Der Journalist der Süddeutschen Zeitung Roman Deininger hat mit Die CSU. Bildnis einer speziellen Partei (Amazon.de) sein Portrait der letzten deutschen Volkspartei verfasst. In seinem Prolog verweist der Autor auf eine Mitfahrt in der Dienstlimousine des damaligen Finanzministers Markus Söder. Der hatte einige Monate zuvor behauptet, er habe die Bibel nicht nur auf seinem Schreibtisch liegen, sondern auch immer als Hörbuch griffbereit in seiner Limousine – für Momente der Besinnlichkeit inmitten des Alltagsstresses. So ganz hatte der Reporter das nicht glauben können und fragte deshalb im Auto, ob man nicht nebenher ein paar Paulusbriefe hören wolle. Söder sagte kein Wort, sondern öffnete nur das Handschuhfach, nahm das Bibel-Hörbuch heraus und genoss seinen Triumph.
Roman Deininger offeriert in seinem Buch Die CSU immer mal wieder solch unterhaltsame Anekdoten, welche die Lektüre auflockern. Zu Ende seines Prologs schreibt er, die CSU sei eine Partei, der man nur mit einer guten Mischung aus Ernst und Witz beikomme. Mit der CSU werde es einem Journalisten nicht langweilig, man blicke von einem Logenplatz aufs bayerische Welttheater. Ein ganzes Buch könne man vollschreiben über die CSU. Was Gescheits werde halt vermutlich nicht drinstehen.
Keine Angst, so schlimm wird es nicht. Das Buch enthält einige lesenswerte Einsichten. Bekannte und weniger bekannte. Roman Deininger titelt in der Einleitung: Bayerische Götterdämmerung: Vom Aufstieg und Fall der letzten Volkspartei. Da ist ihm insofern zu wiedersprechen, als dass die 37,2% der CSU bei der Landtagswahl in Bayern 2018 zwar einen brutalen Absturz von 10,5% bedeuteten, doch die CSU damit (vorerst) weiterhin eine Volkspartei bleibt. Zurecht verweist der Autor weiter unten darauf, dass andere Parteien in Deutschland und Europa davon nur träumen könnten (abgesehen von der SPD in Hamburg). Zurecht verweist er auf die CSU als spezielle Partei, die faszinierend in ihren Widersprüchen sei: provinziell und weltläufig, piefig und innovativ, konservativ und liberal, kleingeistig und grosskotzig, kraftstrotzend und verletzlich. In einem Moment sei sie zu grösster Hybris fähig und im nächsten zu schlimmsten Selbstweifeln. Sie brauche die absolute Mehrheit im Bayerischen Landtag, um ihrem Anspruch als Staatspartei Glaubwürdigkeit zu verleihen. Roman Deininger hätte auch schreiben können: Die CSU ist gleichzeitig Regierung und Opposition.
Danach bringt er Gründe vor, weshalb in Bayern die politische Götterdämmerung begonnen haben könnte. Die Krise habe die CSU keineswegs demütig gemacht. Die Ergüsse zum Machtkampf zwischen Seehofer und Söder, zu Seehofer/Söder und Merkel in der Flüchtlingskrise sparen wir uns hier.
Die CSU-Hegemonie in Bayern gründe auf Glück und Geschick. Hier wäre ein Exkurs zu Reformern wie Hanns Seidel, Alfons Goppel, Franz Josef Strauss und Edmund Stoiber angebracht gewesen, die das landwirtschaftlich geprägte Armenhaus zum industriellen und High-Tech-Vorzeigeland gemacht haben. Ab Seite 90 widmet sich der Autor dem Thema Laptop und Lederhose: Der Fortschritt Bayerns und der Beitrag der CSU. Erst ab Seite 100 geht er dann kurz auf die Verdienste von Ministerpräsidenten wie Ehard, Seidel, Goppel, FJS, etc. ein. Zur Ära Stoiber-Waigel schreibt Roman Deininger, der Dynamiker Stoiber sei der Held der Konservativen, der Denker Waigel jener der Liberalen gewesen. Hier hätte angefügt werden müssen, dass Theo Waigel als Finanzminister unter Kanzler Kohl – entgegen seinem Image und seiner Selbstdarstellung – eine durchzogene bis erbärmliche Bilanz vorzweisen hat. Deutschland war danach ein wirtschafts- und finanzpolitischer Sanierungsfall. Es brauchte den Reformkanzler Schröder, um den Karren aus dem Dreck zu ziehen, wobei viele neue Fehler gemacht wurden, die unter der völlig überschätzten Kanzlerin Merkel nicht oder kaum korrigiert wurden.
Zurück zur CSU in Bayern: Völlig zurecht merkt Roman Deininger kritisch an, dass Ministerpräsident Söder es beim Festakt zum hundertsten Geburtstag des Freistaates fertigbrachte, den sozialdemokratischen Gründer eben dieses Freistaates, Kurt Eisner, nicht zu erwähnen. Die hemmungslose Vereinnahmung und konsequente Verkörperung bayerischer Geschiche, Identität und Folklore bezeichnet er als dritte Schicht des Erfolgs der CSU. Die zweite Schicht sei die breite der Partei: traditionell und fortschrittsgläubig, heimatverbunden und weltoffen, christlich und säkular, wobei es ihr gelang, die Wähler rechts der Mitte zu integrieren. Die erste Schicht ihres Erfolgs sei die Doppelrolle als Landes- und Bundespartei. Roman Deininger unterstreicht zurecht, das wohl grösste Missverständnisse bezüglich der CSU sei es, diese als konservative Partei zu betrachten.
Nur ein Wort zur breit dargestellten Flüchtlingskrise. Roman Deininger schreibt: Seehofer und Söder, die starken Männer der CSU, hätten in den Jahren 2015 bis 2018 die Balance verloren. Sie hätten kaum mehr berücksichtigt, was die CSU immer zu einer Volkspartei gemacht habe: das breite Dach, unter dem sich Grenzzaunfreunde und Flüchtlingshelfer gleichermassen tummelten. Beide hätten mit ihrer scharfen Rhetorik den rechten Flügel bedient in der Hoffnung, eine Abwanderung zur AfD zu bremsen. Zugleich hätten sie Wähler der Mitte verstört und vergrault.
Neben der Flüchtlingskrise, dem Machtkampf zwischen Seehofer und Söder und den Verdiensten der CSU für Bayern widmet sich Roman Deininger der Grasverwurzelung der CSU, der Beziehung der CSU zu den Kirchen, dem kabarettistischen Widerstand gegen die CSU, der SPD in Bayern, dem ewigen Schwesternstreit mit der CDU, der Frage, wie die CSU Weltpolitik macht, der Neuerfindung und wundersamen Wandlung von Markus Söder, Hubert Aiwanger und den Freien Wählern, der Bedrohung der CSU durch die AfD, den Grünen als (neuem) Hauptgegner und weiteren Themen.
Dem politischen Reporter der Süddeutschen Zeitung ist ein unterhaltsames Portrait gelungen, das allerdings hier und dort tiefer loten könnte. Im Schlusskapitel widmet sich Roman Deininger der Suche der CSU nach der verlorenen Mitte. Ich würde dazu anmerken: Markus Söder scheint hier den Weg bereits gefunden zu haben. Zumindest laut aktuellen Umfragen. Das kann sich natürlich wieder ändern.
Roman Deininger hat mit Die CSU. Bildnis einer speziellen Partei. Verlag C.H. Beck, Februar 2020, 352 Seiten. Das Hardcover-Buch bestellen bei Amazon.de.
Zitate und Teilzitate in dieser Buchkritik / Rezension sind der besseren Lesbarkeit wegen nicht zwischen Anführungs- und Schlussszeichen gesetzt.
Siehe auch unsere Rezension von Roman Deininger, Uwe Ritzer: Markus Söder – Politik und Provokation: Die Biografie. April 2018, 384 Seiten. Das Buch bestellen bei Amazon.de.
Buchkritik / Rezension vom 11. März 2020 um 15:20 deutscher Zeit.