Weingut Robert Weil

Apr 17, 2022 at 22:00 821

Die Renaissance der deutschen Riesling-Weine hat ihren Ursprung in einer Qualitätsoffensive, die in den späten 1980er Jahren einsetzte. Damals machten sich Winzer wie Wilhelm Weil daran, durch strenge Selektion bei der Ernte, Konzentration auf die geographischen Gegebenheiten und die jeweiligen Böden, wieder wie einst Qualität statt Quantität zu produzieren. Im Fall des Weinguts Robert Weil hiess dies, mineralische und finessenreiche Weine hervorzubringen.

Das Buch Weingut Robert Weil. Der Riesling aus dem Tre Torri Verlag (Amazon.de) widmet sich dem Thema und besticht mit informativen Texten sowie zahlreichen Farbfotos. Hirn und Auge kommen zum Zug.

Eine Grossmutter des heutigen Patrons des Weingutes Robert Weil, Wilhelm Weil, stammt übrigens aus der Familie Bergweiler-Prüm, welcher die herausragenden Riesling-Weingüter Dr. Loosen und Prüm gehören. Das Metier liegt der Familie also quasi im Blut.

Der 1963 geborene Wilhelm Weil liess sich bei Franz Hubert ausbilden, studierte Önologie in Geisenheim sowie Betriebswirtschaft und absolvierte Praktika auf Weingütern im In- und Ausland. So konnte er bestens gerüstet 1998 das Weingut Robert Weil in vierter Generation übernehmen. Seit jener Zeit arbeitet er mit Jochen Becker-Köhn als „rechter Hand“ eng zusammen. Die harte Arbeit schlägt sich in Bewertungen wie den 99+ Punkten bei Robert Parker und den zweimal 100 Punkten bei Gault-Millau wieder.

Daniel Deckers untersucht im Buch die Geschichte des Weingutes Robert Weil, die ins 19. Jahrhundert zurückreicht. Historische Quellen dokumentieren die Bedeutung des Riesling aus dem Rheingau sowie aus Deutschland insgesamt. Es ist eine Reise in eine Zeit, in welcher solche Weine zu den teuersten der Welt gehörten.

In Kiedrich gab es laut von Daniel Deckers erwähnten Chroniken zwar schon im Mittelalter Weinbau, und ausgangs des 12. Jahrhunderts erhielt der markante Südwesthang Grevenberg bereits seinen Namen, doch noch war es ein weiter Weg bis zum Weingut mit Weltgeltung. Im 13. Jahrhundert kamen Teile des Weinberges durch Schenkung in den Besitz der Zisterzienserabtei Eberbach und der Grafen von Nassau.

Die besten Weine vom Rhein wurden bereits vor der Ausbreitung der Rieslingrebe im 16. Jahrhundert nach ihrer Lage (Gemarkung oder Weinberg) benannt. Seit dem frühen 18. Jahrhundert stand der Rheingau bei der Erzeugung der „Cabinet“-Weine, der edelsten Gewächse, hoch im Kurs. Im 19. Jahrhundert wurden diese Auslesen und Spätlesen zum Synonym für das Beste, was an der nördlichen Weinbaugrenze hergestellt werden konnte.

Da der Herzog von Nassau 1866 im deutsch-deutschen Krieg auf der Seite der Verlierer, also Österreichs, stand, verlor er die Herrschaft über den grössten und renommiertesten Weinbergbesitz auf deutschem Boden. So wurde aus der Herzoglich-Nassauischen Weinbaudomäne die Königlich-Preussische Weinbaudomäne.

Die Kiedricher Rieslinge zeichneten sich laut Daniel Deckers durch eine für den Rheingau untypische Kombination von Filigranität und rassiger, mineralisch-würziger Dichte aus. Der Gräfenberg stand allerdings volumenmässig weit hinter den Lagen Marcobrunn und Steinberg, da die Kiedricher Parzellen klein waren und als Berglagen nur in wenigen guten Jahren so reif wurden, um selbständig und naturrein auf den Markt zu kommen.

Weitere Produzenten von Kiedricher Weinen waren der Graf von Fürstenberg zu Stammheim und und der Freiherr von Ritter zu Groenesteyn. Laut Johann Georg August Wirth, dem Verfasser des 1866 in Mainz erschienen Buches Die Weinorte der Rheinlande, waren bereits um die Mitte des 19. Jahrhunderts alle namhaften Kiedricher Lagen mit Riesling bestockt. Am meisten Wein kam aus den Lagen „Sandgrub“ und „Berg“, mit weitem Abstand folgten die Lagen „Thurmberg“ und „Gräfenberg“.

Im letzten Jahr der nassauischen Herrschaft über den Rheingau, hatte August Weil seine erste Bekanntschaft mit Kiedrich gemacht. Der in Nomborn geborene Sohn eines Lehrers hatte den Priesterberuf ergriffen und war am 1. Juli 1865 in die Pfarrei St. Valentinus nach Kiedrich versetzt worden. Die Pfarrei gehörte zu den Hauptproduzenten von Kiedricher Wein.

10 Jahre zuvor hatte der englische Adelige John Sutton auf einer Reise durch den Rheingau einen Narren an der gotischen Kirche und seiner gotischen Orgel gefressen, die er bis 1860 wieder in Stand setzen liess. Der aus einer der vermögendsten Familien des Königreiches stammende Sutton war 1855 zum Katholizismus konvertiert. Der verwitwete Baronet nahm zur Beaufsichtigung der Restaurierungsarbeiten über mehrere Monate im Jahr Quartier im Kiedricher Pfarrhaus. Nach dem Tod des Pfarrers 1868 erwarb der Engländer drei Häuser in unmittelbarer Nähe der Kirche, die er nach dem Vorbild der Landhäuser seiner heimatlichen Grafschaft Lincolnshire zu seinem ständigen Wohnsitz umbauen liess.

Bereits Anfang 1868 war August Weil nach drei Kaplansjahren im Rheingau als Pfarrer nach Wehrheim in den Taunus berufen worden. Doch zuvor hatte er noch als erster Chorregent an der von John Sutton 1866 ins Leben gerufenen „Schola Choralis“, die sich der Erhaltung der Mainzer Gregorianik widmete, gearbeitet.

Der 1843 geborene Bruder des Pfarrers und Chorlehrers, Robert Weil, studierte französische Sprachwissenschaften und Germanistik in Göttingen und Marburg, wo er 1870 mit einer Dissertation über Pierre de Ronsard (1524-1585), einen der Mitbegründer des französischen Dichterkreises La Pléiade, zum Dr. phil. promovierte. Robert hatte seinen Bruder August mehrfach im Rheingau besucht und so die Bekanntschaft des noch gelehrteren Baronets Sutton gemacht. Nach seiner Promotion zog es Dr. Robert Weil allerdings zuerst nach Paris, wo er für kurze Zeit an der berühmten Sorbonne lehrte, ehe es in nach Wiesbaden zog. Von dort reiste er dann wieder öfters in den Rheingau, traf aber wohl nicht mehr seinen englischen Freund an, denn Baronet Sutton war am 5. Juni 1873 in seiner zweiten Heimat Brügge mit noch nicht einmal 53 Jahren verstorben.

Baronet Sutton hatte sich laut der Deutschen Weinzeitung von 1874 nicht nur für Gotik und Musik, sondern auch für den Wein und seinen Anbau interessiert. So hatte er vom Rauenthaler Weinproduzenten Georg Wilhelm Siegfried in Kiedrich Weinberge erworben, die nun dieser Siegfried von den Erben Suttons zurückkaufen wollte.

Am 4. März 1874 allerdings erwarb Fürst Löwenstein-Wertheim das Siegfriedsche Weingut „unter denselben Bedingungen, wie seinerzeit der bekannte Wohltäter Kiedrichs, Baronet Sutton, käuflich an sich gebracht und dafür, wie für das Gut in Hallgarten, Kiedrich und Kloster Tiefenthal mit dem sogenannten Taubenberg 340 000 fl. bezahlt“ hatte.

So könnte es sein, dass Dr. Robert Weil, der nach mündlicher Überlieferung Mitte der 1870er Jahre Weinberge in Kiedrich erwarb, auch solche gehört haben könnten, die einst Teil von Baronet Suttons Domäne gewesen waren.

Noch 1876 widmete sich Dr. Robert Weil der Wissenschaft. Zusammen mit seinem Bruder W. Weil, ebenfalls ein Philologe, veröffentlichte er auf Französisch eine zweibändige „neue Methode zur Erlernung der deutschen Sprache“ (Méthode nouvelle pour apprendre la langue allemande).

Am 1. Januar 1879 übersiedelte Robert Weil mit seiner Ehefrau Emilie, geborene Festnagel, von Wiesbaden nach Kiedrich im Rheingau. Sie übernahmen das ehemalige Anwesen von John Sutton, ursprünglich bestehend aus drei Bauernhäusern samt Gärten und Hofreiten.

Dr. Robert Weil (1843-1923) und seine Frau Emilie (1855-1933) machten das um die Jahrhundertwende im englischen Gutshausstil errichtete Weingut im Rheingau zu einer Pilgerstätte für Riesling-Freunde. Die Weine wurden an den russischen Zarenhof in St. Petersburg, an das Wiener Hofwirtschaftsamt, an den italienischen König Vittorio Emmanuele III., nach London und New York geliefert. Sie standen im Ansehen auf der Höhe der besten Bordeaux und Champagner. Dies hing nicht zuletzt mit dem letzten deutschen Kaiser (von 1888 bis 1918) zusammen: Wilhelm II.

Doch dazu brauchte es einen Spitzen-Riesling. In den 1870er Jahren bis 1900 konnte man auf Grund des Klimas pro Jahrzehnt mit lediglich einer oder zwei guten Ernten rechnen. Winzer ohne andere Einkommen benötigten daher ein Finanzpolster und/oder belieferten in schwächeren Jahrgängen die Schaumweinindustrie in der Gegend von Wiesbaden, die schwächere Jahrgänge als Grundwein benutzten, dafür laut Daniel Deckers allerdings wohl kaum mehr als einen Notgroschen bezahlten.

Nach dem grossartigen Weinjahr 1868 musste das Rheingau bis 1893 warten, ehe wieder Wein von einer Qualität hergestellt wurde, die in der kollektiven Erinnerung jener Zeit haften blieb. Wilhelm II. besuchte regelmässig „sein“ Wiesbaden. Bei einem dieser Aufenthalte im Jahr 1900 kostete er eine Kiedricher Auslese aus dem Jahr 1893 vom Weingut Dr. Robert Weil, die ihn begeisterte. Von da an war dieser Riesling nicht mehr von der kaiserlichen Tafel wegzudenken. An welchem Hof der Kaiser auch seine Aufwartung machte, immer wurde dort sein Lieblingswein kredenzt. Zuerst handelt es sich um eine Auslese des Jahrganges 1893 der Lage Gräfenberg, später um die Jahrgänge 1904 und 1911. Es ist ein Foto aus jener Zeit erhalten (und im hier besprochen Band abgebildet), auf dem Wilhelm, der Sohn des Weingutgründers Dr. Robert Weil, in Matrosenuniform auf einem Holzfass mit dem Namen „1893 Kaiserwein“ sitzend zu sehen ist.

Als Kaiser Wilhelm II. im Jahr 1918 den betagten österreichischen Kaiser Karl I. Franz Joseph im besetzten belgischen Spa empfing, stand auf dem Menu eine „Kiedricher Auslese“ des Jahrgangs 1911 vom Weingut Dr. Robert Weil.

Neben dem letzten deutschen Kaiser war auch ein gewisser Lorenz Adlon am Aufstieg des Weinguts Dr. Robert Weil nicht unschuldig. In seinem 1877 erworbenen Restaurant in Mainz schenkte er schon bald Weine vom Kiedricher Berg aus. Der Kontakt zwischen Weil und Adlon riss auch nicht ab, als letzterer nach Berlin zog und dort zu einem führenden Gastronomen und Weinhändler avancierte, ehe er das heute noch weltberühmte Hotel Adlon bauen liess. Die Verbindung der zwei Erfolgsmenschen erklärt laut Autor Daniel Deckers wohl auch, weshalb Robert Weil nach dem Misserfolg seiner ersten Weinversteigerung 1881 lange Zeit nicht mehr versuchte, Weine auf diesem Weg auf den Markt zu bringen.

Seine Gewinne investierte Dr. Robert Weil in den Ausbau seines Unternehmens. So kaufte er 1909 ein ganzes Weingut, das Fürstenbergsche in Kiedrich. So hatte der Gräfenberg nur noch drei Besitzer, namentlich die Königlich-Preussische Domäne, den Freiherrn von Ritter sowie Dr. Robert Weil.

1915 und 1917 bescherten dem Rheingau nochmals zwei der besten Jahrgänge des 20. Jahrhunderts. Doch harte Zeiten sollten erneut folgen. Für den deutschen Weinbau an Rhein und Mosel war nach dem Ersten Weltkrieg nichts mehr wie zuvor. Das Stigma des Kriegsgegners wog schwer. Die Ära des Adels war zu Ende. Jene der Globalisierung ebenfalls. Deshalb war es vorbei mit der weltweiten Verfügbarkeit edler deutscher Tropfen.

Der 1888 geborene einzige Sohn von Dr. Robert Weil, Wilhelm, rückte 1920 an die Spitze des Weingutes. Er hatte zwar eine juristische Dissertation an der Universität Würzburg unter dem Titel „Die Eisenbahnen im Völkerrecht“ verfasst, doch widmete er sich wie sein Vater mit Herzblut dem Weinbau.

Einem Mitgliederverzeichnis des Verbands Deutscher Naturweinversteigerer von 1926 ist zu entnehmen, dass das Kiedricher Weingut Dr. Robert Weil 1100 Aaren besass, darunter Parzellen in den Kiedricher Lagen Gräfenberg, Turmberg, Wasseros, Berg und Steeg sowie in den Eltviller Lagen Sandgrube und Bein besass. Bis 1935 stieg die bewirtschaftete Fläche auf 1250 Aaaren.

Zu den berühmten Weinhändlern, die Wilhelm Weil in den 1920er und 1930er Jahren vermehrt belieferte, gehörte Alfred Walterspiel. Dieser hatte 1910 das Berliner Restaurant Hiller von Lorenz Adlon übernommen. Ab 1922 war er als Gastronom und Hotelier in München tätig, insbesondere ab 1926 zusammen mit seinem Bruder Otto als Mehrheitsaktionär des Hotels Vier Jahreszeiten.

Zu Beginn der 1920er Jahre erlebte Deutschland die Zeit der Hyperinflation. Viele Winzer liessen deshalb zumindest ihre edelsten Tropfen im Keller liegen, auf bessere Zeiten hoffend. Als im Herbst 1923 die grosse Geldentwertung mit der Einführung der Rentenmark und dem Ende des Ruhrkampfes zu Ende ging, kehrte noch nicht Ruhe an den deutschen Weinmarkt zurück. Eine in den letzten Kriegsmonaten eingeführte Weinsteuer in der Höhe von 20% sowie, ab 1925, die Überschwemmung des deutschen Marktes durch spanischen Rotwein dank eine Handelsvertrag mit Spanien machten den deutschen Winzern schwer zu schaffen. Gewaltsame Proteste durch Moselwinzer führten 1926 zur Abschaffung der Weinsteuer. Zudem wurden bedeutende Summen für „Weinpropaganda“ bewilligt.

Auf dem Gräfenberg zog in den 1920er ein Vorbote kommenden Unheils ein. Jakob Werner war nicht nur ein fähiger Verwalter des Weingutes von Ritter, sondern zudem ein fanatischer Nazi, der nach Adolf Hitlers Aufstieg zum Reichskanzler 1933 Karriere als Kreisbauernführer im Rheingaukreis und, ab 1934, als von den Nazis oktroyierter Vorsitzender des Verbandes Deutscher Naturweinversteigerer machte.

Dr. Wilhelm Weil hingegen war Katholik und Mitglied der Zentrumspartei. Aus dem Jahr 1952 hat sich ein Brief von Konrad Adenauer an die Familie Weil erhalten, in dem sich der Bundeskanzler an seine Besuche im Hause der Winzerfamilie erinnerte. Adenauer und die Weils standen sich wohl nicht nur in der Liebe zum Riesling, sondern auch politisch (Zentrumspartei) nahe, meint Daniel Deckers.

Hier machen wir einen Sprung ins Jahr 1993: Das Staatsweingut Kloster Eberbach trennte sich zugunsten des Weinguts Robert Weil von den „domänenfiskalischen“ Parzellen im Gräfenberg. Der Fiskus hatte das Interesse am Kiedricher Weinberg verloren. Das Weingut Dr. Robert Weil verdoppelte seine Rebfläche und investierte in Kelter, computergesteuerte Edeltanks, Holzfässer, Lagerräume und mehr für 300,000 Flaschen. Innerhalb von vier Jahren stieg es in die Liga der zehn grössten Weingüter im Rheingau auf, ohne dabei die Qualität zu vernachlässigen. Im Gegenteil. Unter der vierten Winzergeneration, Martina und Wilhelm Weil, wurden ab 1989 mehr Lesehelfer eingesetzt. Die Selektion der Trauben wurde verschärft. 1991 konnte hier die einzige Trockenbeerenauslese im gesamten Rheingau gelesen werden. Das Lob aus dem In- und Ausland liess nicht auf sich warten. Konsumenten und Weinkritiker sind sich seither einig: Das Weingut Robert Weil gehört in die erste Liga der Riesling-Produzenten.

Neben dem Artikel zur Geschichte finden sich im ausgezeichneten Buch aus dem Tre Torri Verlag noch Artikel zur Architektur des Weingutes, zum Riesling, zum Gestein, zum Boden im Rheingau, ein Interview mit Robert Weil zur Frage, was einen Spitzenriesling ausmacht sowie Eindrücke einer Verkostung der Weine vom Kiedricher Gräfenberg. Der Band wird abgerundet durch grossformatige Fotos.

Weingut Robert Weil. Der Riesling. Tre Torri Verlag, November 2014, 256 Seiten mit zahlreichen Farbphotos. Das Buch bestellen bei Amazon.de.

Siehe auch unseren Artikel zum Buch von Stuart Pigott: Planet Riesling. Ein Muss für jeden Riesling-Fan. Weitere Bücher von Stuart Pigott bei Amazon.de.

Rezension vom 23. Januar 2015 um 20:11 CET. Buchkritik hinzugefügt zu unseren Seiten im neuen Design am 17. April 2022 um 22:00 deutscher Zeit.