The Barnes Collection

Apr 03, 2024 at 20:32 205

Erstmals gibt es eine deutsche Ausgabe des Handbuches einer der bedeutendsten amerikanischen Sammlungen, die lange ein Geheimtipp blieb, weil der Zugang erschwert war und es davon nur s/w-Fotos gab: The Barnes Collection. Das Museumshandbuch. Raum für Raum. Schirmer/Mosel, 2024, 2024, 232. Seiten. Das Buch bestellen (Cookies akzeptieren, um direkt zur Buchseite zu gelangen; wir erhalten eine Kommission): Amazon.de.

Das Handbuch enthält biographische Angaben zum Mediziner und Pharmakologen Dr. Albert C. Barnes (1872-1951) und seiner Sammlung, zu seiner Methode der Wahrnehmung sowie vor allem Beschreibungen vieler wichtiger Werke der Barnes Collection. Diese umfasst rund 400,000 Dokumente und 4000 Exponate, unter denen sich rund 900 Gemälde befinden. Daneben werden Antiquitäten aus Ägypten, Griechenland, China und Afrika sowie Möbel, Keramiken, Kunstgewerbliches und Gebrauchsgegenstände aus Pennsylvania und europäische und amerikanische Metallarbeiten der späten Dreissigerjahre ausgestellt.

Der Sammler hängte Scharniere, Schlösser und andere Gegenstände neben moderne europäische Gemälde. Es ging ihm dabei um die Veranschaulichung des menschlichen Impulses, mittels ästhetischer Formen Neues zu schaffen, zu erneuern. Durch die Gegenüberstellung von Werken bekannter Künstler mit Gebrauchsgegenständen anonymer Handwerker wollte Albert C. Barnes den Abstand zwischen bildender Kunst und Kunstgewerbe überbrücken. Gleichzeitig relativierte er Zeit und Abstand, indem er asiatische Kunstwerke sowie griechisch-römische und ägyptische Antiquitäten in seine von ihm »Ensembles« getauften Präsentationen integrierte. Im Handbuch findet sich wie oben erwähnt ein detailreicher Essay zu seiner Schule der Wahrnehmung.

In seiner Pharmafirma arbeiteten vor allem weisse Frauen und schwarze Männer. Nach sechs Stunden Arbeit hatten die Angestellten von Albert C. Barnes jeweils zwei Stunden zur freien Verfügung, in denen Seminare stattfanden, in denen Bücher zu Psychologie, Philosophie und Ästhetik erörtert wurden. Der Sammler baute – angeregt durch den Philosophen, Psychologen und Pädagogen John Dewey (1859-1952) – die Fabrikseminare zu einer innovativen Bildungseinrichtung aus. Es ging Alfred C. Barnes nicht um die Schaffung eines Museums. Vielmehr galt Bildung in der 1922 gegründeten Barnes Foundation als Schlüssel zu Demokratie und sozialem Wandel. Zur Stiftung in Merion – einem Vorort von Philadelphia – gehört zudem ein Arboretum, das seit dem Umzug der Sammlung nach Philadelphia der Öffentlichkeit zugänglich ist. Die Bibliothek für Gartenbau steht den Hortikultur-Studenten der Stiftung sowie Forschern zur Verfügung.

Der Barnes Foundation fehlte es um das Jahr 2001 herum am Geld, um die Mission von Albert C. Barnes weiterzuführen. Siehe dazu mein Interview mit Kimberly Camp, damals Executive Director und CEO der Barnes Foundation. Nach schwierigen Jahren und Rechtsstreitigkeiten zog die Kunstsammlung 2012 von Merion an den Benjamin Franklin Parkway in Philadelphia in ein neues Gebäude. Die Vermittlung von Kunst an ein breites Publikum ist seither garantiert.

Albert C. Barnes kam 1872 am Vorabend einer Wirtschaftskrise in einem Arbeiterviertel von Philadelphia zur Welt. Er wurde ein erfolgreicher Pharmaunternehmer. Das Antiseptikum Argyrol machte ihn enorm vermögend. Diesen Reichtum konnte er über 1929 hinaus bewahren. Seine erfolgreiche Firma verkaufte er 1929 noch vor dem Börsencrash.

Sein Freund aus der Zeit an der High School in Philadelphia, William Glackens (1870-1938), war zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu einem bedeutenden amerikanischen Künstler geworden. Ihm sowie anderen zeitgenössischen Künstlern kaufte Albert C. Barnes einige Werke ab. Der eigentliche Beginn seiner Sammlung liegt allerdings ihm Jahr 1912. Damals sandte der Pharmaindustrielle seinen Freund William Glackens mit $20,000 nach Paris, um dort für ihn moderne Kunst einzukaufen.

Mit Hilfe des in Paris lebenden US-Künstlers Alfred H. Maurer (1868–1932) kaufte William Glackens in der französischen Hauptstadt Gemälde von Vincent van Gogh, Pablo Picasso, Pierre-Auguste Renoir, Paul Cezanne, Camille Pissarro und Alfred Sisley an. Alfred C. Barnes war von den Ankäufen so begeistert, dass er noch 1912 ebenfalls zwei Reisen nach Paris unternahm, um dort weitere Kunstwerke zu erwerben. Von da an bis zu seinem Tod 1951 baute Albert C. Barnes eine der bedeutendsten Kunstsammlungen seiner Zeit auf und setzte sich dabei über die Kunst für Rassengleichheit, demokratische Bildung und soziale Gerechtigkeit ein.

The Barnes Collection beherbergt alleine 181 Werke von Pierre-Auguste Renoir, 69 von Paul Cezanne, 59 von Henri Matisse und 46 von Pablo Picasso, darunter Meisterwerke wie Der Asket aus Picassos Blauer Periode). Hinzu kommen Hunderte von Arbeiten von weiteren, oft bedeutenden Künstlern wie Chaïm Soutine, Amedeo Modigliani, Henri Rousseau, Vincent van Gogh, Georges Seurat, Edgar Degas, Claude Monet, Edouard Manet und Giorgio de Chirico, der den Sammler 1926 in Öl auf Leinwand porträtiert hat, denn Albert C. Barnes stand mit mehreren Künstlern wie Matisse und De Chirico in freundschaftlichem Austausch. Der Sohn von Pierre-Auguste Renoir, der Künstler und weltbekannte Filmregisseur Jean Renoir, besuchte Albert C. Barnes sogar in Merion.

The Barnes Collection. Das Museumshandbuch. Raum für Raum. Schirmer/Mosel, 2024, 2024, 232. Seiten. Das Buch bestellen (Cookies akzeptieren, um direkt zur Buchseite zu gelangen; wir erhalten eine Kommission): Amazon.de.

Die Abbildung auf dem Buchumschlag ziert ein Ausschnitt eines der bedeutendsten Gemälde der Sammlung von Albert C. Barnes. Es stammt von Vincent van Gogh (1853–1890) und zeigt das Portrait des Postmeisters Joseph-Etienne Roulin aus dem Jahr 1889.

Zum Portrait des Postmeisters Joseph-Etienne Roulin ist im Handbuch unter anderem zu lesen, dass Vincent Van Gogh im südfranzösischen Arles über einem Café am Bahnhof wohnte. Dort sei der örtliche Postbeamte Joseph-Etienne Roulin wahrscheinlich Stammkunde gewesen. Die zwei Männer freundeten sich an, und der Postbote sass dem Maler mehrfach Modell. Es existieren drei Versionen des Portraits. Laut dem Handbuch ist jene in The Barnes Collection die einzige, die Vincent van Gogh signierte, was dafür spreche, dass es sich um diejenige Version handle, die der Künstler einst dem Postboten Joseph-Etienne Roulin geschenkt habe. Das Gemälde gehört zu jenen Werk, die William Glackens 1912 für Albert C. Barnes in Paris ankaufte.

Zitate und Teilzitate in dieser Rezension / Buchkritik sind der besseren Lesbarkeit wegen nicht zwischen Anführungs- und Schlusszeichen gesetzt.

Rezension / Buchkritik hinzugefügt am 3. April 2024 um 20:32 deutscher Zeit. Zuletzt korrigiert und aufdatiert am 4. April 2024 um 10:58.