Nach Volker Resing mit Friedrich Merz. Sein Weg zur Macht hat im Januar 2025 Sara Sievert (*1994), die zuvor beim Spiegel und bei Focus Online gearbeitet hat und nun für t-online schreibt, eine Biografie von Friedrich Merz (*1955) bzw. Innenansicht der CDU vorgelegt: Der Unvermeidbare. Ein Blick hinter die Kulissen der Union. Rowohlt Buchverlag, Januar 2025, 256 Seiten. ISBN-13: ISBN: 978-3-498-00721-8. Cookies akzeptieren – wir erhalten eine Kommission bei unverändertem Preis – und das Buch bestellen bei Amazon.de.
Als Merz Ende 2021 neuer CDU-Parteichef wurde, merkte ich am Ende meines Artikels an, Merz sollte an seiner Mimik arbeiten. Das ist nicht nur mir aufgefallen. Sara Sievert schreibt zu Beginn ihrer Biografie, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seien oft bemüht, den Chef ans Lächeln zu erinnern. Gerade während öffentlicher Auftritte. Es sei schon vorgekommen, dass der CDU-Chef von der Bühne ging und ihnen entgegenraunzt habe: «Ich habe Sie schon gesehen. Und ich weiss auch, was Sie mit Ihrer Mimik versucht haben zu erreichen. Aber ich verstelle mich nicht.»
Trotzdem setzte sich Friedrich Merz gegen beim deutschen Wahlvolk beliebtere Politiker wie Markus Söder und Hendrik Wüst als Kanzlerkandidat der Union durch. Wüst werde in der Partei gerne «Schwiegermamas Liebling», merkt die Journalistin an, während dem Merz manchmal eher wie der grummelige Schwiegervater wirke. Doch Wüst wagte trotz einiger bewusster Medienauftritte den Kampf nicht, verzichtete auf seine Kandidatur und stellte sich öffentlich hinter Merz.
Für viele in der Partei sei Hendrik Wüst das Gegenmodell zu Friedrich Merz. Sara Sievert merkt zurecht an, dass Wüst so harmonisch mit den Grünen in einer Koalition arbeite, dass man glatt denken könnte, die beiden Parteien seien fusioniert. Wüst rede über «moderne Familienmodelle» und von «offener Gesellschaft», während dem Merz zu Beginn seiner Zeit als Parteivorsitzender das Bild des konservativen Hardliners bestätigte, der Klimaschutz in der politischen Debatte für wichtig halte, aber nicht überbewerten wolle. In einem eigenen Kapitel beschreibt die Autorin Hendrik-Wüst als «Anti-Merz».
Im Bundestag habe der Oppositionsführer Merz mit seiner Rhetorik gegen Kanzler Scholz geglänzt, aber auch immer wieder mit seinen Aussagen gegen gesellschaftliche Gruppen provoziert. Im Zeitalter sozialer Medien werde jedes Wort auf die Goldwaage gelegt. Dass ein falscher Satz oder ein falsches Bild im entscheidenden Moment fatal sein könne, wüssten sie in der CDU spätestens seit der gescheiterten Kanzlerkandidatur von Armin Laschet.
Sara Sievert schreibt, der CSU-Chef Söder habe Laschet 2021 nur deshalb so herausfordern können, weil es Risse in der Loyalität der CDU für ihren eigenen Vorsitzenden gegeben habe. Das musste dieses Mal (2024/25) anders laufen. Und dafür sollte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann sorgen. Für Merz sei die Frage des Rückhalts in den eigenen Reihen am Ende der entscheidende Punkt, die einzige Stellschraube gewesen, bei der er sich bis zuletzt nie vollkommen sicher sein konnte. Doch Söder wusste, dass er nicht gegen den Willen der CDU Kanzlerkandidat werden konnte, so Sara Sievert.
Die Autorin legt dar, wie sich Wolfgang Schäuble unter anderem im Januar 2022 für seinen Freund Friedrich Merz und – am Ende der Ära Merkel – für einen Politikwechsel einsetzte. Sie beschreibt das politische Comeback des Sauerländers, die CDU-GmbH, die Beziehung von Merz zu den Frauen, alte Wunden und vieles mehr.
Dazu gehören auch Fehltritte, so 2022 die Behauptung von Merz bei Spiegel TV: «Wir erleben mittlerweile einen Sozialtourismus dieser Flüchtlinge: nach Deutschland, zurück in die Ukraine, nach Deutschland, zurück in die Ukraine.» Aus seinen Fehlern scheine der Parteivorsitzende in der Folgezeit kaum zu lernen. Im Januar 2023 bei Markus Lanz meinte Merz bezüglich Grundschulkindern von Eltern mit Migrationshintergrund: «Sprechen Sie mal mit Lehrerinnen und Lehrern in den Grundschulen. Was die jeden Tag erleben, auch an verbaler Gewalt. Und dann wollen sie diese Kinder zur Ordnung rufen, und die Folge ist, dass die Väter in den Schulen erscheinen und sich das verbitten. Insbesondere wenn es sich um Lehrerinnen handelt, dass sie ihre Söhne, die kleinen ‹Paschas›, da mal etwas zurechtwei- sen. Da fängt es an.» Anders als beim «Sozialtourismus» wird Merz sich in diesem Fall nicht entschuldigen, merkt Sara Sievert an.
Den absoluten Tiefpunkt erreichte Merz laut Sara Sievert – die ihr Manuskript vor der Abstimmung zur Migrationspolitik im Bundestag 2025 abschloss, bei der die Union die Zustimmung der AfD bewusst in Kauf nahm und so die sogenannte Brandmauer schwächte – im Juli 2023: Bereits damals sorgte Merz für Unklarheit, was die Zusammenarbeit der CDU mit der AfD angeht. Schon 2023 drohten die eigenen Reihen sich von ihm abzuwenden. Wenn jedoch in Thüringen ein Landrat und in Sachsen-Anhalt ein Bürgermeister von der AfD gewählt worden sei, dann seien das demokratische Wahlen, so Merz. Er fand: «Das haben wir doch zu akzeptieren,und natürlich muss in den Kommunalparlamenten dannauch nach Wegen gesucht werden, wie man gemeinsam dieStadt, das Land, den Landkreis gestaltet.» Die Empörung in der CDU war gross.
Sara Sievert führt aus, es stimme, dass Friedrich Merz gern falsch verstanden werde. Es sei auch nicht immer fair, dass anders als bei vielen anderen Politikern bei Merz gleich das gesamte Weltbild infrage gestellt werde. Anstatt jedoch zu hinterfragen, woran das liegen könnte oder wie er dieses Bild ändern kann, erwecke Merz zeitweise einen fast trotzigen Eindruck. In der Partei beschrieben sie ihn zu der Zeit als dünnhäutig, patzig und stur. Nicht gerade Eigenschaften, die einen staatsmännisch aussehen lassen, so die Autorin.
Sara Sievert schreibt, dass Merz Scholz despektierlich einen «Klempner der Macht» nenne. Der SPD-Kanzler sei kein Typ, der grosse Linien aufzeige, auf den Tisch haue und den Anführer spiele. Sie bemerkt zudem, Scholz stecke dafür meist tief in den Themen und gefalle sich in der Rolle des Besserwissers, der selbst bei vermeintlichen Sachthemen bis in die Paragrafen hinein mitsprechen könne.
Die Autorin schreibt, als es um Waffenlieferungen an die Ukraine geht, hätten die Medien vom «Zauderer» Scholz geschrieben – auch ich, mehrfach, und zurecht. Scholz selbst würde sagen, dass er die Dinge vom Ende her denke, allerdings lasse er in der Kommunikation niemanden daran teilhaben, wie der Weg dorthin aussehen solle, so die Autorin. Merz hingegen sei impulsiv. Damit setze er einerseits den Ton, gleichwohl führe das auch oft dazu, dass seine Leute ihn anschliessend wieder einfangen müssten.
Am Ende ihres Buches stellt Sara Sievert noch einige Fragen. So, ob die Union wirklich überall eindeutige Positionen habe, zum Beispiel bezüglich Taurus-Lieferungen an die Ukraine, Reform der Schuldenbremse oder Renteneintrittsalter. Für die CDU habe Merz’ Führungsstil in den vergangenen Jahren gut funktioniert. Der Vorsitzende habe der CDU nach schwierigen Jahren Halt und einen neuen Kurs gegeben. Es habe ihn als Parteivorsitzenden und Kanzlerkandidaten unvermeidbar gemacht. Doch gelte für Deutschland dasselbe? Werde Merz auch als Kanzler unvermeidbar sein? Das müsse er jetzt unter Beweis stellen.
Sara Sievert: Der Unvermeidbare. Ein Blick hinter die Kulissen der Union. Rowohlt Buchverlag, Januar 2025, 256 Seiten. ISBN-13: ISBN: 978-3-498-00721-8. Cookies akzeptieren – wir erhalten eine Kommission bei unverändertem Preis – und das Buch bestellen bei Amazon.de.
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Rezension/Buchkritik vom 13. Mai 2025 um 13:19 deutscher Zeit.