Stichwahl zwischen Emmanuel Macron und Marine Le Pen in Frankreich

Apr 11, 2022 at 16:24 1544

Nach dem strategischen Desaster genannt Brexit ist Frankreich die einzig verbliebene Nuklearmacht in der EU – dank nuklearen U-Booten eine der wenigen Atommächte mit second strike capability. Frankreich ist nach dem Aussscheiden des Vereinigten Königreiches zudem der einzige EU-Staat mit einem permanenten Sitz im UNO-Sicherheitsrat. Marine Le Pen steht EU und NATO kritisch gegenüber. Daher ist die Präsidentschaftswahl 2022 in Frankreich von historischer und strategischer Bedeutung.

Das französische Innenministerium hat die definitiven Resultate der ersten Runde der Präsidentschaftswahl vom 10. April 2002 in Frankreich veröffentlicht: Der erneut antretende, liberale Präsident Emmanuel Macron (LREM) siegte mit 27,84% (2017: 24,01%) der abgebenen Stimmen. An zweiter Stelle landete die rechtsextreme Kandidatin Marine Le Pen des Rassemblement National mit 23,15% (2017: 21,30%). Damit kommt es wie 2017 erneut zur Stichwahl Macron gegen Le Pen. Lauf Umfragen hatte eine klare Mehrheit der Wähler genau dies verhindern wollen.

Mit grosser Spannung wird die Präsidentschaftsdebatte zwischen Macron und Le Pen erwartet. 2017 scheiterte damals die rechtsextreme Kandidatin kläglich am jungen Macron. Es fehlte ihr an Substanz. Dies ist zwar noch immer der Fall, doch sie scheint sich heute besser verkaufen zu können. Macron ist zwar in Debatten ausgezeichnet, so 2017 nicht nur gegen Le Pen, doch er darf sich keine Ausrutscher leisten, denn von ihm wird Kompetenz erwartet.

Nur knapp den Sprung in die Stichwahl vom 24. April verpasst hat der linksextreme Jean-Luc Mélenchon mit 21,95% (2017: 19,58%). Weit abgeschlagen auf dem vierten Platz landete der rechtsextreme Polemiker Eric Zemmour, der zu Beginn der Wahlkampagne Marine Le Pen das Wasser abgegraben hatte und zwischenzeitlich laut Umfragen mit ihr auf Augenhöhe lag. Mit 7,07% schafft er es immerhin über die 5%-Hürde, über der den Kandidaten die Ausgaben für den Wahlkampf vom Staat zurückerstattet werden.

Die rechtsliberale Republikanerin Valérie Pécresse schaffte es mit 4,78% nicht über die 5%-Hürde. Dies ist politisch und finanziell eine Katastrophe für ein politisches Lager, deren Vorgänger-Parteien in der Fünften Republik die Präsidenten Sarkozy, Chirac, Giscard d’Estaing, Pompidou und de Gaulle stellten. Selbst François Fillon, der 2017 gut startete, danach jedoch über die fiktive Beschäftigung seiner Frau und andere Skandale stolperte (frz. Artikel: Fillon est cuit), holte 2017 noch 20,01% der abgegebenen Stimmen.

Pécresse wurden noch im Dezember 2021 gute Chancen auf den Einzug in die Stichwahl eingeräumt, nachdem sie überraschend die Vorwahlen der Republikaner (LR) gewonnen hatte. Doch danach driftete sie nach rechts, unter anderem, um die Anhänger des Zweitplatzierten Eric Ciotti, der gerne Innenminister geworden wäre, bei der Stange zu halten. Bei einer wichtigen Wahlverstaltung im Zenith in Paris sprach Valérie Pécresse gar vom „Grand Remplacement“, dem Fantasiegebilde des „Bevölkerungsaustausches“, bei dem angeblich Franzosen durch muslimische Einwanderer ersetzt werden sollen. Sie sagte zwar, dass dieser Bevölkerungsaustausch nicht unvermeidlich sei, doch damit gab sie dieser „These“ völlig unverdiente Aufmerksamkeit. Sie hätte sich besser auf Staatsschulden, Staatsdefizite, Handelsdefizit, Ausbleiben der von Macron versprochenen Rentenreform, Abbau der Zahl der Staatsfunktionäre und mehr traditionelle Themen der Rechten verlegen sollen. Mit ihrem Rechtsruck konnte Valérie Pécresse bei den Rechtsextremen keine Stimmen fischen, denn die ziehen das Original der Kopie vor, und liberale, bürgerliche und zentristische, von Macron enttäuschte Wähler schlug sie vor den Kopf.

Der grüne Kandidate (EELV) Yannick Jadot kam mit 4,63% ebenfalls nicht über die 5%-Hürde und rief am Wahlabend daher wie Valérie Pécresse dazu auf, der Partei Geld zu spenden. Jean Lassalle, bei dem niemand weiss, wofür er steht, kam auf erstaunliche 3,13%. Der Kommunist Fabien Roussel kam auf 2,28%, nachdem er zwischenzeitlich in Umfragen viel höher stand. Er war wie alle hinter Macron, Le Pen und Mélenchon gelandeten Kandidaten ein Opfer der „nützlichen Stimme“ (vote utile): Auf den letzten Metern der Wahlkampagne kommt es oft zu starken Wählerbewegungen, die auf Umfragen aufbauen. Sieht ein Kandidat als sicherer Verlierer aus, wandern seine Wähler zu jenem Präsidentschaftsanwärter, der dem Wähler relativ nach steht und noch Chancen auf den Sprung in die Stichwahl hat.

Der am rechten Ende stehende Kandidat Nicolas Dupont-Aignan kam auf 2,06% (4,70% im Jahr 2017). Die Sozialistin (PS) Anne Hidalgo, immerhin Bürgermeisterin der Stadt Paris, kam auf erbärmliche 1,75% der abgegebenen Stimmen. Damit kann der PS nicht darauf hoffen, dass seine Wahlkampfkosten zurückerstattet werden, was dieser Traditionspartei wie LR den Todesstoss geben könnte. Die zwei der zwölf Kandidaten mit den wenigsten Stimmen waren die Trotzkisten Philippe Poutou mit 0,77% und Nathalie Arthaud mit 0,56%.

Unter den abgegeben Stimmen zu erwähnen sind noch die 1,51% leeren Stimmzettel sowie die 0,66% ungültigen Stimmen. Ingesamt gibt es rund 48,75 Millionen Wähler in Frankreich, von denen 35,92 Millionen an die Urnen gingen, was einer Stimmbeteiligung von 73,7% (-4,1% gegenüber 2017) entspricht.

Die wichtigsten Aussagen am Wahlabend waren jene der geschlagenen Kandidaten über die Stichwahl vom 24. April 2022. Jean-Luc Mélenchon sagte klar, Marine Le Pen solle keine Stimme erhalten (Il ne faut pas donner une seule voix à Madame Le Pen). Er wiederholte dies mehrfach, denn 2017 war angegriffen worden, weil er sich nicht klar äussern wollte. Doch wer 2022 genau hinhörte, vernahm nur, dass Mélenchon klar sagte, es sollte keine Stimme für Marine Le Pen geben, doch er brachte es nicht über sich, zur Wiederwahl von Präsident Macron aufzurufen. Lauf Umfrage sind seine Wähler geteilt: Rund ein Drittel denkt daran, Macron in der Stichwahl zu wählen, ein Drittel ist für Le Pen und ein Drittel denkt daran, zu Hause zu bleiben, nicht wählen zu gehen.

Die geschlagene Valérie Pécresse von den Republikanern rief zur Wahl für Macron auf, ebenso der Grüne Yannick Jadot und die Sozialistin Anne Hidalgo (faire barrage à l’extrême droite). Jadot bemerkte (zurecht) an, dass die Extreme nach fünf Jahren Macron stärker geworden sind, das Land stärker geteilt ist, denn Le Pen und Mélenchon legten zu, Zemmour kam neu hinzu.

Macrons ehemaliger und heute populärer Premierminister Edouard Philippe, der nicht zur Wahl antrat, jedoch bei der Parlamentswahl mit einer neuen Partei verteten sein wird und so das Terrain für die Präsidentschaftswahl 2027 vorbereitet, rief ebenfalls zur Wiederwahl von Präsident Macron auf.

Der Rechtsextreme Eric Zemmour sagte am Wahlabend wie erwartet, er werde für Marine Le Pen stimmen. Ebenso äusserte sich der Souveränist Nicolas Dupont-Aignan, der dies bereits vor der Stichwahl 2017 getan hatte, nachdem er damals im ersten Wahlgang 4,70% geholt hatte. Damals war dies noch ein Tabubruch. Heute gilt Marine Le Pen als „gemässigt“, weil rechts von ihr der rhetorisch extremere Eric Zemmour steht. Doch inhaltlich ist Marine Le Pen weiterhin dem rechtsextremen Lager zuzuordnen. Sie führt lediglich einen lächelnden Wahlkampf, bei dem sie viele Hände schüttelt. Sie wird anders als 2017 von den Bürgern zumeist freundlich begrüsst. Ihre Strategie der „Entteufelung“ (dédiabolisation) zahlt sich aus.

Aus dem bürgerlichen Lager erhielt Eric Zemmour vor den Vorwahlen bei den Republikanern Unterstützung von Eric Ciotti, der offen sagte, dass er bei einer Stichwahl zwischen Macron und Zemmour für den rechtsextremen Polemisten wählen würde. Nun steht dieser zwar nicht nur Wahl, doch Eric Ciotti zwitscherte bereits, er gebe keine Präferenz zur Stichwahl ab, doch Macron werde er nicht wählen, da dieser versagt habe (Je ne donnerai aucune consigne de vote par respect envers les Français mais je ne voterai pas Emmanuel Macron qui a failli.).

Die französische Präsidentschaftswahl 2022 ist eine Schicksalswahl. Marine Le Pen steht sowohl der EU wie auch der NATO kritisch gegenüber. Sie ist Putins nützliche Idiotin, sein trojanisches Pferd. Obwohl Le Pen, der Linksaussen Mélenchon und der Rechtsaussen Zemmour Putin nahe stehen oder standen bzw. Verständnis für Putin und seine Regierungsweise aufbrachten bzw. noch immer bringen, wurden Le Pen und Mélenchon trotz Putins Krieg vom Wähler nicht bestraft.

Bücher zur Geschichte Frankreichs + Mikrowellen bei Amazon.de + Laptops bei Amazon.de

F0t0 oben auf dieser Seite: Emmanuel Macron im April 2015. Photo Copyright © Claude Truong-Ngoc. Quelle: Wikipedia.

Artikel zur Stichwahl zwischen Emmanuel Macron und Marine Le Pen in Frankreich am 24. April 2022. Hinzugefügt am 11. April 2022 um 16:24 französischer Zeit.