mit vielen denkbaren Methoden, wenn es sein muss auch mit der Verbreitung von Angst. Den Unterschied lag laut Autor in der Vorgangsweise. Kurz und seine Gefolgschaft machten es meistens geschickter. Der Kanzler setzte lieber Mitarbeiter ein, habe aber auch selbst oft zum Telefon gegriffen, mit einer Mischung aus Interesse an Redakteuren, deutlichen Wünschen an diese und Druck auf Eigentümer. Kickl habe mit seinem Medienerlass vor allem gegen KURIER, Standard und Falter agiert. Im ORF habe der Spruch kursiert: Wenn du was werden willst, musst du zum Kickl, gehen, nicht zu Strache, was Kickl, der sich oft zu wenig anerkannt gefühlt habe, gefallen habe.

Für Sebastian Kurz müsse die Koalition nach aussen stets Harmonie vermitteln, wobei er selbst 2017 den Streit mit der SPÖ des Reformers Christian Kern (zu früh tragisch gescheitert, doch das ist eine andere Geschichte) befeuert habe. Bei Türkis-Blau galt es, nach aussen Harmonie und Einigkeit zu inszenieren, was dem Charakter des jungen Kanzlers entsprochen habe, wobei er immer für das freundliche Gesicht der Politik stand.

Helmut Brandstätter wurde oft gefragt: Was, du schreibst ein Buch über Kurz? Wird dir das nicht schaden? Die Demokratie stirbt in der Dunkelheit, zitiert der Autor die Washington Post. Er will für mehr Helligkeit sorgen, damit niemand mehr Angst vor denen haben müsse, die gerade an der Macht seien.

Helmut Brandstätter verfasste zudem Kapitel zu Kurz, dem Kontroller, zu Kickl, dem FPÖ-Matermind seit Haiders Zeiten, zur FPÖ der Burschenschaften und Rechtsextremen, zum Wahlkampf 2017 und dem Durchmarsch von Kurz, zur Mediensicht von Kurz, Strache und Kickl, zum Regierungsprogramm der türkis-blauen Regierung, zum BVT-Skandal (Russlandnähe der FPÖ, etc.), zu den „Einzelfällen“ der FPÖ, zur gegen Ausländer gerichteten neuen Sozialpolitik, zum grossen Umfärben, zu Knicksen und Fehltritten in der Aussenpolitik, zum Ende der Landesverteidigung, zum Bruch der Koalition, zu den Themen für Österreichs Zukunft sowie zur Frage, ob der Weg zum autoritären Staat nun gestoppt sei.

Am Ende des Buches druckt Helmut Brandstätter seine Rede zur Verleihung des Art-Rath-Ehrenpreises ab, den er 2019 erhalten hat. Darin schreibt er unter anderem, der ORF müssen den Parteien weggenommen werden, und die Inseratenkorruption solle den Journalismus zerstören.

Der Autor möchte nun die Seiten wechseln und vom Journalismus für die NEOS in die Politik gehen. Diese liberale Partei scheint zur Zeit die einzige vernünftige Alternative zu ÖVP, SPÖ und FPÖ zu sein. Demokratie lebt vom Wandel.

Die nächste Finanz- und Wirtschaftskrise kommt bestimmt. Schon bei der letzten waren unsere Demokratien morsch. Werden sie die nächste Überleben? Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst…

Helmut Brandstätter: Kurz & Kickl. Ihr Spiel mit Macht und Angst. Kremayr & Scheriau, Juli 2019, 208 Seiten. Das Buch bestellen bei Amazon.de, die digitale Version (Kindle) bei Amazon.de.

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Rezension vom 15. September 2019 um 20:07 österreichischer Zeit. Zuletzt ergänzt am 16.9.2019 um 01:59 österreichischer Zeit.